China schon jetzt Nummer Eins?

Shanghai. Foto: Agnieszka Bojczuk / CC BY-SA 3.0

Sogar in den transatlantischen Netzwerkorganisationen wird immer offener über eine Ablösung der USA als Welt-Hegemon durch China nachgedacht

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"Sind wir hier beim Kaiser von China?! Sind wir vielleicht tributpflichtige Barbaren?" Eine US-amerikanische Delegation von hochkarätigen Milliardären und Turbo-Intellektuellen stellt sich irritiert diese Frage, als sie in Peking vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping empfangen wird.

"Wie eine Klasse von Schulkindern" werden die Alphas aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten im Halbkreis um den vor ihnen thronenden Xi plaziert. Der macht ihnen klar, dass er ein Volk mit einer 5000-jährigen Geschichte repräsentiert, wogegen die noch nicht einmal 300 Jahre währende Existenz der USA sich wie eine flüchtige Episode ausmacht.

Ja, der Ton der Chinesen gegenüber ihren ehemaligen westlichen Dompteuren hat sich grundlegend geändert. Mit dieser Szene vom November 2013 eröffnet der Redakteur der Financial Times, Gideon Rachman, sein Buch "Easternisation - War and Peace in the Asian Century."*

Die neue Macht Chinas

Rachman war bei jener für die westlichen Hierarchen so bedrückenden Begebenheit persönlich anwesend. Als einer der ersten Mitstreiter der transatlantischen Netzwerkorganisationen und Medien wagt er anzusprechen, was man sich in diesen Kreisen nur hinter vorgehaltener Hand eingesteht: Dass nämlich womöglich die geschichtliche Periode anglo-amerikanischer Weltbeherrschung zu Ende gehen könnte.

Oder: ist sie gar schon vorbei?

Bereits für das Jahr 2014 hatte nämlich der Internationale Währungsfonds ganz trocken festgestellt, dass die Volksrepublik China bezüglich ihrer Kaufkraft die USA vom ersten Platz in der Weltrangliste abgelöst hatte. Und es besteht kein Zweifel unter Wirtschaftsexperten, dass das Reich der Mitte die Vereinigten Staaten von Amerika bis zum Jahre 2020 in allen Disziplinen vom ersten Platz verdrängt haben wird.

Gideon Rachman ist zwar englischer Staatsbürger, aber trotzdem nimmt er in US-amerikanischer Manier die neue Stärke des chinesischen Drachens vor allen Dingen mit den Augen der Geopolitik unter die Lupe. Geopolitik heißt eigentlich immer: Wie kann man erdkundliche und kulturelle Faktoren für die eigene Machterweiterung nutzen?

Und in der Tat: die Chinesen sind weit vorangekommen bei der Umsetzung ihrer wirtschaftlichen Macht in politische Einflusszonen. In Afrika ist der chinesische Einfluss absolut bestimmend. Sogar in den Vorgarten der USA, in den Boden Zentral- und Südamerikas, haben die Asiaten ihre Pflöcke schon gesetzt und damit die gute alte Monroe-Doktrin hinfällig gemacht, nach der nur die US-Amerikaner die Ressourcen ihrer südlichen Nachbarn ausbeuten dürfen.

Waren das noch Zeiten, als der gute alte Hu Jintao als Staatspräsident und Wen Jiabao als Regierungschef vom sanften "Weltkonzert" der Großmächte sprachen, und Cheftheoretiker Professor Wang Jisi die Gemeinsamkeiten mit den Amerikanern mit zartem Pinsel herausstrich.

Der American Dream weicht dem China Dream?

In freundlicher Herablassung konnten die Amerikaner den Chinesen den Platz des responsible stakeholders anbieten. Also semantisch - nicht sprachlich - übersetzt heißt das: als gehorsamer Subunternehmer der USA den Platz einnehmen, den der "gütige Hegemon" ihnen zuzuweisen geruht.

Um wie viel dissonanter ist doch jetzt die Melodie aus Peking: Präsident Xi Jinping zeigt sich in Uniform auf martialischen Militärparaden. Und er lässt sich die neue chinesische Geopolitik gerne von dem Militärtheoretiker Liu Mingfu auf den Leib schneidern. Vorbei ist der American Dream.

Jetzt ist die Zeit gekommen für den China Dream (so heißt Lius Bestseller): sicher hatte das Reich der Mitte in den letzten zweihundert Jahren einen Schwächeanfall, von dem es sich nun aber erholt hat. Jetzt ist die Zeit reif, sagt Oberst Liu, für die globale Hegemonie Chinas. Und diese Weltherrschaft wird sanfter und wesentlich kompetenter ausfallen als das anglo-amerikanische Interregnum.

Nach dieser erschreckenden Einsicht scannt Rachman den Erdball ab nach Konfliktherden zwischen USA und der Volksrepublik China. Wobei er sich die Dinge zurechtrückt, wie es am bequemsten, aber sicher nicht am heilsamsten für die moribunde USA ist.

Da sind mal wieder nur die Russen schuld an der Verschlechterung der Beziehungen. Auch am angerichteten Schlamassel im Nahen Osten trifft die USA keinerlei Schuld. Die von ihm zutreffend festgestellte Handlungsunfähigkeit der Europäischen Union hat aber doch sicher auch damit zu tun, dass ein Old Europe durch ein New Europe, nämlich den osteuropäischen Staaten, an einem unabhängigen Auftreten gegenüber den Machtblöcken gehindert wird?

Vor allen Dingen bleibt uns Gideon Rachman in seinem Buch über die "Veröstlichung" der Weltpolitik die Erklärung schuldig, wie ein angeblich autoritäres Regime wie das kommunistische China überhaupt in der Lage sein kann, den angeblich so freien und liberalen USA den Rang abzulaufen.

Nach allen mittlerweile monopolistisch vorgetragenen Lehrmeinungen auf der Basis von Walter Lippmann, Friedrich von Hayek oder auch Milton Friedman hätte die Volksrepublik China aufgrund ihrer Starrheit schon längst implodieren müssen wie dereinst die Sowjetunion.