Demagogen: "Alle sprechen vom 'Volk', das von 'der Elite' unterdrückt wird"

Walter Ötsch, Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte, zum Thema Rechtspopulismus

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"Ein Ansteigen des Rechtspopulismus", sagt Walter Ötsch im Interview mit Telepolis, "bedeutet in jedem Fall, dass die anderen Parteien etwas falsch gemacht haben und weiter falsch machen." Zusammen mit der Journalistin Nina Horaczek hat der Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte gerade das Buch "Populismus für Anfänger - Anleitung zum Volksverführer" veröffentlicht, das zum Ziel hat, den Lesern aufzuzeigen, wie Demagogen bei ihrem Stimmenfang vorgehen.

Im Interview mit Telepolis skizziert Ötsch jenes eindimensionale Gesellschaftsbild, das die Volksverführer zeichnen und verweist zugleich auf die etablierten Parteien, die aus seiner Sicht mit zu einem Stärkerwerden der Rechtspopulisten beigetragen haben: "Ein Ansteigen des Rechtspopulismus bedeutet in jedem Fall, dass die anderen Parteien etwas falsch gemacht haben und weiter falsch machen", so Ötsch.

Herr Ötsch, Populisten und Demagogen werden oft, wenn Sie zu Beginn ihrer Karriere auf die Bühne treten, belächelt und nicht Ernst genommen. Ist das einer der ersten Fehler, der im Umgang mit Populisten gemacht wird?

Walter Ötsch: Vor allen Dingen wurde früher ihre eigentliche Kompetenz unterschätzt, wie sie nämlich in der Lage sind, mit Teilen der Bevölkerung zu kommunizieren. Das können wir in Österreich schon seit über zwei Jahrzehnten beobachten und im letzten Jahr deutlich im US-Wahlkampf. In beiden Fällen haben die Parteien, die gegen die Rechtspopulisten vorgingen, keine wirklichen kommunikativen Gegenmittel gefunden. Hillary Clinton hat in keiner Weise verstanden, warum Donald Trump so viel Zulauf hatte und welche Stimmungen er wirkungsvoll ansprechen konnte. Aber vielleicht hat schon ein Lernprozess eingesetzt: Emmanuel Macron versus Marine Le Pen im französischen TV ist ein gutes Gegenbeispiel.

Welche Fehler werden noch gemacht?

Walter Ötsch: Ein anderer Fehler, der auch gemacht wurde, ist es Wähler und Wählerinnen zu beschuldigen, sie wären nicht klug, reif etc. genug.

Was ja immer wieder passiert.

Walter Ötsch: Ja. Drastische Beispiele sind aus Polen und Ungarn bekannt. In beiden Ländern wurden heimlich Gespräche von führenden Regierungsmitgliedern aufgenommen, die das Wahlvolk beschimpft hatten. So waren sie in der Öffentlichkeit diskreditiert und die Botschaft der Populisten, eine abgehobene Elite schaue verächtlich auf "das Volk" herab, wurde handgreiflich bestätigt.

Rechtspopulisten kommen immer dann an die Macht, wenn die anderen politischen Kräfte diskreditiert sind, wie auch in Italien: Der Zusammenbruch der Democrazia Christiana in einem Strudel von Skandalen hat Silvio Berlusconi den Weg zur Regierung frei gemacht.

"Wir" gegen "die Anderen"

Wie kommt es dazu, dass sie - vor allem auch in den Medien - belächelt und als kleine Randfiguren abgetan wurden?

Walter Ötsch: Spätestens seit dem Wahlsieg von Trump ist diese Unterschätzung vorbei. Ich denke, dass jetzt die Rechtspopulisten ernst genommen werden. Manche übertreiben aber auch und tun so, als ob es jetzt eine rechtspopulistische Welle geben würde, die sich durchsetzen muss.

Das sehen Sie eher nicht so?

Walter Ötsch: Die Zukunft ist immer offen. Entscheidend müsste sein: Ein klarer Blick auf die Ursachen für das Anwachsen der Zustimmung und vor allem auf den qualitativen Unterschied, wie hier Politik gemacht wird.

Was sollte denn der entscheidende Unterschied sein?

Walter Ötsch: In unserem Buch wollen wir Klarheit darüber schaffen, wie Rechtspopulisten denken. Man sollte ihre Denkweise verstehen und nachvollziehen können, - dann kann man noch wirkungsvoller dagegen auftreten. Entscheidend ist das spezifische Bild der Gesellschaft, das Rechtspopulisten haben, sie leben in einer eigenen Vorstellungswelt.

Bild: Lucas Derks 2017

Sie sprechen in Ihrem Buch davon, dass die Gesellschaft von Rechtspopulisten zweigeteilt gesehen wird.

Walter Ötsch: So ist es. Es gibt in diesem Bild nur zwei Gruppen: die homogene Gruppe der "Wir", z.B. "das Volk", auf der einen und "die Anderen", eine homogene Gruppe von "Feinden", auf der anderen Seite. Am besten ist, man stellt sich innerlich ein solches Bild intensiv vor.

Wie meinen Sie das?

Walter Ötsch: Stellen Sie sich eine Gruppe ganz nahe bei sich selbst vor.

Diese entspricht dann den "Wir"?

Walter Ötsch: Ja, und zu ihnen hat man gute und warme Gefühle. Hier kann man sich geborgen fühlen.

Und weiter?

Walter Ötsch: Dieses Bild sieht so aus: Um die Gruppe der "Wir" gibt es eine unsichtbare Mauer, jenseits der Mauer ist ein leeren Raum und in deutlichem Abstand weit hinten gibt es eine zweite Gruppe zu sehen, das sind "die Anderen".

Und diese Gruppe ist dann "böse", "schlecht" usw.?

Walter Ötsch: Die Gruppe "der Anderen" wird in dieser Vorstellungswelt in düstere Farben getaucht und zugleich als groß imaginiert: Denn "sie" bedrohen "uns". Die Folge: "Wir" haben notwendigerweise Angst vor "ihnen" und müssen "uns" gegen "die" wehren.

Dieses Bild findet sich bei allen Rechtspopulisten. Im Kern beinhaltet es einen Verschwörungsmythos: "Die" haben sich gegen "uns" verschworen. Diese Verschwörung stellt für Rechtspopulisten die gesellschaftliche Grundproblematik dar. Sie selbst sind - das ist ihr Selbstanspruch - angetreten, diese Verschwörung aufzudecken und Abhilfe zu versprechen. Denn nur sie seien befugt über "den" (homogenen) Willen "des" (fiktiven homogenen) "Volkes" Auskunft zu geben, die "anderen" Parteien sind dazu nicht in Lage.

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