Jetzt wird Deutschland wieder mal mit Wahlplakaten zugestellt

Foto: Christoph Jehle

Fünf Wochen vor der Bundestagswahl hängen sie wieder landauf, landab und verstellen den Blick auf die Landschaft

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Seit zwei Wochen läuft in Deutschland der Plakatwahlkampf für die Bundestagswahl im September. Auf dem Land richtet er sich auch diese Jahr vorwiegend an die Automobilisten. Vor Kreisverkehren oder an Straßenkreuzungen wollen sie Aufmerksamkeit erheischen und lenken mehr oder weniger stark vom Verkehrsgeschehen ab. Wer nicht mit dem Auto oder mit dem Regionalbus unterwegs ist, wird von den vierfarbigen Plakatwänden nur wenig sehen. Radfahrer bekommen jetzt zumeist nur die Politikerportraits zu Gesicht, die an Laternenmasten Sturm und Regen trotzen. Bei den Laternenmasten gibt es in machen Bundesländern die Einschränkung, dass eine Partei nur jeweils jede zweite Laterne belegen darf.

Im Wahlkampf dürfen die Parteien überall dort ihre Affichen platzieren, wo sie hoffen, dass sie wahrgenommen werden. Da es sich um eine Straßensondernutzung handelt, sind die Wahlhelfer der jeweiligen Parteien verpflichtet, für die Aufstellung der Wahlplakate eine Sondernutzungserlaubnis zu beantragen. Diese ist gebührenfrei, sollte jedoch gut einen Monat vor dem Aufstellen der Plakatwände beantragt werden. Die zuständigen Gemeindeverwaltungen haben so gut wie keine Handhabe, den Wettstreit entlang der Straßen zu unterbinden.

Die Plakataktionen gelten als Ausdruck einer gelebten Demokratie und genießen damit zahlreiche im Laufe der Jahrzehnte erlangten Sonderrechte hinsichtlich der Plakatstandorte. Die politischen Parteien befinden sich hier in einer Sonderposition, die nur wenige Gruppierung in Deutschland für sich reklamieren können. Vergleichbare Rechte zur Plakatierung gibt es jenseits der Wahlen nur für Volksbegehren und Volksentscheide, wo sie ebenfalls der politischen Willensbildung dienen.

Die Großplakate der politischen Parteien zählen nicht zuletzt aufgrund ihrer Aufstellungsprivilegien inzwischen zu den Dinosauriern des Werbekosmos. Im Bereich der Produktwerbung wurden sie inzwischen vielfach durch Auftritte im Internet abgelöst. Die Wahlwerbung scheint jedoch wenig kreativ an den Großflächenplakaten hängen geblieben zu sein.

Ist das Abreißen, Überkleben oder Übermalen Teil der erlaubten politischen Auseinandersetzung?

Die knappe Antwort lautet: Nein. Die Beschädigung von Wahlplakaten ist strafbar. Es drohen bis zu zwei Jahren Haft. Dazu muss man des Täters jedoch habhaft werden. Anzeigen gegen unbekannt liefen in der Vergangenheit jedoch meist ins Leere und so zeigen die betroffenen Parteien solche Beschädigungen heute kaum noch an. Die Delikte tauchen damit auch in den Polizeistatistiken nicht mehr auf. Das Verschwinden aus der Statistik bedeutet jedoch nicht, dass diese Art von unerlaubter Meinungsäußerung seltener geworden ist.

Je länger die Wahlplakate zu sehen sind, desto mehr häufen sich die mehr oder weniger kreativen "Bearbeitungen" der Motive durch politische Widersacher oder simple Spaßvögel. Zu den Klassikern zählt hier das schnell gemalte Hitlerbärtchen oder die Verfremdung eines Kandidatennamens. So ließ sich bei einem jetzt nicht mehr antretenden Kandidaten der Vorname Gernot durch Überstreichen oder -spritzen der ersten Silbe in ein ″not″ verwandeln.

Ein Übermalen von Wahlplakaten gilt jedoch nach § 303 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) als Sachbeschädigung. Weil sich die auf das Wahlplakat aufgebrachte Farbe so mit dem bedruckten Papier verbindet, dass ein Entfernen mit einem verhältnismäßig hohen Aufwand verbunden ist, spricht man hier sogar von einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung der Substanz. Dennoch gilt das Übermalen von Wahlplakaten nicht als sogenannte gemeinschädliche Sachbeschädigung gemäß § 304 StGB, denn die politischen Parteien nehmen keine öffentlich-rechtlichen Befugnisse wahr. Damit sind Wahlplakate keine Sachen, welche dem öffentlichen Nutzen dienen.

Der rechtliche Schutz von Wahlplakaten gegen Beschädigungen gilt übrigens auch, wenn die Übermalung einen Slogan trifft, der möglicherweise den Tatbestand einer Volksverhetzung erfüllt. Ob sich der für die Plakatierung Verantwortliche auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen kann oder sich einer Volksverhetzung schuldig gemacht hat, muss jeweils vor Gericht entschieden werden.

Auch eine mehr oder weniger umfangreiche Modifikation oder Entfernung wäre ein Fall von Selbstjustiz, der in Deutschland nicht zulässig ist. Wer Wahlplakate abhängt oder ganze Plakatwände wegträgt, muss zudem mit einer Anzeige wegen Diebstahls rechnen. Das Entfernen von Wahlplakaten zählt somit nicht zu den zulässigen Instrumenten im Rahmen der politischen Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen. Dies gilt für alle nicht erbotenen Parteien. Sie dürfen sich am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess beteiligen, auch wenn ihre Absichten und Ziele so manchem Bürger die Haare zu Berg stehen lässt.

Was sieben Wochen vor der Wahl aufgestellt werden darf, muss eine Woche nach der Wahl wieder abgebaut werden. Nicht selten werden die noch stehenden Plakatwände unmittelbar nach der Wahl überklebt. Manchmal bedankt sich die jeweilige Partei dafür, dass sie wiedergewählt wurde. Manchmal handelt es sich auch um mehr oder wilde Werbeplakatierung, die in manchen Fällen unter den Wahlplakaten verborgen war und unmittelbar nach der Wahl das Licht der Öffentlichkeit erblickten. Deren kurzes Leben endet jedoch mit dem Abbau der Plakatwände.