Zeitfresser

Mit Computern kann man Probleme lösen, die man ohne sie nicht hätte. Wobei: Heutzutage sollte man das Wort "Computer" durch das Wort "Apps" ersetzen.

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Nehmen wir nur mal die neue App der Software-Schmiede 6Wunderkinder. 6Wunderkinder ist eine von den "Tellerwäscher zum Millionär"-Erfolgsgeschichten, die in Berlin jetzt alle heiß machen: Dem Startup gelang mit der App "Wunderlist" ein Durchbruch und 2015 kaufte Microsoft den ganzen Laden für 200 Millionen Dollar.

Jetzt haben die Wunderkinder mit "Microsoft To-Do" ihre Hausaufgaben vorgelegt. Eine App, die zu DER Aufgabenverwaltung unter Windows werden soll – und die noch dazu auch auf Android und iOS laufen soll. Ja, ich weiß, streng genommen ist die App nicht völlig neu. Microsoft hat eine Vorab-Version der Software bereits im April vorgestellt. Und im Internet sind vier Monate ja schon fast anderthalb Jahre, aber für mich war das halt neu, und ein bisschen ist seit April tatsächlich passiert.

To-Do ist, wie der Name schon sagt, eine Anwendung für Notiz- und Aufgabenlisten. Verwaltungen für Aufgabenlisten gibt es im Netz, wie Sand am Meer. Damit wird man totgeschmissen. Leider taugen die alle nichts, weil sie unter schwerer "Featurities" leiden: Man kann so viel damit machen, dass der Aufwand für die Verwaltung einer simplen Liste von zu erledigenden Dingen mindestens dreimal höher ist, als die Erledigung selbst.

Also brauche ich was einfaches, und die Wunderkinder sollen es ja mit der Vereinfachung so richtig drauf haben. Tatsächlich macht die App auf den ersten Blick einen guten Eindruck. Neben der Liste "To-Do" gibt es die Liste "Mein Tag", der auf Knopfdruck die für heute anstehenden Aufgaben hinzugefügt werden können. Lustig ist auch die Option "Intelligent Suggestions": Drückt man auf eine stilisierte Glühlampe, macht die App Vorschläge, welche Aufgaben noch in Angriff genommen werden sollten.

Bei meinem Versuch einer neuen Aufgabe ein beliebiges Fälligkeitsdatum zuzuweisen, pralle ich allerdings auf die harte Realität des modernen Interface-Designs: Ich lege eine neue Aufgabe an, klicke drauf und halte meinen Zeigefinger auf dem Termin gedrückt, weil ich das bei Smartphones so gelernt habe. Festhalten ist so was ähnliches wie ein Rechtsklick am PC.

Tatsächlich geht ein Kontext-Menü auf, in dem ich die Fälligkeit der Aufgabe auf heute oder morgen legen kann. Ich kann sie auch löschen. Aber ich kann keinen beliebigen Termin dafür festlegen, kann sie nicht verändern oder eine Notiz hinzufügen. Nichts gegen sparsamen Einsatz von Features, aber das ist doch ein bisschen wenig, denke ich.

Ich versuche es im Einstellungs-Menü. Ich ändere die Reihenfolge meiner Aktionen. Ich lege eine neue Liste an, um auch dieses Feature zu testen. Einmal, bei einem Termin kann ich tatsächlich den Fälligkeitstermin ändern. Leider hab ich beim hektischen Rumprobieren nicht aufgepasst und kann das Kunststück nicht reproduzieren. Zehn Minuten vergehen, dann zwanzig und allmählich werde ich grantig.

Das kann doch nicht sein, denke ich, und frage eine Kollegin, die die App getestet hat. "Kein Problem", sagt sie, tippt lässig einmal kurz auf einen Termin, dann geht ein Kontextmenü auf – aber diesmal ein anderes, in dem steht "Fälligkeitstermin wählen". Argl. Wer programmiert sowas? Was lernen die eigentlich alle in ihren Coding-Akademien? Wenn ich etwas hasse, wie die Pest, dann sind es kontextabhängige Schaltflächen in Apps.

Manchmal glaube ich, dass die grauen Herren aus Momo wirklich existieren. Zeitvernichter, die ihre Lebensenergie daraus ziehen, Minuten und Stunden unschuldiger Menschen zu vernichten. Der einzige Unterschied zu dem Buch ist, dass die grauen Herren, die ich meine, nicht in der Zeitbank sitzen. Sie sitzen in einem Berliner Loft und programmieren eine App. (wst)