Libyen: General Haftar will 17 Milliarden von der EU für die Grenzsicherung

Foto: sea-eye.org

Eine weitere NGO stellt ihre Seenot-Rettungsmission vorübergehend ein. Wie wird das Schleuser-Business darauf reagieren?

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Nach der französischen NGO Ärzte ohne Grenzen und der deutschen Sea-Eye hat mit der britischen Organisation Save the Children die nächste Nichtregierungsorganisation ihre Seenot-Rettungsmission eingestellt (siehe Libyen: NGOs ziehen Rettungsschiffe vorläufig zurück. In ihrer Erklärung führt auch diese NGO die Warnung der libyschen Marine an, künftig härter gegen NGO-Schiffe vorzugehen. Man bangt um die Sicherheit der Besatzung. Der Stopp sei vorläufig.

In der Stellungnahme der NGO taucht zum ersten Mal eine Angabe dazu auf, wie weit sich die "Such-und Rettungszone" vor der Küste Libyens, auf welche die libysche Marine bzw. Küstenwache ihre Souveränitäts-Ansprüche erhebt und durchsetzen will, erstrecken soll:

Es wird berichtet, dass die libyschen Behörden ihre SAR(search and rescue)-Zone von 12 Seemeilen auf 70 Seemeilen vergrößert hat. Das ist, wie viele argumentieren, eine Ausdehnung auf internationales Gewässer.

Save the Children

Das Schiff der NGO, Vos Hestia, sei auf dem Weg nach Malta, heißt es in der Erklärung. Dann werde beraten. Nach einer englisch-sprachigen Meldung der italienischen Nachrichtenagentur ANSA vom Montag, den 14. August, soll derzeit nur mehr ein NGO-Schiff SAR-Aktionen vor Libyen durchführen: die Aquarius von SOS Mediterranee.

Zahlen-Kino

Ob dem so ist, muss ich noch herausstellen. Es sind noch andere Organisationen mit SAR-Missionen im Mittelmeer befasst, die auf der Liste der Identitären noch nicht durchgestrichen sind. Dort freut man sich über die Reaktionen der von ihnen geschmähten NGOs. Der ANSA-Bericht enthält übrigens eine Information, die der übertriebenen Zahlen-Darstellung der Identitären zuwiderläuft. Diese machen damit politisch Kampagne, dass die NGO-Schiffe "Hunderttausende von Migranten" nach Europa bringen würden.

Die ANSA-Angaben relativieren die Aussagen des Politik-Kinos der rechten Gruppierung. Demnach haben die NGO-Schiffe im vergangenen Jahr 46.796 Menschen aus Seenot gerettet. Das mache etwa 38% aller derjenigen aus, die in vergangenes Jahr in Italien ankamen. In den ersten vier Monaten 2017 seien es 12.646 Migranten gewesen, die aus Seenot gerettet und nach Italien gebracht wurden. Das entspreche ungefähr 35 Prozent der Gesamtzahl.

Die Operation Sophia

Nun kann man aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre mit Zahlenangaben zu Flüchtlingen und Migranten argumentieren, dass solche Angaben oft vorläufig sind, ungenau und später korrigiert werden. Allerdings ist der Unterschied in der Dimension - Hundertausende gegenüber Zehntausenden - ersichtlich. Mehr oder weniger unterschlagen wird von den Zeloten der "Verteidigung Europas" der Anteil der EU-Operation Sophia an der Seenotrettung.

Vergangene Woche rettete das irische Schiff LÉ William Butler Yeats weit mehr als Hundert in Seenot geratene Migranten vor der Küste Libyens. Das Schiff operiert im Rahmen der Operation Pontus, die zur Operation Sophia gehört. In den letzten beiden Jahren Jahr retteten alleine irische Marineeinheiten fast 16.000 Migranten.

Dass sich die rechte Kampagne gegen die "Abholer" völlig auf die NGOs konzentriert, hat mehr mit einer kulturkämpferischen Entwertungs-Kampagne gegen das "Gutmenschentum" zu tun (Woher kommt der Hass auf die Seenotretter als mit einer politisch genauen Sicht auf die Verhältnisse.

De Maizière und Alfano für einen kompromisslosen Kurs

Gleichwohl: Auch der italienische Außenminister Alfano und der deutsche Innenminister de Maizière dürften nicht unglücklich über den vorläufigen Missionsstopp der NGOs sein und - auch in der Öffentlichkeit gibt es Beifall, wie an Kommentaren unter entsprechenden Berichten zu sehen ist. Alfano und de Maizière haben den kompromisslosen Kurs gegen die NGOs abgestimmt. Die libysche Regierung unter Sarradsch hat entprechend ihrer Abhängigkeit gehandelt. Sie ist in großem Maße abhängig von Italien und der EU.

Alfano verweist auf erste Erfolge eines Schwenks in der Politik gegenüber Migranten aus Libyen. Die Zahlen waren im Juli rückläufig. Die Frage ist nun, ob das eine Ausnahme war oder ob die härtere Gangart, deren wichtigstes Element darin besteht, so viele Migranten wie möglich nach Libyen zurückzubringen, auf längere Frist Erfolg hat.

Wie stehen die Erfolgsaussichten gegen das Geschäftsmodell?

Die NGOs sagen voraus, dass es mehr Tote geben wird, was heißt, dass ihrer Ansicht nach das Abschreckungssignal ("Die Schlepper können sich nicht mehr darauf verlassen, dass ihre seeuntauglichen mit Migranten überladene Boote gerettet werden") nicht so stark funktionieren wird, wie dies propagiert wird.

Die Frage ist allerdings, ob sich ein extrem erfolgreiches Geschäftsmodell wie das der Schlepperei, davon abschrecken lässt. Laut einem Papier der Crisis-Group bringt das Schleusergeschäft durch Libyen jährlich Einkünfte von geschätzt zwischen 1 und 1,5 Milliarden Dollar. Davon profitieren mehrere Milizen und Stämme.

Eine Hypothese des Papiers lautet, dass man von außen gar nicht so viel Geld hineinbringen kann, um direkt und unmittelbar den Profit zu kompensieren, den Beteiligte am Schleusergeschäft bereits haben. Als Beispiel wird von einem Journalisten, der dem Tebu-Stamm angehört, der Verdienst eines Taxifahrers genannt, der Migranten von der libysch-nigerischen Grenze zum Handelsknotenpunkt Sebha bringt.

In einem Monat verdiene er damit etwa vier Mal so viel wie ein Polizist, 500 Dollar, wird am Anschauungsbeispiel erklärt. Wobei hinzugefügt wird, dass die regelmäßigen Einnahmen dem Fahrer bald erlauben, sich selbst ein Auto zu leisten und sein eigenes Geschäft aufzumachen, das sehr schnell einen Return für die Investition einfährt.

Die Hauptthese des Papiers der Crisis-Group besteht darin, dass der Süden Libyens eine schwierige, weil von vielen Interessen, Milizen, Stämme und Ethnien umkämpfte, lukrative Zone ist. Durch Fezzan läuft der der Hauptstrom der Migranten, die an die libysche Küste wollen. Geordnete Verhältnisse sind erstmal nicht in Sicht.