Der Geist des Hackens

Auflicht und Durchlicht: Eine Bildschirmbetrachtung.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Manche Dinge verwandeln sich durch die Digitalisierung unbeabsichtigt, andere widersetzen sich dem Transport durch die digitalen Medienkanäle. Im Mai 1991 kaufte Saito Ryoei, vormals Ehrenpräsident des japanischen Papierkonzerns Dai Showa, Vincent van Goghs Porträt des Dr. Gachet für 82,5 Millionen US-Dollar, damals für eine Weile der Welthöchstpreis für ein Gemälde (Seit Mai 2016 hält Picassos Les femmes d'Alger (Version "O") mit einem Kaufpreis von 179,4 Millionen Dollar den Spitzenrang). Als Saito 1996 starb, soll er gesagt haben: "Legt das Bild in meinen Sarg." Es wurde seither nicht wieder gesehen, jedenfalls das Original.

Natürlich ist das Bild längst im Internet wieder aufgetaucht, eine Folge des modernen Verschwindens – der Virtualisierung. Abermillionen Menschen haben seither das Porträt des Dr. Gachet gesehen, eine späte Genugtuung für Van Gogh und dazu noch ein schönes Bild der digitalen Demokratisierung. Auch für viel Geld lassen sich Dinge nicht mehr ganz aus der Öffentlichkeit in die Refugien der Exklusivität fortschaffen. Es ist nicht das Original, das im Netz zu sehen ist, ebensowenig wie es die Originale von Vermeer oder Rembrandt waren, auf die online in zeitweilig geradezu fanatischem Ausmaß zugegriffen wird. Aber das macht nichts. Die Aura des Originals, deren Verschwinden Walter Benjamin in seinem berühmten Aufsatz über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit beschrieben hat, ist einer Aura von Pop-Prominenz gewichen, die das Original im wahrsten Sinn des Wortes überstrahlt.

Der wesentliche Unterschied zwischen dem materiellen Van Gogh an der Wand (es gibt noch eine zweite Version des Porträts des Dr. Gachet, die im pariser Musée d'Orsay zu sehen ist) und dem digitalisierten Abbild besteht darin, dass jedes Tafelbild zur Betrachtung im Auflicht vorgesehen ist. Am Bildschirm verwandelt es sich in ein hypermodernes Kirchenfenster. In dem Durchlicht scheinen viele Bilder an Kraft zu gewinnen, und sie verändern sich. Das Bild wird zu etwas anderem, auch wenn kein Pixel verrückt ist. Das ist deshalb so schwer zu erkennen, weil es so offensichtlich ist: "Licht", wusste schon Marshall McLuhan, "ist reine Information".

Reproduktion suggeriert eine vollständige Widerholung des Originals. Angesichts der Digitalisierung sollte man den Aufsatz von Walter Benjamin deshalb updaten: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reduzierbarkeit. Wenn der Übergang in die digitale Welt ganz vollzogen ist, gibt es endlich nur noch Originale. Der Anhauch von Kirchenfenster hat mir übrigens in frühen Jahren einen Vorgeschmack auf das verschafft, was ich später als den Geist des Hackens erkannte.

Als ich Ende der Siebzigerjahre zum ersten Mal bei einem Bekannten vor einem Mikrocomputer saß und die BASIC-Codezeilen bestaunte, die er über den Bildschirm fließen ließ, fragte er: "Willst du auch mal?" Ich tippte ein HALLO und das Unfassbare geschah: Noch im selben Moment war das Wort im Fernsehen! (ein Begriff wie "Computermonitor" war uns nicht geläufig). Für jemanden, der mit dem Fernseher als einem Gerät aufgewachsen war, bei dem man nicht mehr als ein/aus, laut/leise und hell/dunkel einstellen konnte, war das ein weltverändernder Moment. Der Computer als die Maschine, die einen plötzlich in das Vakuum der Kathodenstrahlröhre eingreifen und wie ein Kirchenfenstermaler HALLO von hinten auf das Bildschirmglas schreiben ließ. Seit damals ist nichts mehr wie zuvor. (bsc)