Dieselgate - oder wie man sich selbst belügt

Alle vermeintlichen Klimaschützer bekommen glänzende Augen, wenn es um Fahrverbote und geringere Grenzwerte geht. Leider nur bedeuten Grenzwerte nicht viel, wenn auf Teufel komm raus weiter gefahren und Öl verfeuert wird

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Dieselgate bringt es an den Tag. Der Diesel ist nicht nur das Objekt absurder Manipulationen der Automobilhersteller, sondern auch und viel schlimmer, der Umweltfeind Nummer eins. Weil er in Stuttgart die Neckarstraße derart verdreckt, dass dort die europäischen Feinstaub- und Stickoxydgrenzen regelmäßig gerissen werden. Was dagegen zu tun ist, liegt auf der Hand: Fahrverbote, ob nur für Stuttgart oder nur für die Neckarstraße oder gleich für die ganze Welt, ist nicht entscheidend.

Beim Wort "Fahrverbote" bekommen auf jeden Fall die vermeintlichen Klimaschützer glänzende Augen. Verbote, das klingt gut, das klingt wirklich nach Action und nicht nur nach neuen politischen Kompromissen um Arbeitsplätze und Klimapolitik. Jetzt endlich retten wir die Welt und mit dem Garaus für den Diesel in Stuttgart fangen wir an. Doch gemach. Wer gerne etwas verbieten will, muss erst einmal wissen, was wirklich großen Schaden anrichtet.

Die Kleinigkeit, die bei der extrem emotional geführten Debatte nämlich üblicherweise übersehen wird, ist die schlichte Tatsache, dass bisher fast ausschließlich über Grenzwerte geredet wird. Und zudem über Grenzwerte für einzelne Automodelle. Wer verschmutzt eigentlich die Neckarstraße? Nur die Dieselfahrzeuge, die die europäischen Normen nicht einhalten?

Sind es nicht auch die anderen, die permanent diese Straße auf und ab fahren, selbst wenn sie die Grenzwerte einhalten? Wer verschmutzt eigentlich die Neckarstraße mehr, derjenige, der mit seinem alten, aber sparsamen Diesel diese Straße zwei Mal am Tag auf und vom Weg zur Arbeit fährt oder der, der mit einem die Grenzwerte einhaltenden SUV jeden Tag die Straße viermal durchquert?

Was muss verboten werden?

Betrachten wir ein einfaches Beispiel. Ein Arbeitnehmer fährt mit einem Diesel, der nur die Euro 4 Norm einhält, aber auch nur vier Liter pro hundert Kilometer verbraucht, jeden Tag 3,5 Kilometer in die Stuttgarter Innenstadt und abends 3,5 Kilometer wieder heraus. Ein Stuttgarter Vorstandsvorsitzender aber, der einen neuen die Euro 6 Norm erfüllenden großen Diesel fährt, der in der Stadt mindestens zehn Liter pro hundert Kilometer frisst, lässt sich von seinem Chauffeur jeden Tag zig Kilometer quer durch die Stadt fahren und dabei zehn Mal durch die Neckarstraße. Der Arbeitnehmer reißt den Grenzwert und folglich muss sein Diesel verboten werden. Der Unternehmer fährt lustig weiter, weil er ja den Grenzwert einhält. Wer hat wohl die Neckarstraße mehr verschmutzt?

Und was ist mit den Benzinern? Die stoßen ja auch keine Zuckerwatte aus. Wann verbieten wir die Durchfahrt von Porsche Carraras, die in der Stadt zwanzig Liter pro hundert Kilometer schlucken? Wann die Ferraris und die Riesen-SUVs, bei denen es wohl eher dreißig sind? Aber auch das reicht nicht aus. Wann wird verboten, dass jemand überhaupt unsinnigerweise mit dem Auto in die Stadt fährt? Muss man nicht jeden fragen, ob er einen triftigen Grund hat, nach Stuttgart zu fahren. Es geht doch nicht an, dass man dem kleinen Pendler die Einfahrt zu seiner Arbeitsstelle verbietet, aber denen, die nur aus Jux und Dollerei mal in Stuttgart an dem Ampeln ihre PS vorführen wollen, freie Fahrt gibt?

Man sieht, wenn man einmal mit dem Verbieten anfängt, kann man nicht so leicht aufhören. Was ist mit dem Kegelclub aus Stuttgart, der am Wochenende für 40 Euro pro Mann mit einem Billigflieger nach Malle fliegt, um sich gehörig die Hucke vollzusaufen? Muss man doch verbieten - oder? Was ist mit den vielen tausend Fans, die sich jedes Wochenende in ihr Auto schwingen, fünfhundert Kilometer fahren, um irgendwo eine Rallye abzuhalten oder ein Autorennen anzuschauen? Verbieten!

