Tal Afar: Was kommt nach dem IS?

Bild: Twitter, @IraqiSecurity

Die Offensive zur Befreiung der Stadt aus den Händen der Extremisten hat begonnen. In der Vergangenheit war Tal Afar schon einmal eine Hochburg von al-Qaida

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Die nächste von der IS-Miliz besetzte Stadt harrt ihrer Zerstörung. Am vergangenen Sonntag verkündete der irakische Premierminister in schwarzer Uniform den Fernsehzuschauern den Start der Offensive auf Tal Afar. Die Stadt im Nordwesten des Irak ist, wie der Blick auf die Karte sofort erschließt, von strategischer Bedeutung.

Sie liegt auf dem Weg zwischen dem 70 Kilometer entfernten Mossul und der syrischen Grenze, die, wie die türkische Grenze, etwa 60 Kilometer entfernt ist. Sindschar ist der nächste größere Ort auf der Hauptverkehrsader in Richtung Syrien. Die Umgebung - Syrien, Türkei, die kurdische Autonomieregion im Irak und auch Iran kann man hinzuzählen -, macht allein schon ersichtlich, dass verschiedene Parteien mit unterschiedlichen Interessen die Vorgänge in Tal Afar genau verfolgen bzw. mitbestimmen wollen. Dazu kommen die Interessen der USA.

Deren Luftwaffe unterstützt wie schon in Mossul die Offensive irakischer Armee- und Polizeiverbände sowie der von den USA ausgebildeten irakischen Counter-Terrorism-Spezialeinheiten. Beteiligt sind auch wieder schiitische PMU-Milizen, um deren Einsatz es wie zuvor in Mossul Kontroversen gegeben hat.

Hoffnungen auf eine schnellere Eroberung als in Mossul

Nach jüngsten Meldungen kommen die irakischen Einheiten rasch voran. Laut Twitter-Beobachtungsposten soll eine PMU-Einheit und eine Panzereinheit der irakischen Armee bereits die Umgebung der Zitadelle erreicht haben. Solche Meldungen sind allerdings von einem Enthusiasmus für möglichst gute Kriegs-Neuigkeiten getragen und deshalb mit Vorsicht zu behandeln.

In anderen, detaillierteren Lageberichten wird aber ebenfalls ein Vormarsch der irakischen Kräfte deutlich, der einige Stadtteile erobert hat. Auf einer Lage-Karte ist zu sehen, dass die IS-Milizen den allergrößten Teil der Stadt kontrollieren.

Erwähnenswert ist, dass das Gebiet, das zu erobern ist, die Stadt Tal Afar und Umgebung, laut der Publikation Niqash, "doppelt so groß ist wie das Areal von Mossul-Stadt".

Gleichwohl ist die US-Kommandantur auf Optimismus bedacht ("ISIS is on the run", Mattis) und auch in der irakischen Führung dürfte man sich Hoffnungen machen, dass die IS-Milizen, die die Stadt seit 2014 unter Kontrolle haben, schneller und leichter besiegt werden könnten als in Mossul.

Dem entgegen steht, dass das Zentrum von Tal Afar ebenso von engen Gassen geprägt ist wie in Mossul und wie dort befürchtet man, dass viele Häuser vermint sind, auch Tunnels hat man entdeckt. Das Szenario gleicht dem in der kürzlich eroberten Stadt. Der Häuserkampf hat schon begonnen und keiner kann voraussagen, wie lange er sich hinziehen wird. Für eingesperrte Bewohner sind es Ewigkeiten.

Der militärische Erfolg zählt vor allem

Manche Berichte sprechen von lediglich 1.000 IS-Kämpfern, andere von bis zu 2.000, die sich in der Stadt verschanzt haben und sehr viel Zeit hatten, sich auf den Häuserkampf vorzubereiten. Die Schätzungen, wie viele Bewohner sich noch in Tal Afar aufhalten, variieren ebenfalls. Vor der Einnahme der Stadt durch den IS im Jahr 2014 wohnten dort laut Niqash etwa 300.000 Menschen.

