Lebensretter werden zu Kriminellen erklärt

Bild: Jugend rettet

Italien beschlagnahmt deutsches Hilfsschiff. Der Kampf der Europäischen Union gegen die unabhängigen Seenotrettungsorganisationen eskaliert

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Mit der Beschlagnahme des deutschen Rettungsschiffes "Iuventa" durch italienische Behörden Anfang August wurde ein neuer Höhepunkt in der seit Monaten anhaltenden Kampagne europäischer Regierungen gegen die privaten Seenotretter erreicht. Nach zahllosen verbalen Angriffen nun ein erster handfester Übergriff auf die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die im Mittelmeer jeden Tag Männer, Frauen und Kinder aus Afrika vor dem Ertrinken retten. Als Beihilfe zur ungesetzlichen Einreise wird das denunziert. Flüchtlinge werden illegalisiert und Helfer kriminalisiert.

Erst vor wenigen Tagen hat die Crew der "Aquarius" 272 Menschen, aber auch acht Tote an Bord genommen. Einer der Geretteten wies Schussverletzungen auf.

Die europäische Migrations- und Grenzpolitik steht an einem Scheideweg

Mit dem Fall "Iuventa" scheint es, als werde das Rad der Geschichte zurückgedreht. Vor 13 Jahren, im Sommer 2004, wurde das deutsche Hilfsschiff Cap Anamur, das 37 Menschen aus einem manövrierunfähigen Schlauchboot gerettet hatte und in Italien an Land brachte, konfisziert und dem Kapitän der Prozess gemacht. Vorwurf: bandenmäßige Beihilfe zur illegalen Einreise im besonders schweren Fall. Fünf Jahre später erfolgte allerdings ein Freispruch. Angesichts begonnener Massenfluchten über das Mittelmeer hätte eine Verurteilung sowieso niemand mehr verstanden. Die berühmte Cap Anamur jedoch hat nie mehr Menschen gerettet, das Hilfsprojekt war zerstört.

Nun wurde also erneut ein Hilfsschiff aus dem Verkehr gezogen. Die "Iuventa" wird von der deutschen Organisation Jugend rettet betrieben. Eine von zig anderen NGOs, die im Mittelmeer nach Migranten Ausschau halten und sie an Bord nehmen oder Hilfe rufen.

Inzwischen wurde der etwa 30 Meter lange Trawler von Lampedusa, wo er zunächst festgesetzt worden war, nach Trapani auf Sizilien verbracht, wo er untersucht werden soll. Verfahren gegen Besatzungsmitglieder sind bisher keine bekannt. Die Lage ist im Augenblick einigermaßen undurchschaubar.

Von der Bundesregierung war bisher keine Stellungnahme zu dem Vorfall zu erhalten. Das Auswärtige Amt (AA) lässt sich Fragen schriftlich geben, um sie - unter anderem die, ob das Ministerium Forderungen gegenüber Italien erhebt - mit einem inhaltsleeren Satz zu beantworten: "Wir beobachten die Lage vor Ort, stehen mit den betroffenen Deutschen in Kontakt und stehen - so gewünscht - für eine konsularische Betreuung zur Verfügung."

Dass Sigmar Gabriels Pressestelle diese inhaltsleere Auskunft gegenüber einem Journalisten obendrein mit der Formel "unter 2" versieht, was so viel bedeutet wie, sie "vertraulich" zu behandeln, könnte man unter unfreiwilliger Komik verbuchen: Eine Nullauskunft, die verschwiegen werden soll. Man kann es aber auch als stümperhaften Versuch interpretieren, kaschieren zu wollen, dass man nichts gegen den Übergriff der italienischen Behörden auf ein deutsches Schiff unternimmt. Zumindest solange man nicht durch die Öffentlichkeit dazu gezwungen wird.

Auch das ist eine Parallele zum Cap Anamur-Fall vor 13 Jahren.