Spezifisch deutsche Kultur vs. Integration

Typische Eichsfeld-Landschaft: Bild: Sternweh/CC BY-SA-2,5

Alexander Gauland (AfD) drohte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) zu entsorgen, aber warum sollte sie nach Eichsfeld eingeladen werden?

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Alexander Gauland, Spitzenkandidat der AfD, hat es auf Aydan Özoguz, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, abgesehen. Die SPD-Politikerin sorgt schon seit Wochen für Kreislaufstörungen an Stammtischen, weil sie in einem Beitrag für den "Tagesspiegel" geschrieben hatte, eine "spezifisch deutsche Kultur (sei) jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar". Eine gute Gelegenheit für den AfD-Mann, die Stimmung beim thüringischen Wahlvolk anzuheizen: "Das sagt eine Deutsch-Türkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein, und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können."

Die ungezogene Äußerung gab den demokratischeren Parteien Gelegenheit zu einer vielleicht gar nicht mal unwillkommenen Abgrenzung. Sprecher der jeweiligen Fortschrittsflügel empörten sich über das "Entsorgen" einer deutschen Bürgerin in der Türkei. Die Assoziation einer Person mit Müll sei unverkennbar; daher handele es sich um Rassismus und Volksverhetzung.

Ist "Entsorgen" in jedem Fall ein inakzeptabler Wortgebrauch? Nehmen wir etwa den Satz: "Alexander Gauland konnten wir, Gott sei Dank, in Brandenburg entsorgen." Bei dieser Formulierung stellt sich in Hessen, wo der Mann jahrelang als Adjutant des vormaligen Landesoberhauptes Wallmann diente, ein Gefühl dankbarer Entspannung ein. Muss man dabei primär an eine Absonderung von Müll, an eine Entmenschlichung der angesprochenen Person denken? Oder drückt diese Aussage eher Erleichterung darüber aus, ihm nicht mehr begegnen zu müssen, es sei denn, er wird auf blau-roten Plakaten explizit angekündigt?

Stellen Sie sich vor, Sie machen einen harmlosen Spaziergang zwischen Schrebergärten, da begegnet Ihnen ein missmutiger Senior, der Sie vage an irgendjemanden erinnert. Nach ein paar Sekunden drehen Sie sich verblüfft um: War das womöglich ... ? Schon ist die gute Laune dahin. Über die Vermeidung solcher Situationen Befriedigung zu empfinden hat nichts mit Hass zu tun. Es zeigt nur den Anspruch auf ein gewisses Niveau im Alltagsleben.

Welche spezifisch deutsche Kultur findet man ins Eichsfeld?

An dem einen Wort lässt sich also nicht unbedingt Menschenfeindlichkeit festmachen. Folglich kommt es, wie so oft, auf den Kontext an. Umso mehr erstaunt, dass die allgemeine Erregung bisher überhaupt nicht dem Vorspann der inkriminierten Passage gegolten hat:

Sagt ihr, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her.

Alexander Gauland

Das ist doch mal ein authentischer Satz. Was mag Gauland, der in Premium-Medien ob seines profunden Konservatismus (und insgeheim auch wegen seines mutigen Festhaltens an Hitlers Freizeitmode) geschätzt wird, damit gemeint haben? Was versteht Gauland, den der Rückschrittsflügel von CDU/CSU zur Bildungselite alter Schule rechnet, unter deutscher Kultur?

Ist doch klar, worauf der Mann hinaus will, würde man in Paris und London, in Tel Aviv, Warschau, Athen antworten. Aber in Deutschland scheint das nicht so klar zu sein. Oder doch? Jedenfalls herrscht ein instinktives Einverständnis, diesen spannenden Satz lieber zu überhören.

Stellen wir uns also Frau Özoguz vor, wie sie in Erfüllung ihres Integrationsauftrags nach Eichsfeld reist, um die Einheimischen zu ermuntern, ihr zu sagen, was ihr nach Gaulands Meinung gesagt werden müsse. Dann würden die wackeren Bürger ahnen, in was für eine vertrackte Lage sie der AfD-Kandidat gebracht hat. Für Leute wie Sie hatten wir früher Konzentrationslager, kann man ja wirklich nicht antworten (und will es hoffentlich auch nicht).

Da könnte ein ausgeschlafener Eichsfelder die erlösende Eingebung haben, auf jenes geniale Lied zu verweisen, das der bekannte Dichter Hermann Iseke zu Ehren des Eichsfelds verfasst hat. Seine elf Strophen preisen, was den idyllischen Flecken ausmacht, und erklären, warum Frau Özoguz nimmermehr dazugehören kann. Das wird man wohl noch singen dürfen.

In der Tat zeugt die mitteldeutsche Ballade von moralischer Tiefe - "So leicht das Blut, so fest das Mark /Das Herz so gut, der Sinn so stark" - und geographischer Breite - "Hier hat sich Nord und Süd vermählt/ Zum wunderschönen Bilde". Mitnichten hat jedoch Frau Özoguz behauptet, dass sich im Volkslied oder in der Heimatdichtung keine identitäre Kultur offenbare. Denn diese Ausdrucksformen sind sprachbasiert. Ihr Einwand bezog sich nur auf kulturelle Eigenarten jenseits der Sprache, also auf Orchestermusik beispielsweise, Tanzen, bildende Kunst, Architektur, Landschaftspflege, Städteplanung, Mode oder wie wir unseren Kaffee trinken. Was soll daran spezifisch deutsch sein?

Nun werden die lokalen Vordenker wieder ins Grübeln kommen, um der Dame aus Berlin Bescheid zu geben. Sie könnten sich auf die Jahrhunderte alte Tradition ihres Gaus berufen. Dass sie immer schon gute Christen und tadellose Landsleute waren, was durch die einmalige Dichte ihrer Kirchen, Klöster, Burgen, Schlösser und Wirtshäuser bekräftigt wird. Dass sie einst gezwungen wurden, protestantisch zu werden und dann wieder katholisch. Dass sie zum Kurfürstentum Mainz, zum Königreich Preußen, zu Westphalen, Sachsen, Hannover gehörten und der Wiener Kongress über sie verhandelt hat.

Dass sie dem Kaiser die Treue hielten, bevor man sie zwang, Nazis zu werden und dann auch noch Kommunisten. Um heute unter einer Berliner Kanzlerherrschaft ihr Dasein zu fristen. Bei all dem haben sie ihre Sitten und Gebräuche bewahrt und sind geblieben, was sie immer schon waren, frei, stolz, deutsch und blond, genauso eben, wie der karge Boden und die harte Arbeit sie geformt haben. Deswegen kommt dort kein Flüchtlingsheim hin und keine Moschee!

Gauland könnte mit dieser Ansage zufrieden sein, zumal sie rechtlich unbedenklich wäre. Aber ist es auch das, weswegen Frau Özoguz umgehend die Flucht ergreifen und niemals wieder zurückkehren würde? Das Traditionsbewusstsein? Die Bodenständigkeit? Der verkorkste Freiheitsbegriff? Der grundlose Stolz? Wohl kaum deswegen. Oktoberfest und Sommermärchen, Bier mit Reinheitsgebot und Bratwurst ohne desgleichen, Händeschütteln und zackiges Grüßen, Lederhosen, Dirndl, Fachwerkshaus, Dieselfahrzeug, Blasmusik und Wagneropern haben in der Welt ihren unnachahmlichen Klang, erschrecken die Undeutschen aber nicht. Die kaufen das.