Syrien: USA werfen Russland Angriff auf SDF vor

Screenshot eines russischen Angriffes in der Nähe von Deir ez-Zor, Twitter

Der "Wettlauf" auf Deir ez-Zor bringt neuen Konfliktstoff

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Das amerikanische Verteidigungsministerium erhebt Vorwürfe gegen Russland. Laut einem Pentagon-Statement sollen "russische Streitkräfte" am Samstag, den 16. September, in Syrien östlich des Euphrats bei Deir ez-Zor ein Ziel angegriffen haben, in dessen Folge Streitkräfte der Koalitionspartner verletzt wurden.

Im weiteren Text wird genannt, dass Russland der Ort, der mit "russischer Munition" beschossen wurde, laut Angaben von Verantwortlichen der Operation Inherent Resolve als Stellung der SDF und von Koalitionsberatern bekannt sei. Die Soldaten der multinationalen Truppen, welche die SDF unterstützen, seien zwar präsent gewesen, aber nicht verletzt worden.

Angefügt wird vom Pentagon, dass die Kommunikationsverbindung mit Russland zur Deeskalation 24 Stunden täglich offen sei, dass man in der Koalition dem Kampf gegen den IS verpflichtet sei und unnötige Eskalation vermeiden wolle.

Weniger amtlich könnte man den Vorwurf so zusammenfassen, dass sich die Generäle im Pentagon sehr darüber ärgern, dass russische Luftangriffe auf Milizen erfolgten, die als Bodentruppen der USA in Syrien fungieren, ohne über den Angriff vorab informiert worden zu sein. Die "Provokation" wird als umso ärger empfunden, als die SDF von US-Elitetruppen begleitet werden, vermutlich ergänzt durch Spezialtruppen aus anderen Ländern.

Die Reaktion des russischen Verteidigungsministeriums

Die russische Nachrichtenagentur Tass übermittelte am heutigen Sonntag die offizielle Antwort des russischen Verteidigungsministeriums. Demnach weiß man dort gar nicht, worüber sich das Pentagon so aufregt. Man lässt den Vorwurf abprallen und würzt das ein bisschen mit Sticheleien.

Die russische Luftwaffe fliegt Angriffe mit höchster Genauigkeit ("pinpoint strikes") nur auf Ziele, die über mehrere Kanäle bestätigt werden und die sich ausschließlich in Gebieten befinden, die vom IS kontrolliert werden.

Igor Konaschenkow, Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums

Erstes Ziel sei alle Stellungen mit feuernden Terroristen zu zerstören, die die syrische Armee massiv angreifen, wird der Sprecher weiter zitiert. Hinzugefügt wird, dass die russische Aufklärung laut Konaschenkow keine Erkenntnisse über Auseinandersetzungen zwischen IS-Terroristen und "bewaffneten Repräsentanten einer dritten Streitkraft" in den letzten Tagen gewonnen habe.

Nur Vertreter der Internationalen Koalition könnten erklären, wie die "Opposition" oder die militärischen Berater der Internationalen Koalition ohne Kämpfe nach Deir ez-Zor gelangen konnten, wo IS-Milizen präsent sind. Konaschenkow machte noch einmal deutlich, dass Russland über die Kommunikationskanäle den USA im Vorhinein "Bescheid über die Grenzen der militärischen Operation in Deir ez-Zor gebe". Dazu merkte er weiter an, dass man Soldaten, Gerätschaften und Stellungen der Terroristen westlich wie östlich des Euphrats zerstöre.

Den USA werden Grenzen gesetzt

Die Replik macht den USA und ihren Verbündeten der SDF Grenzen deutlich. Am Freitag hatte ein SDF-Kommandeur namens Ahmed Abu Khawla noch die syrische Armee und deren Verbündete davor gewarnt, dass die syrische Armee und deren Verbündete "nicht über den Euphrat feuern sollten", wie dies beispielsweise von Reuters und der Washington Post wiedergegeben wurde. Er warnte damit vor einem Näherrücken der syrischen Regierungstruppen samt Verbündeten. Ahmed Abu Khawla ist ein Kommandeur des Militärrats von Deir ez-Zor, dem auch Milizen arabischer Stämme angehören.

Den Angriff der russischen Luftwaffe, der vom Sprecher des russischen Verteidigungsministers nicht eindeutig oder ausdrücklich dementiert wurde, kann man als Antwort darauf verstehen. In diesem Bereich, der syrisches Territorium ist, haben Syrien und Russland die Entscheidung darüber, die Grenzen von militärischen Operationen festzulegen, lautet die Botschaft.

Wer sich an die Angriffe der USA auf schiitische Milizen, die mit der syrischen Regierung verbunden sind, im Frühsommer dieses Jahres im Süden Syriens bei al-Tanf erinnert (vgl. US-Luftangriffe auf syrische Truppen und USA greifen erneut schiitische Milizen an), kann im augenblicklichen Pingpong der amerikanischen und russischen Verteidigungsministerien ein seitenverkehrtes Déjà-Vu entdecken.

Der "Wettlauf" auf Deir ez-Zor

Der Unterschied ist, dass sich inzwischen einiges zum Vorteil der syrischen Regierungstruppen verändert hat. Beim "Wettlauf" nach Deir ez-Zor, das nicht nur militär-strategisch von Bedeutung ist, sondern wegen der Ölquellen auch wirtschaftlich, haben die syrische Armee und ihre Verbündeten einen großen Schritt nach vorne gemacht.

Sie haben den Belagerungsring der IS-Milizen, die das Gebiet zuvor seit längerer Zeit kontrollierten, aufgebrochen und ihren Vormarsch auf die Stadt Deir ez-Zor fortgesetzt. Begleitet wird die Operation von einer Offensive namens "Große Dämmerung 3", die Richtung Abu Bakamal an der Grenze zum Irak geht, um den IS aus dieser Zone zu vertreiben.

Parallel dazu operieren irakische Streitkräfte, wobei schiitische PMU-Milizen eine tragende Rolle spielen, auf der irakischen Seite gegen Bastionen des IS, zum Beispiel al-Qaim. Kommen diese Operationen auf beiden Seiten der Grenzen an ihr Ziel, und es sieht im Augenblick ganz danach aus, würde erreicht, was sich US-Generäle nicht wünschen: die Kontrolle des Gebiets durch syrische Truppen - und schiitischer Milizen, die in enger Verbindung zu Iran stehen.

Pikant ist der Vorwurf, den der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums gegenüber den SDF andeutet, dass sie kampflos in IS-Territorium gelangten. Das erweckt den Verdacht einer Absprache (oder Kooperation) mit IS-Milizen. Russland hat bislang auf ein gutes Verhältnis mit den kurdischen Kräften der SDF geachtet.