Die Liebe der Ökonomen

Bild: AnnaER / gemeinfrei

Wer verliebt ist, kann nicht unvoreingenommen sein. Ein Kommentar

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Die öffentlich ausgetragene Kontroverse im Sachverständigenrat (SVR) (hier und hier) über staatliche Industriepolitik hat viel Staub aufgewirbelt. Insbesondere die implizite Aussage der Mehrheit, Peter Bofinger sei kein Profi, wird landauf landab zitiert.

Komischerweise hat offenbar niemand den Satz richtig gelesen, in dem Bofinger eine Laiensicht unterstellt wird. Der lautet nämlich: "Laien verwechseln häufig die Liebe von Ökonomen zum Markt mit einer Liebe zu einzelnen Marktakteuren. Einem Profi sollte das nicht passieren."

Die Liebe der Ökonomen! Bisher kannten wir die Liebe der Matrosen, aber wen oder was sollte ein Ökonom lieben?

Dieser eine Satz sagt in der Tat mehr über die Vorstellungen und die Einstellungen der Mehrheit des SVR aus, als alle ihre dicken Gutachten. Die vier Professoren, um die es hier geht, sind nämlich allesamt vom deutschen Staat bezahlte (und als Mitglieder des Sachverständigenrates noch einmal zusätzlich vom Steuerzahler bezahlte) Wissenschaftler, deren Aufgabe nichts anderes ist, als unvoreingenommen die wirtschaftliche Lage zu analysieren und daraus im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages Schlussfolgerungen abzuleiten, die von der Politik mittelbar oder unmittelbar verwendet werden können.

Dominanz der Gefühle?

Wer verliebt ist, kann aber nicht unvoreingenommen sein. Wie können diese Ökonomen, wenn sie verliebt in das Marktsystem sind, der Aufgabe nachkommen, die selbst von einem der ihren, Professor Hans-Werner Sinn, als die ständige Suche nach Fehlern im Marktsystem charakterisiert wird? (vgl. hier).

Wir haben es hier offensichtlich nicht mit Sozialwissenschaftlern zu tun, die mit wissenschaftlichen Methoden versuchen, die Welt angemessen zu deuten, sondern mit Verliebten, die ihre Gefühle nicht bändigen können und deswegen immer zum gleichen Ergebnis kommen, nämlich dem, dass der Markt immer recht hat. Das kann man auch unmittelbar aus ihrer Bofinger-Kritik ableiten. Sie schreiben: "So war doch die exzessive Risikobereitschaft der Banken, die eine der zentralen Ursachen der jüngsten Finanzkrise darstellte, vor allem eine Konsequenz des staatlichen Schutzes vor den Folgen von Fehleinschätzungen. Wie kann man übersehen, dass die Verletzung des Haftungsprinzips und somit der Schutz vor den ureigenen marktwirtschaftlichen Spielregeln eine Wurzel des Übels war?"

Wer bis heute nicht verstanden hat, dass es im Vorfeld der großen Krise von 2008/2009 massive Fehlentwicklungen an den Finanzmärkten gab, die allein darauf zurückzuführen sind, dass die Marktteilnehmer auf den Finanzmärkten in höchsten Maße ineffizient waren, weil sie sich in ein Ponzi-Game hineinziehen ließen, an dessen Ende der Zusammenbruch stehen musste, weil die Preise vollkommen falsch waren, der ist allerdings vor Liebe blind.

Heute zu sagen, die Märkte hätten das nicht getan, wenn sie keinen staatlichen Schutz erwartet hätten, ist einfach lächerlich. Es sind ja gewaltige Verluste gemacht worden, die kein Staat aufgefangen hat und viele Teilnehmer sind vom Markt verschwunden.

Man sollte den vier SVR-Mitgliedern Karten für einen guten Film (The Big Short) dazu spendieren, damit sie begreifen, wie unsinnig und eben blind vor Liebe ihre Einlassungen sind (hier eine Besprechung des Films und eine ausführliche Erläuterung der Zusammenhänge). Man kann sie auch in all die Entwicklungsländer schicken, in denen die Märkte (Banken und Hedge Fonds vor allem) mit Währungsspekulation gewaltigen Schaden durch falsche Preise angerichtet haben, ohne dass je ein Staat Garantien für die Zocker ausgesprochen hätte. Noch schlimmer, das alles fand statt, ohne dass je ein Staat oder ein neoklassischer Ökonom bereit gewesen wäre, diese grandiose Marktverfehlung zur Kenntnis zu nehmen.

Eine Bundesregierung, die eine gewisse Kompetenz in wirtschaftspolitischen Fragen besitzt, würde die vier Mitglieder des SVR nach diesem Satz sofort entlassen oder wenigstens beurlauben. Liebe zum Markt disqualifiziert ohne Zweifel einen Wissenschaftler als unabhängigen Gutachter. Ein kompetenter Wirtschafts- oder Finanzminister würde in aller Öffentlichkeit erklären, dass die Aufgabe, die von der Regierung den Gutachtern gestellt ist und wofür sie bezahlt werden, nicht erfüllt werden kann, weil die öffentlich ausgesprochene Liebeserklärung für den Markt dem diametral entgegensteht.

Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Website Makroskop übernommen. Deren Herausgeber Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt sehen ihre Aufgabe darin, "das massive Versagen der Politik zu thematisieren und Lösungswege aufzeigen, die sich auch am Interesse derjenigen orientieren, die in der Gesellschaft keine eigene Stimme haben".