Irak: Oberster Gerichtshof entscheidet Aussetzung des Unabhängigkeitsreferendums

Erbil: Versammlung zum Referendum, 16. September 2017. Screenshot, Video/YouTube

Einschüchterungsversuche aus Iran und der Türkei: Wird es bei dem Volksentscheid am kommenden Montag bleiben?

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Der höchste irakische Gerichtshof hat nach jüngsten Meldungen am heutigen Montag entschieden, das kurdische Unabhängigkeitsreferendum auszusetzen, bis das Gericht eine endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Votums trifft. Geplant ist der Volksentscheid für kommenden Montag, den 25.September.

Ob sich die Regierung der Autonomen Region Kurdistan, allen voran ihr starker Mann, Masud Barsani, an die Entscheidung des Obersten Gerichtshof halten wird, ist offen, aber nicht sehr wahrscheinlich. Bis zum Nachmittag des heutigen Tages gab es noch keine offizielle Reaktion des Präsidenten von irakisch Kurdistan, dessen Amtszeit offiziell schon vor vier Jahren abgelaufen ist. Dass er dennoch bis heute im Amt geblieben ist, zeigt schon mal, wie sehr Realpolitik Legitimitätsfragen bestimmt. Barsani ist Präsident ohne verfassungsmäßige Grundlage.

Rechtsstaat und Selbstbestimmungsrecht

Sollen rechtsstaatliche Maßgaben gelten, so müssten sich Barsani und die kurdische Regierung (KRG) an die Entscheidung des Gerichtshofs halten (so wie längst Neuwahlen hätten durchgeführt werden müssen). Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie das Referendum nicht aufgrund des Gerichtsurteils absagen werden. Sie machen, ganz ähnlich wie die Katalanen in Spanien oder die Krimbewohner, das Selbstbestimmungsrecht als Grundlage für den Volksentscheid geltend.

Darüber hinaus argumentiert Barsani, wie Rudaw berichtet, damit, dass die irakische Regierung selbst die Verfassung nicht einhalte. Bagdad würde gegen ungefähr ein Drittel der Gesetze in der Verfassung verstoßen. Ganz auffällig im Fall umstrittener Gebiete wie Kirkuk (Artikel 140), aber auch in Budgetangelegenheiten, da die irakische Regierung bestimmte Versorgungsleistungen einseitig eingestellt habe. (Anzufügen wäre hier, dass dies eine Reaktion auf den eigenmächtigen Ölexport des KRG war).

"Der Volksentscheid bedroht den Frieden"

Der Bericht des kurdischen Mediums Rudaw legt nahe, dass die Entscheidung des Gerichts eine politische war. Dort ist davon die Rede, dass die Eingabe zur Entscheidung des Gerichtshofs vom Büro des irakischen Ministerpräsidenten Haider al-Abadi kam. In dessen Statement finden sich drei Kerneinwände gegen das Unabhängigkeitsreferendum: Keiner Region oder Provinz darf es erlaubt sein, sich vom Irak abzuspalten. Das Referendum verstößt gegen die irakische Verfassung und als darüber hinaus führendes Argument: Der Volksentscheid bedroht den Frieden im Irak und in der Region.

Ganz am Ende des Rudaw-Berichts ist noch zu erfahren, dass zwei turkmenische Mitglieder des irakischen Parlaments laut einem Statement des Obersten Gerichtshofs dort eine Eingabe gemacht haben mit der Bitte, die verfassungsgemäße Legitimität des Referendums speziell in umstrittenen Gebieten wie Kirkuk zu überprüfen.

Bei dieser Eingabe liegt der Akzent also eher auf innerirakischen Problemstellungen, während die Position, die der irakische Premierminister vorbringt, die Auswirkungen auf die Region mit hineinnimmt, was über den legalen Konflikt zwischen Landes-Verfassung und Selbstbestimmungsrecht eines Volkes hinausgeht, und eine starke politische Note hat.

"Die militärische Option" - Drohungen und Einschüchterungen

Das Risiko, dass dem Referendum am kommenden Montag Spannungen folgen könnten, die möglicherweise in militärischen Auseinandersetzungen münden, ist anhand der Drohungen und Einschüchterungsmaßnahmen nicht von der Hand zu weisen, auch wenn unterstellt werden kann, dass viel Drohgebärde im Spiel ist. Von iranischer Seite werden starke Empfehlungen geäußert, das Referendum nicht abzuhalten, ansonsten seien Konsequenzen zu fürchten, die auch einen militärischen Einsatz zur Folge haben könnten.

Zwar taucht die "militärische Option" weder bei den Äußerungen des Sekretärs des obersten Nationalen Sicherheitsrats in Iran, Ali Shamkhani, noch beim Sprecher des iranischen Parlaments Ali Laridschani auf, soweit sie das staatliche finanzierte iranische Medium Press TV wiedergibt. Aber die Warnungen vor dem Schritt sind deutlich. Das Sicherheitsabkommen zwischen Iran und dem KRG würde dann aufgehoben werden und die Grenzen zwischen Iran und irakische Kurdistan geschlossen. Laridschani sagte gemäß Press TV, dass das Referendum zu einer Krise führen werde.

Die bereits genannte kurdische Publikation Rudaw führt die Warnungen aus Iran in einem eigenen Bericht noch weiter aus. Dort wird der Vorsitzende des iranischen Nationalen Sicherheitsrats, Ali Shamkhani, mit der Warnung zitiert, dass Iran, wenn das Referendum abgehalten werde, das Recht habe, militärisch zu intervenieren, "weit über die Grenzbezirke hinaus".

Indessen hält die Türkei ein Militärmanöver an der Grenze zum Irak ab, in der Provinz Sirnak, die unmittelbar an die Autonome Region Kurdistan grenzt. Der Zusammenhang mit dem kurdischen Referendum ist offensichtlich, wie ihn auch die englischsprachige Hurriyet Daily hervorhebt. Es gehe um eine Botschaft an Barsani. Die Türkei setze darüber hinaus seine diplomatischen Bemühungen fort, damit das Referendum nicht abgehalten werde.

Ob sich Barsani davon einschüchtern lässt? Am Wochenende bekräftigte er noch einmal, dass er auf Kurs bleibt. Das Angebot der USA, der UN und Großbritanniens, die eine Alternative zum Referendum unterbreiteten (siehe Nordirak: Poker um das Unabhängigkeits-Referendum), bot ihm keine genügende Garantie für die Unabhängigkeitsbestrebungen.