Formel eins? Sofort verbieten, weil größte einzelne Dreckschleuder des Planeten! Aber auch die hundert Kilometer Fahrt mit dem Auto von Stuttgart in den Schwarzwald, um dort zwei Stunden in der guten Luft (!) zu wandern, erfüllt nicht die Voraussetzungen, die wir aufgeklärten Menschen an einen sinnvollen Umgang mit fossiler Energie stellen. Was ist mit den tausenden von reichen Kreuzfahrern, die nichts Besseres zu tun haben, als sich mit dem dreckigsten aller Dieselmotoren rund um die Welt schippern zu lassen? Ohne Vorwarnung verbieten!

Ohne Preisanpassung auch keine Mengenanpassung

So geht das! In solche Widersprüche verstrickt man sich, wenn man einerseits den Menschen nahe bringen will, sie sollten auf die Nutzung fossiler Energieträger weitgehend verzichten, sich aber nicht traut zu sagen, was das wirklich heißt bzw. was das wirklich kostet. Um Kosten geht es nämlich in erster Linie. Weil fossile Energieträger "nichts" kosten, werden sie auf Teufel komm raus verfeuert wie die obigen Beispiele zeigen. Wer ernsthafte Klimapolitik betreiben will, muss sie teuer machen, alles andere ist Schall und Rauch.

Man kann tausendmal über die Millionen von Produkten klagen, die nicht in der (heute geradezu heiligen) Region erzeugt werden, sondern um die halbe Welt fliegen, um in unseren Supermärkten und auf unseren Tellern zu landen, so lange der Transport quasi nichts kostet, wird das weitergehen bis zum Sankt Nimmerleinstag. Wen haben die Ölpreisschocks der siebziger und achtziger Jahre geschockt? Was die vielen Appelle an die Bürger genützt, vernünftig mit der Natur umzugehen?

Was die jahrelange Berieselung mit Warnungen vor dem Armageddon des Klimawandels, der unvermeidlich sei, wenn wir nicht schleunigst aus der fossilen Wirtschaft aussteigen? Nicht viel mehr als nichts! Die Autos können gar nicht genug PS haben. Niemand geht ernsthaft auf die Barrikaden, wenn die Industrie nur irrsinnig zu nennende PKWs mit 500 PS anbietet. Bald müssen es sicher tausend sein, weil jedes neue Modell ja immer schneller sein muss als das alte.

Deutschland bewegt sich nur deswegen überhaupt in Richtung seines selbstgesteckten Klimaziels, weil man 1990 als Ausgangsjahr gewählt hat und der Zusammenbruch der DDR einen wundersamen und den bisher absolut größten Klimabeitrag erbrachte. Trotz Energiewende und Hunderten von Milliarden an Investitionen sinkt selbst in Deutschland der CO2 Ausstoß seit vielen Jahren nicht (2016 ist er sogar gestiegen), weil die Einsparungen bei der Stromerzeugung von Mehrverbrauch fossiler Energieträger an anderer Stelle, vorneweg vom Verkehr, ausgeglichen werden.

Der wahre Skandal hinter Dieselgate: der Ölpreis

Der wahre Skandal hinter Dieselgate ist die Tatsache, dass der reale Ölpreis heute nicht höher ist als 1970, also vor der ersten Ölkrise. Dieser Preis ist mit Abstand das wichtigste Markt-Signal, das eine von den Staaten durchgesetzte Klimapolitik aussenden müsste. Vergleicht man jedoch die Belastung der privaten Haushalte in Deutschland durch die Kosten für Treibstoff im Jahr 2016 mit der des Jahres 1970, kann man sich nur an den Kopf fassen.

Bei einem Durchschnittseinkommen pro Jahr von 7000 Euro zahlte man 1970 für 10 Liter Benzin etwa 2,5 Euro, also ganz knapp 14 Prozent vom täglichen Einkommen. Im Jahr 2016, bei einem Einkommen von 33 000 € sind es genau 14 Prozent! Man stelle sich das vor: Mehr als 40 Jahre lang wird den Menschen erzählt, man müsse sich umstellen, das fossile Zeitalter gehe zu Ende und nichts, absolut nichts ist passiert in Sachen eines klaren Signals, dass es wirklich zu Ende geht.

Gleichzeitig huldigen fast alle der Marktwirtschaft wie einem Götzen. Aber das wichtigste, was ein Marktwirtschaft kann, nämlich Preissignale weiterleiten und in effiziente Aktion praktisch aller Wirtschaftssubjekte umsetzen, das will die Mehrheit auf keinen Fall haben. Anpassen tun wir uns nur da, wo es nicht weh tut. Subventionen darf der Staat in der Marktwirtschaft geben, die Anpassung an veränderte Knappheit (oder an vom Staat bzw. den Staaten gewollte Knappheit) aber, das darf man nicht von uns verlangen.

Ich habe es schon oft gesagt (hier zuletzt), aber man kann es nicht oft genug wiederholen: In einer globalen Marktwirtschaft wird es keinen Abschied von der fossilen Energieträgern geben, ohne dass eine fundamentale und langandauernde politisch inszenierte Wende bei den Preisen für diese Energieträger zustande kommt.