Berlin und Warschau auf Kollisionskurs

Bild: Mateusz War./CC BY-SA-3.0

Die zunehmenden deutsch-polnischen Spannungen bieten einen Vorgeschmack auf die Praxis rechtspopulistischer Politik in einem nach rechts abdriftenden Europa

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Es ist das alte, zuweilen blutig ausartende Spielchen des europäischen Nationalismus: Nichts geht über den zielstrebigen Aufbau einer äußeren Bedrohung, um wachsende innere Widersprüche effektiv zu verschleiern. Diese Taktik verfolgen derzeit die regierenden Rechtspopulisten in Polen, indem sie die Frage der deutschen Weltkriegsreparationen instrumentalisieren, um im Schatten der zunehmenden außenpolitischen Spannungen die autoritäre Transformation des polnischen Staates zu forcieren.

Anfang September konkretisierte die polnische Regierung, die von den Rechtspopulisten der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS - Prawo i Sorawiedliwosc) gestellt wird, ihre Entschädigungsansprüche an Deutschland. Der Vernichtungskrieg Nazideutschlands in Polen habe Schäden im Umfang von 840 Milliarden Euro verursacht, wobei dies nur vorläufige Zahlen seien. Endgültige Forderungen könnten sich auf bis zu einer Billion Euro belaufen.

Das Timing dieser Initiative habe politische Beobachter dazu bewogen, Polens Regierung zu beschuldigen, hierdurch die "Wähler von anderen Problemen abzulenken, hauptsächlich der Kritik der Europäischen Union und ihrer prominenten Mitglieder Deutschland und Frankreich an der Erosion der Rechtsstaatlichkeit" durch die PiS, berichtete die Washington Post. Selbst Teile des katholischen polnischen Klerus, der für gewöhnlich als eine wichtige Machtstütze der polnischen Rechten fungiert, sollen die PiS vor der Forderung von Reparationen gewarnt haben.

Abbau der Gewaltenteilung

Innenpolitisch geht diese außenpolitische Strategie der Spannung mit dem Abbau der Gewaltenteilung in Polen einher, bei der die PiS bemüht ist, möglichst viel Macht zu akkumulieren. Zuletzt wurde im August durch eine umstrittene Justizreform die formelle Unabhängigkeit der polnischen Justiz weiter ausgehöhlt. Nun darf Polens Justizminister Gerichtsvorsitzende nach Gutdünken einsetzen und entlassen. Mit dieser von der EU scharf kritisierten Reform konnte die polnische Rechtsregierung ihre Kontrolle über die Justiz weiter ausbauen, die formell gegebene bürgerliche Gewaltenteilung wurde nicht nur de facto ausgehebelt, wie im Spätkapitalismus ohnehin üblich, sondern auch de jure. Rein formell ist es - neben der Flüchtlingsfrage - gerade diese Justizreform, die zu den zunehmenden Spannungen zwischen Berlin/Brüssel und Warschau führte.

Diese "Reform" war bei weitem nicht die erste ihrer Art. Seit ihrem überraschenden Wahlsieg ist die PiS vor allem mit der "Säuberung" des Staatsapparates und der Absicherung ihrer Machtstellung beschäftigt. Kaczynski bemüht sich, das ihm gegebene Zeitfenster einer absoluten Mehrheit im polnischen Parlament, dem Sejm, zu nutzen, um eine autoritär-nationalistische Politisierung des polnischen Staatsapparates möglichst weit zu treiben. Der Kampf um die Justizreform im Sommer 2017 bildete somit nur die jüngste Etappe des autoritären Umbaus Polens, an deren Anfang die Entmachtung des polnischen Verfassungsgerichts im Dezember 2015 stand, das durch rasche Personalwechsel und eine Änderung der Abstimmungsverfahren paralysiert wurde.

Hiernach nahmen die Bemühungen der PiS, möglichst viele Machtmittel zu akkumulieren, kein Ende: Binnen der ersten 40 Regierungstage sind alle Geheimdienstchefs, die wichtigsten Spitzenbeamten und rund 50 Prozent aller Direktoren von Staatsunternehmen gegen politisch zuverlässige Leute ausgewechselt wurden. Gegen Jahresende 2015 verabschiedete die PiS ein Gesetz, das die Entlassung von allen hochrangigen Verwaltungsangestellten nach 30 Tagen vorsieht, sollten deren Arbeitsverträge nicht von der neuen Administration verlängert werden. Rund 1.600 Führungsposten innerhalb des Staatsapparates wurden hierdurch 2016 mit PiS-Anhängern besetzt.

Bereits Ende 2015 hatte die PiS die öffentlichen Medien an die Kandare genommen. Den öffentlichen Rundfunk Polens, der zuvor in der Rechtsform staatlicher Aktiengesellschaften organisiert war, überführte die PiS in "nationale Kulturinstitute", deren Chefposten nun vom Kulturminister persönlich besetzt werden. Betroffen sind hiervon sowohl die öffentlichen Fernsehsender wie auch die Rundfunkanstalten. Politiker der PiS kritisierten - ähnlich wie Orbáns Rechtspartei in Ungarn - immer wieder die "unpatriotische" inhaltliche Ausrichtung der polnischen Medien, die nun korrigiert werden solle.