Atheisten werden als gefährlich betrachtet

Intuitiv, so eine Untersuchung, werden Verbrechen eher Atheisten zugeschrieben, die mangels Religion als moralisch haltlos gelten - was selbst Atheisten zu glauben scheinen

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Religion, so glaubt man vielfach, sei wichtig, um Gesellschaften zusammenzuhalten und für moralisches Verhalten zu sorgen. Dabei spielen Religionen immer eine wichtige Rolle bei der Ausgrenzung von Andersgläubigen und der Gewalt gegen diese, um die Glaubensgemeinschaft aufrechtzuerhalten.

Zu den verschiedenen, im Heilsanspruch miteinander konkurrierenden, mehr oder weniger extremen Religionen und Sekten kommen nun aber immer mehr Atheisten, die das religiöse Grund- und Gemeinschaftsgefühl zu gefährden scheinen. Sie können deswegen in sehr religiösen Gesellschaften gefährlich leben, auch deswegen, weil sie Ziel von Vorurteilen sind. Wissenschaftler haben nun in einer Umfrage mehr als 3000 Menschen, darunter neben Christen, Muslime, Hindus oder Buddhisten auch Atheisten, in 13 sehr religiösen und eher säkularen Ländern befragt, wie sie Atheisten wahrnehmen.

Die Autoren der Studie, die in Nature Human Behavior veröffentlichte wurde, gingen von einem kulturevolutionären Verständnis der Religion aus, nach dem Religion mit der Kooperation und dem Vertrauen in einer Gruppe verbunden ist. Das kann sich auch auf Angehörige anderer Religionen erweitern, aber nicht auf Nichtgläubige. Aus der kulturevolutionären Verschmelzung von Religion und Gruppe könnten Vorurteile gegen Atheisten auch in säkularen Gesellschaften weiter bestehen und selbst bei Atheisten zu finden sein.

Die Hypothese scheint dadurch bestätigt zu werden, dass mehrheitlich in allen Ländern, auch in vielen säkularen, Atheisten als amoralische Menschen betrachtet werden, die eher Verbrecherisches machen, weil sie keine Angst vor Bestrafung durch einen Gott haben. Religiöser Glauben wird "intuitiv als notwendiger Schutz gegen die Versuchungen eines amoralischen Verhaltens" verstanden. Weithin werden Atheisten daher als "moralisch niederstehend und gefährlich" angesehen, wie die Wissenschaftler schreiben.

Die Versuchsteilnehmer wurden nicht direkt gefragt, ob Atheisten amoralischer oder krimineller sind. Ihnen wurde die Geschichte eines Bösewichts vorgelegt, der als Kind bereits Tiere quälte und als Erwachsener, als ihm Tiere nicht mehr genügten 5 Obdachlose entführte und ermordete, die verstümmelten Leichen liegen in seinem Keller. Jeweils die Hälfte einer Gruppe wurde gefragt, ob der Bösewicht eher entweder ein Lehrer oder ein Lehrer ist, der gläubig ist, bzw. ein Lehrer, der an keinen Gott glaubt. Insgesamt wird der Mörder doppelt so viel als Atheist denn als Gläubiger eingestuft. Intuitiv würden die Menschen annehmen, dass Verbrecher eher Atheisten sind. Das war auch so in überwiegend säkularen Ländern wie in den Niederlanden, Hongkong oder in China, noch viel stärker in hochreligiösen Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, den Vereinigten Staaten oder Indien.

In den USA bezeichnen sich nur 4 Prozent als Atheisten und 5 Prozent als Agnostiker. In China sind 75 Prozent, in Hongkong 60 Prozent atheistisch oder agnostisch. In den Vereinigten Arabischen Emiraten sind Atheisten mit 0,6 Prozent praktisch nicht vorhanden, während in Tschechien fast 50 Prozent atheistisch oder agnostisch sind.

Auch einem Priester, der Kindesmissbrauch betrieben hat, wird unterstellt, nicht an Gott zu glauben

Um zu prüfen, ob der Verdacht nur auf Atheisten stärker bei schweren Verbrechen fällt, wiederholten die Wissenschaftler den Test bei einer kleineren Gruppe von Amerikanern, die mit Amazon Mechanical Turk angeworben wurden. Ihnen wurde beispielsweise die Geschichte einer 42-jährigen Frau vorgelegt, die auf Urlaub ist, in einem Restaurant isst und dann dieses ohne zu zahlen verlässt. Auch wenn es nur um Zechprellerei geht, sagten fast doppelt so viele, die Frau glaube nicht an Gott.

Bei einem anderen Test ging es um einen angesehenen Mann, der Kindermissbrauch begangen hat. Gefragt, ob es ein Priester oder ob es ein Priester ist, der an Gott glaubt bzw. nicht glaubt, blieb den Antwortenden nichts anderes übrigen, als den Priester zu nennen, sie hätten aber vorgezogen, dass es nicht an Gott an glaubt, also ein Atheist im Gewand eines Priesters ist.

Allerdings gibt es Ausnahmen. So fanden sich keine wirklichen Mehrheiten etwa in Finnland und Neuseeland, die Atheismus stärker mit Verbrechen verbanden, was allerdings auch bedeuten würde, dass die kulturevolutionäre Hypothese zumindest Brüche hat und dass in säkularen Gesellschaften Vorurteile gegenüber Atheisten abgebaut, während sie in hochreligiösen gefördert werden. Finnland und Neuseeland sind deutlich weniger säkular als etwa China, Tschechien oder Großbritannien. Man müsste natürlich auch fragen, inwieweit religiöse Menschen in stark säkularen Ländern mit Vorurteilen konfrontiert sind, sich hier also das Vorzeichen umdrehen könnte und man eher religiöse Extremisten für Untaten verantwortlich macht.

Das kümmert die Autoren offenbar nicht wirklich, die zum Schluss kommen, dass "unter Gläubigen und Atheisten in religiösen und säkularen Gesellschaften ein extrem intuitives moralisches Misstrauen weltweit evident" sei, auch wenn es stark zwischen säkularen und religiösen Gesellschaften variiert. Auch wenn Atheismus die Religiosität von Gesellschaften zurückdrängt, habe die Religion "offensichtlich eine tiefe und bleibende Spur in den menschlichen moralischen Intuitionen hinterlassen".