Der Schein des Glases

Zaha Hadid: Kulturzentrum in Baku, Aserbeidschan 2012. Bild: Sefer azeri / CC-BY-SA-3.0

Die Umbrüche im Verhältnis von Mensch, Maschine und Natur spiegeln sich in der Architektur aus Eisen und Glas wider - Teil 2

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Die Entwicklung der Eisenarchitektur parallel zur Industrialisierung und die Herausbildung der Skelettbauweise in ihrer Bedeutung für den Hochhausbau und die Industriehallen der beginnenden Moderne war Thema des ersten Teils. Die folgende Betrachtung setzt bei der Neuen Sachlichkeit der 20er Jahre ein und und verfolgt die Annäherungen von Zeit und Raum bis zur Vieldeutigkeit der Gegenwart.

Offene Grundrisse, Bauen von innen nach außen und Durchlässigkeit der Fassaden bestimmten den Einfamilienhausbau der Neuen Sachlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg. Freiraum und umbauter Raum, Zwei- und Dreidimensionalität wurden von ein und demselben geometrischen Grundschema her gedacht. Die neue Architektur stützte sich auf die konstruktivistische und die kubistische Malerei.

Die Ecken der Häuser konnten "eingezogen" und "entmaterialisiert" werden, weil die Pfeiler vor oder hinter die äußere Wandlinie postiert wurden. Fensterbänder wickelten sich um die Ecken. Alles kam der Belichtung zugute. Vorgekragte Dächer lasteten nicht mehr auf den Außenwänden, sondern wurden in einen Schwebezustand versetzt. Das hatte sich schon bei dem Amerikaner Frank Lloyd Wright angedeutet und wurde von Le Corbusier in der Kapelle von Ronchamp auf die Spitze getrieben. Zwischen dem geschwungenen Dach und der oberen Wandkante liegen Lichtschlitze.

Der Schein des Glases (39 Bilder)

Wainwright Building, heute. Baujahr 1891. Architekten: Louis Sullivan und Dankmar Adler. Bild: Marcus Qwertyus / CC-BY-SA-3.0

Wenn auch die Protagonisten der Zwanziger Jahre diese Idealtypologie jeweils variierten und es Einzelfälle blieben, dürfen nicht die Architekten der zweiten Reihe übersehen werden, die jenen Stil ausprägten wie etwa Richard Neutra mit seinen Bungalows. Da aber auch die einzelnstehenden Häuser den gleichen reduktionistischen Form- und Funktionsprinzipien unterlagen, konnten sie zu Zeilen zusammengerückt werden, wie sich die Bilder von Mondrian endlos nebeneinanderlegen und axonometrisch in die dritte Dimension ausziehen lassen. So entstand aus einem sozialen städtebaulichen Aspekt heraus der serielle Wohnungsbau der Siedlungen des Neuen Bauens. Neu war weniger die Konstruktion, vielmehr die Vorfertigung von Betonteilen.

Weniger bekannt ist auch Otto Bartning, nach dessen Plänen 1928 eine Kirche aus Stahl plus Kupfer und verbleitem Glas gebaut wurde, die leicht zu demontieren war. Da Bartning wie auch Taut vom Expressionismus geprägt war, fügt sich hier zum Glas wiederum das Eisen als bestimmendes Material. Bartnings Anspruch war, "die Materie zur Form zu erlösen". Auch an Einzelhäusern experimentierte das 'Bauhaus' mit Stahl. Das von Georg Muche und Richard Paulick für Dessau-Törten entworfene Stahlhaus hatte wieder eine Skelettkonstruktion, beplankt mit Stahltafeln.

Richard Paulick, Hermann Zweigenthal u.a.: Kant-Garagen (1930). Vorhangfassade bis heute weitgehend erhalten. Aufnahme von 1932. Bild: Bundesarchiv, Bild 102-13123 / CC-BY-SA-3.0

Die beiden Entwürfe Mies van der Rohes für ein Hochhaus an der Berliner Friedrichstraße von 1921/22 wurden nicht realisiert. Sie brillieren durch gläserne Vorhangfassaden vor dem Trageskelett, sei es aus Stahl oder Stahlbeton. Biegungen oder Zacken, Vor- und Rücksprünge spielen mit der Reflexion und der Brechung des Tageslichtes sowie der Transparenz des Materials. Die Bauten wirken wie Prismen. Die Bewegung des Lichts suggeriert, dass der Raum durch das Gebäude hindurchzuströmen scheint.

Was Paul Virilio in anderem Zusammenhang schrieb, trifft auf diese Entwürfe zu:

Wenn die Unbeständigkeit und Veränderlichkeit mehr gilt als die Form, so ändert das zunächst die Rolle von Tag und Licht. (...) Was man zu sehen bekommt, sieht man immer vermittelt über Beschleunigungs- und Verzögerungsphänomene, die in jedem Punkt mit Beleuchtungsintensitäten gleichgesetzt werden können.

Den umgekehrten Weg ist Erich Mendelsohn gegangen. Aus dem Stuttgarter Kaufhaus Schocken schlägt das künstliche Licht von innen heraus hart auf die nächtliche Straße, als wäre es ein "Straßenfilm". So scheint es auf Fotos, denn das Kaufhaus wurde in den Kahlschlagzeiten abgerissen.

Vorhangfassaden (Curtain Walls) kamen zeitgleich mit dem Bau von Bürohochhäusern auf. Waren in der "Gusseisenzeit", die St. Louis von 1850-1880 kennzeichnete, die Fronten etlicher Geschäftsbauten noch komplett und sichtbar vom Metall geprägt, verschwanden diese Strukturen ab 1887, als William Le Baron Jenney und Louis Sullivan unter Verwendung von Stahlskeletten in die Höhe bauten. Im Home Insurance Building von 1885 waren die äußeren Stützen des Skeletts von Mauerungen ummantelt, die als Blendsäulen ausgestaltet waren.

Auch Sullivans Wainwright Building von 1890/91 wurde durch zahlreiche Reliefs und einen stark ornamentierten Fries geschmückt. Dagegen steht die Betonung vertikaler Linien entlang der Fenster, unterstützt durch nichttragende Pfeiler. Sullivan rechtfertigte diese Fassade etwas kühn mit dem berühmt gewordenen Motto, dass die Form der Funktion folge. Er fasste es jedoch bescheidener auf: Aus einer guten inneren Konstruktion folgt die angemessene Bekleidung.

In den ersten "Kontor-Hochhäusern", das heißt Bürohäusern, war die Tragstruktur der früheren Fabrik- und Gewächshausbauten zunächst verpuppt. Als jedoch das Skelett und mit ihm die Stützen sich von den Ecken zurück- und und hinter die Fassade verzogen, war die Dekorierung hinfällig geworden und die Zeit der Vorhangfassaden aus transparentem Material gekommen. Dieses Prinzip kam zur Vollendung mit dem Bauhaus-Werkstattgebäude und schließlich dem Seagram-Wolkenkratzer (1958) von Mies van der Rohe.

Das alte Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel von Stützen und vorgeblendeten Säulen fand bei Sullivan noch die ironische Variante, dass er das Wainwright Building als ganzes wie eine antike Säule ausbildete mit den drei Teilen Basis, Schaft (übereinanderliegende Büroräume) und Kapitell. Ausgerechnet Adolf Loos, der jedwede Ornamentik als Verbrechen gebrandmarkt hatte, griff die Formel Säule = Haus mit einem Entwurf (1922) für den Sitz der "Chicago Tribune auf". Das Hochhaus sollte aus einer einzigen dorische Säule bestehen.