Jetzt schwanken die Angaben zwischen 10.000 und 50.000. Das UNHCR bereitet sich auf einen größeren Andrang von Flüchtlingen in den kommenden Tagen vor. 9.000 seien in den letzten Tagen gekommen, man habe Platz für mehr als 30.000.

Die Versorgungslage in der Stadt für das Notwendigste werde immer schwieriger, so Lise Grande, die UN-Koordinatorin für humanitäre Hilfe. Die meisten Geflüchteten kämen mit Dehydrierungserscheinungen an. Es herrschen Temperaturen von bis zu über 50 Grad in den wüstenähnlichen Gebieten, welche die Flüchtlinge durchqueren, ist in einem Oxfam-Bericht zu erfahren.

Auch bei dieser Offensive soll in der Außendarstellung allerdings der militärische Erfolg gegen den IS im Mittelpunkt stehen. Wie im Fall Mossul achtet die Regierung in Bagdad darauf, dass die guten Nachrichten dominieren. Die Berichte in den internationalen Medien folgen dem Narrativ. Viele Berichte beginnen mit dem Satz, dass es sich bei Tal Afar um die letzte große IS-Bastion handelt und den IS-Milizen eine vernichtende Niederlage beigebracht werden wird.

Angst vor der Wiederkehr der Extremisten

Schaut man sich die jüngere Vergangenheit der Stadt an, so zeigt sich, dass sich in Tal Afar schon im letzten Jahrzehnt, nach dem Einmarsch der US-Truppen mit Verbündeten, ein Widerstand gebildet hat, der mit al-Qaida in engster Verbindung stand. Tal Afar musste von den US-Truppen Anfang 2006 zum zweiten Mal befreit werden und was damals an Befürchtungen geäußert wurde, ist auch mehr als zehn Jahre später ein Problem - die Angst vor der Wiederkehr der Extremisten:

Nach einem Bericht der Washington Post, für den Bewohner von Tal Afar befragt wurden, scheint aber die Angst vor den zurückkehrenden Aufständischen wiederzukehren. Es seien auch schon wieder Menschen in der Stadt getötet worden, weil sie mit den Amerikanern kooperiert hatten. Andere fürchten, dass die Stadt wieder von den al-Qaida-Anhängern übernommen werden könnte, wenn sie die Amerikaner wieder weiter zurückziehen.

Telepolis, 21.März 2006

Im rückeroberten Mossul wurden auch in der jüngsten Vergangenheit noch immer IS-Schläferzellen entdeckt. Das ist nur ein Indiz oder Symptom für das Phänomen, dass es nicht einfach sein wird, "die Guten von den Bösen" zu trennen und das Extremismus-Problem schnell loszuwerden

Dazu kommen die Spannungen, die mit dem Einsatz der schiitischen Milizen verbunden sind. Früher lebten auch Schiiten in Tal Afar, seit der Eroberung durch den IS heißt es, dass die Schiiten aus der Stadt geflohen seien. Mit den PMU-Einheiten als Sieger der Offensive ist das Risiko gegeben, dass es zu Racheaktionen kommt. Für einen Wiederaufbau in einem neuen Geist sind das schwierige Aussichten.

Erdogan und die PMU

Zumindest einer, der die Spannungen um Tal Afar eine ganze Zeit lang verstärkt hat, hält sich augenblicklich zurück: der türkische Präsident Erdogan. Er ist offensichtlich mit dem dringlicheren Kurden-Problem und vielleicht auch mit innenpolitischen Problemen befasst.

Vor Monaten hatte Erdogan noch hart auf den Tisch geklopft. Die PMU-Einheiten sollten keine Rolle spielen und sich aus der Stadt heraushalten. Zwar mag man ihm das versprochen haben, wie Niqash berichtet, um ihn zu beruhigen, aber die Twitter-Beobachter melden ein ganz anderes Bild: Die Hashd würden eine Hauptrolle bei der Befreiung spielen.