Libyen: NGOs ziehen Rettungsschiffe vorläufig zurück

Die "Sea-Eye", ein ehemaliger Fischkutter, bis vor kurzem im Seenotrettungs-Einsatz vor der libyschen Küste. Bild: Sea-Eye e.V.

Ärzte ohne Grenzen und Sea-Eye begründen ihre Entscheidung mit der "veränderten Sicherheitslage" und warnen vor einer "tödliche Lücke im Mittelmeer"

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Die libysche Marine hatte am Mittwoch vergangener Woche erklärt, dass sich Schiffe von einer in ihrer Ausdehnung unbestimmten "Such-und Rettungszone" vor der Küste Libyens fernhalten sollten. Die Erklärung war dezidiert an Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gerichtet (siehe Migranten: Libyens Marine warnt NGOs).

Zwei NGOs haben nun darauf mit einem vorläufigen Rückzug ihrer Schiffe reagiert. Als Begründung gaben sowohl die französische Organisation Ärzte ohne Grenzen wie deutsche NGO Sea Eye eine "veränderte Sicherheitslage" an.

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen, französisch Médecins sans frontières (MSF), reagierte als erste. Am gestrigen Samstag gab sie bekannt, dass die Seenotrettungs-Aktivitäten ihres Schiffes Prudence vor der Küste Libyens eingestellt werden.

Sicherheitsrisiken durch robuste Einsätze der libyschen Küstenwache

Die zuständige Seenotrettungsleitstelle (MRCC) in Rom habe die MSF direkt nach der Ankündigung der libyschen Marine auf die Sicherheitsrisiken, die damit für die Einsätze der NGOs verbunden seien, aufmerksam gemacht, erklärt die NGO MSF auf ihrer Homepage. Das Statement der libyschen Marine enthalte eine Drohung der libyschen Küstenwache angesichts möglicher Aufeinandertreffen mit NGO-Schiffen in der Zone.

Wo deren Grenzen genau liegen, ist nicht bislang nicht bekannt. MSF spricht von "internationalen Gewässern", die gemeint seien. Wie das hoheitsrechtlich zu bewerten ist, dafür stehen die Einschätzungen noch aus. Es ist ein politischer Akt, der eine Kursänderung signalisiert. Die libysche Marine will mit Unterstützung und der Mitwirkung Italiens, das der libysche Küstenwache mit zwei eigenen Schiffen auf Bitten des libyschen Regierungschefs Sarradsch aushilft, nun entschiedener gegen die NGOs vorgehen.

Das Ärzte-ohne-Grenzen-Schiff "Prudence" ist das größte NGO-Rettungsschiff, das bis dato im Mittelmeer Aktionen durchführte. Ende Mai hatte es 1.500 aus Seenot gerettete Migranten an Bord, ein "Rekord", berichtet Le Monde.

Gänzlich einstellen werden Ärzte ohne Grenzen ihre Aktivitäten vor der libysche Küste nicht, man werde weiterhin die Aquarius, ein Schiff der NGO SOS Méditerranée, unterstützen, um deren Kapazitäten zur Seenotrettung aufrechtzuerhalten.

Am heutigen Sonntag zog die deutsche NGO Sea Eye nach. Sie hat, wie aus ihrer Erklärung hervorgeht, "schweren Herzens" beschlossen, die "geplanten Rettungsmissionen im Mittelmeer vorerst auszusetzen". Die NGO hatte bislang zwei kleinere Schiffe im Einsatz, die Sea-Eye und die Seefuchs.

Der Gründer der Organisation Michael Buschheuer begründete, wie zuvor die Ärzte ohne Grenzen, die Entscheidung mit der veränderten Sicherheitslage: "Eine Fortsetzung unserer Rettungsarbeiten ist unter diesen Umständen aktuell nicht möglich. Wir können dies auch gegenüber unseren Crews nicht mehr verantworten."

Warnung vor mehr Toten im Mittelmeer

Man werde die neue Lage genau analysieren und über das weitere Vorgehen beraten. Buschheuer spricht davon, dass mit dem Rückzug "eine tödliche Lücke im Mittelmeer hinterlassen" würde. Auch bei den Ärzten ohne Grenzen wird davor gewarnt, dass nun eine Rettungslücke entstehe. Es werde mehr Tote im Meer geben und mehr Menschen, die in Libyen "in der Falle" sitzen, erklärt die Chefin der MSF-Operationen, Annemarie Loof.

Ohne die NGO-Schiffe wird es nicht genügend Kapazitäten geben, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Diejenigen, die nicht durch Ertrinken umkommen, werden nach Libyen zurückgebracht, wo sie der Unsicherheit und willkürlichen Inhaftierungen ausgesetzt sind.

Annemarie Loof, MSF

An der Äußerung wird der zentrale wunde Punkt der Diskussion über die Einsätze der NGOs sichtbar. Während die NGOs ganz eindeutig davon ausgehen, dass Libyens Häfen kein sicherer Anlaufpunkt sind, um gerettete Migranten dorthin zu bringen, sucht Italien nach Entlastung für die große Anzahl von Migranten, die in seine Häfen gebracht werden. Was die Situation der Migranten in Libyen betrifft, so spielt das eine zweitrangige Rolle. Libyen soll sich darum kümmern, so sieht die politische Abwehrlösung aus.

Die NGOs wurden in den vergangenen Wochen stark unter politischen Druck gesetzt, ihre Seenotrettungsarbeit wurde mehr und mehr als Teil einer großen "Abholaktion" dargestellt. Italien hatte ein Verhaltenspapier für die NGOs ausgearbeitet, das allerdings von vielen NGOs, zum Beispiel von MSF, noch nicht unterzeichnet wurde. SOS Méditerranée unterzeichnete am Donnerstag, nachdem der Passus geändert wurde, der vorsah, dass Polizisten "mit Waffen" an Bord von NGO-Schiffen mitfahren müssen.