Warum fliehen die Menschen in den Krieg nach Jemen?

IOM-Mitarbeiter helfen Migranten, die von Schleppern vor der Küste Jemens ins Meer geworfen wurden. Bild: IOM

Für viele Äthiopier und Somalier ist der Weg über Libyen nach Europa vermutlich zu teuer, nach dem brutalen Vorgehen von Schleppern könnte der Fluchtweg über Jemen in die Golfstaaten zu gefährlich werden

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Seit März 2015 hat der schon Jahre währende Bürgerkrieg im Jemen, in dem sich auch al-Qaida ausbreitete, mit der militärischen Intervention der saudischen Koalition eine neue Wende genommen und wurde zum verheerenden Stellvertreterkrieg. Seitdem wird auch durch die Luftangriffe das Land, das zu den ärmsten der Welt gehört und in dem 27 Millionen Menschen leben, weiter in Schutt und Asche gelegt. Armut, Hunger und zuletzt eine Choleraepidemie haben sich ausgebreitet.

Seit März 2015 wurden 10 Prozent der Bevölkerung vertrieben, gegenwärtig gibt es nach UN-Angaben 2 Millionen Binnenflüchtlinge. 7 Millionen Menschen brauchen dringend Hilfe, 14 Millionen leben unter Bedingungen der Lebensmittelunsicherheit - bei steigenden Lebensmittelpreisen. Für die Hälfte der Bevölkerung ist aufgrund der wirtschaftlichen Lage, vor allem in der Landwirtschaft, das Einkommen nicht mehr gesichert.

Trotz der katastrophalen Lage im Jemen ist es dort noch nicht zu einer Massenflucht gekommen. Die Menschen sind zu arm, das Land wird zu Land auf der See blockiert. Seit März 2015 sind aus dem Jemen gerade einmal 187.000 Menschen geflohen (Stand April 2017). 51.000 ins benachbarte Oman, 39.000 nach Saudi-Arabien, jeweils etwa 37.000 über das Meer nach Dschibuti und Somalia, 14.000 nach Äthiopien und 7000 in den Sudan. Viele also in Länder, die wie Äthiopien nicht nur unter einer Dürre leiden oder in denen hohe Armut und Arbeitslosigkeit herrscht wie in Dschibuti, sondern auch wie Somalia unter einem langwährenden Bürgerkrieg.

Weitaus erstaunlicher ist aber, dass auch in das Land mit einer erdrückenden humanitären Krise noch Menschen flüchten. Darauf wurde an gerade wieder durch Meldungen der Vereinten Nationen aufmerksam. Am Mittwoch hatte ein Schlepper, der mit 120 Flüchtlinge aus Somalia und Äthiopien auf seinem Schiff hatte, diese vor der jemenitischen Küste des Regierungsbezirks Ahabwa ins Wasser gewungen, als an der Küste Personen gesehen wurden, die nach Sicherheitskräften aussahen, um dann leer umzukehren und nach Somalia zurückzufahren. Geschätzt wird, dass 50 Migranten ertrunken sind. Eine Patrouille fand kurz nach am Verbrechen am Mittwoch am Strand von Shabwa 29 verscharrte Leichen. Durchschnittsalter der Migranten: 16 Jahre.

Gestern wiederholte sich der Vorgang, was dafür sprechen könnte, dass den Schleppern das Landen zu gefährlich wird und sie sich ihrer Kunden schnell entledigen, die sie teilweise in den Tod schicken. Gestern wurden nach einem Bericht der IOM bis zu 180 Migranten vor der Küste gewaltsam ins Meer geworfen. 5 Leichen wurden geborgen, um die 50 Menschen gelten als vermisst.

Über das Mittelmeer kommen nur wenige Migranten aus Äthiopien und Somalia

Was zieht Migranten ausgerechnet nach Jemen? Nach Angaben der Vereinten Nationen versuchen sie, über Jemen in die reichen Golfstaaten zu gelangen. Allerdings ist die Erfolgsquote relativ gering, wenn man die Zahl der Migranten betrachtet, die aus dem Jemen über dem Landweg nach Oman oder Saudi-Arabien kommen. Vermutlich ist die Überfahrt für die Menschen aus Äthiopien und Somalia - oder für die Kinder, die von ihren Eltern geschickt werden, um der Armut und dem Elend zu entkommen - nach Jemen wohl einfach billiger und erscheint als weniger gefährlich als die lange Landroute nach Libyen und die riskante Durchquerung des Mittelmeers.

Über das Mittelmeer erreichten 2017 bislang fast 117.000 Migranten Europa, 2400 starben. 2016 waren es 263.000, die es schafften, 3200 starben oder werden vermisst. Im Gegensatz zu Menschen aus Nigeria, Eritrea, dem Sudan, Senegal, der Elfenbeinküste oder Bangladesch kommen nur relativ wenige Migranten aus Somalia und aus Äthiopien über das Mittelmeer. In diesem Jahr waren es, Stand 30. Juli, 2103 aus Somalia und 595 aus Äthiopien.

2014 gelangten 91.000 Menschen aus Somalia und Äthiopien über den Golf von Aden nach Jemen, 2015 waren es 92.000 und 2016 bereits 98.000, davon 82.500 aus Äthiopien und 15.500 aus Somalia. Andere Länder spielen praktisch keine Rolle, was auch bedeutet, dass die Flucht nach Jemen durch die Nähe bedingt ist und die Migranten mit hohem Risiko nicht nur bei der Überfahrt von Somalia oder Dschibuti, sondern auch bei der Durchreise durch das Kriegsland Jemen rechnen müssen. Am kürzesten ist die Überfahrt von Dschibuti

Seit März 2015 sind nach UN-Angaben vom Horn von Afrika 207.000 Migranten nach Jemen gekommen, während umgekehrt aus dem Jemen nur 95.000 über das Meer geflohen sind. Am meisten offenbar somalische Rückkehrer und nur 28.000 Jemeniten. Weitere 90.000 schafften es nach Oman oder Saudi-Arabien. Bis März 2017 wurden über 2000 Boote gezählt, die Migranten vom Horn von Afrika nach Jemen brachten. Bis dahin seien nur 127 Migranten ertrunken. Das könnte nun schon in zwei Tagen "überboten" worden sein.