Zur Wiederkehr der nationalistischen Ideologie

Politische Ökonomie des Krisennationalismus - Teil 2

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Im ersten Teil der Textserie wurden die zunehmenden handelspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Wirtschaftsräumen auf den sich "hinter dem Rücken" dieser Subjekte entfaltenden Prozess kapitalistischer Widerspruchsentfaltung zurückgeführt. Der tritt den Subjekten in Form marktvermittelter, naturwüchsig erscheinender "Sachzwänge" gegenüber, die die Krisenkonkurrenz auf allen Ebenen anheizen.

Die Analogie des globalisierten Spätkapitalismus als der sinkenden Titanic, deren nationale Passagiere untereinander einen Verdrängungswettbewerb darum führen, wer als letzter ins Wasser fällt, könnte zur Illustrierung dieser Wechselwirkung von Krisis und Nationalismus herangezogen werden.

Das hochgradig "globalisierte" spätkapitalistische Weltsystem ist somit durch gegenläufige Tendenzen verstärkter nationaler Konkurrenz gekennzeichnet, die eben die Globalisierung selber bedrohen.

Schuldenturmbau: Globalisierung als "Flucht nach vorn"

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen lohnt ein kurzer Blick auf den historischen Prozess der neoliberalen Globalisierung, der zumeist einseitig als eine Globalisierung der Warenströme und Produktionsketten wahrgenommen wird. Dieser erscheint nun in einem anderen Licht: als eine Form der "Flucht nach vorn" des Kapitals vor seinen eigenen Widersprüchen.

Es handelt somit auch um eine Flucht in einen globalisierten Schuldenturmbau. Entscheidend sind die im vorherigen Text dargelegten, globalen "Ungleichgewichte" in den Leistungs- und Handelsbilanzen, die nur Ausdruck der globalen Defizitkreisläufe sind, die erst die Globalisierung des Warenhandels ermöglichten.

Bei einem Defizitkreislauf, der vor allem zwischen den USA und China - und mittlerweile stark abgeschwächt zwischen der BRD und der südlichen Eurozone - besteht, wird der Warenfluss im Rahmen der Exportüberschüsse von einem Strom von Schuldtiteln in die entgegengesetzte Richtung begleitet. Die exportorientierten Länder wie China, Japan oder Deutschland liefern beispielsweise ihre Waren in die USA und investieren das Geld dort sogleich wieder - vornehmlich in deren Finanzsektor.

Somit fließen etwa in dem größten pazifischen Defizitkreislauf die chinesischen Waren in Richtung USA - und auf dem Rückweg strömt ein geisterhafter Fluss von amerikanischen "Wertpapieren" in Richtung China zurück. Was China ja eine Zeit lang zum größten Auslandsschuldner der USA machte.

Das neoliberale Zeitalter mitsamt der Globalisierung des Warenaustausches und der Warenproduktion fußte somit auf der Globalisierung dieser gigantischen Verschuldungsdynamik, die vermittels der globalen Defizitkreisläufe etwa die kapitalistische Modernisierung Chinas befeuerte.

Der immer weiter zunehmende weltweite Warenaustausch, die rasch voranschreitende wirtschaftliche Verflechtung mitsamt des Aufbaus globaler Produktionsketten transnationaler Konzerne - sie fanden im Rahmen der zunehmenden Defizitkreisläufe statt, von denen auch die exportorientierten Länder und Wirtschaftsregionen abhängig sind.

Wirtschaftsstandorte im globalen Konkurrenzkampf

Dieser Globalisierung der Defizitbildung entsprach die neoliberale Ideologie, die einen kapitalistischen Globalismus predigte, der "Wirtschaftsstandorte" im direkten globalen Konkurrenzkampf um schwindende Investitionen "transnationaler" Konzerne sah. Bis 2008 konnte dieser globale Schuldenturmbau aufrechterhalten werden.

Nach dem Zusammenbruch der Spekulationsdynamik auf den Immobilmärkten in den USA und Westeuropa 2007/08 geriet diese kreditbefeuerte Globalisierung mit ihren globalen Deifizitkreisläufen und Schuldenblasen in eine zunehmende Schieflage, die zu einem Erstarken der nationalen Zentrifugalkräfte in der Capitalist One World führte.

Ungeachtet aller Krisenmaßnahmen, etwa der umfassenden Konjunkturpakete der meisten kapitalistischen Kernstaaten und der gigantischen Gelddruckaktion der Notenbanken, konnten massive sozioökonomische Einbrüche nicht mehr verhindert werden.

Hiervon sind vor allem die USA betroffen, wo die einstmals breite Mittelschicht gänzlich zu verschwinden droht, sowie die Krisenstaaten Südeuropas, denen Berlin im Zuge der Auseinandersetzungen um eine europäische Krisenpolitik die gesamte Last der Krisenfolgen aufbürden konnte.

Folglich wandelt sich auch die Ideologieproduktion in vielen kapitalistischen Kernländern. Mit den zunehmenden Verwerfungen gewinnen Abschottungsbestrebungen an Dynamik - gerade in Reaktion auf die Folgen der globalen Systemkrise.

Der vormals im Rahmen der neoliberalen Standortideologe geführte Wettbewerb zwischen Wirtschaftsstandorten ("Deutschland AG") verschärft sich nun und nimmt offen irrational-nationalistische Züge an, da die durch Handelsdefizite deindustrialisierten und in offene Verelendung übergehenden Regionen im offenen Protektionismus ihr Heil zu suchen drohen.