Libyen: Robuster EU-Außengrenzenschutz mit eigenartigen Folgen

Der Retter Libyens naht. Ausschnitt aus einem sehenswerten PR-Video des Medienbüros von General Haftar. Quelle: YouTube

General Haftar ist mit Salafisten im Bunde, um gegen mafiaähnliche Milizen vorzugehen, die Migranten von der Überfahrt nach Italien abhalten

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Die Situation in Libyen bleibt kritisch. Zwar sind die Zahlen der neuankommenden Migranten in Italien nach dem Rückgang im Juli und im August auch im September deutlich niedriger, aber die Ursachen dafür stehen auf keinem festen Grund.

Italienische Hinterzimmervereinbarungen haben zu Rivalitäten zwischen Milizen geführt, die sich nun schon seit zwei Wochen bekriegen und der Mann, auf den viele setzen, General Haftar, Oberbefehlshaber der sogenannten libyschen Nationalarmee, ist ein Mitspieler bei diesem Machtkampf und macht nicht wirklich die glänzende Figur, die viele in ihm sehen wollen. Er verstärkt den Druck auf die international anerkannte Regierung und steht mit Salafisten im Bunde.

Eine völlig andere Situation als im Frühsommer

In den letzten beiden Wochen, vom 14. bis 27. September, sind 3.757 Migranten aus Libyen nach Italien gekommen, so die neuesten Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Das sind 56 Prozent weniger, wird dort verzeichnet. Als Referenz dürfte der Vorjahreszeitraum gemeint sein. Im gesamten August 2017 kamen 3.914 Migranten nach Italien.

Das ist eine völlig andere Situation als im Frühsommer, als italienische Politiker die EU laut darauf aufmerksam machten, dass das Land durch die Ankunft von weit über 20.000 Flüchtlingen im Mai und im Juni am Limit sei. So beruhigend sich die Situation anhand der Zahlen der letzten Monate für die italienische Regierung darstellt, so zeigen andere Zahlen auf den zweiten Blick einen anderen Bildauschnitt der Situation. Innerhalb weniger Tage, manchmal auch an einem Tag, wagen über 1.000 Migranten die Überfahrt, wie das etwa eine Twitternachricht vom 27.September eines IOM-Sprechers anzeigt.

Werden die Migranten in ihren hochseeuntauglichen Schlauchbooten von der italienischen Küstenwache, EU-Schiffen oder den noch im Mittelmeer operierenden NGOs gerettet, werden sie nach Italien gebracht. Die libysche Küstenwache bringt sie, wie eine Nachricht vom 28.September bestätigt, zurück nach Libyen. Die Nachricht verweist zudem darauf, dass die Kämpfe in Sabratha, das lange Zeit Hauptablegeort war, in Zusammenhang mit den neuen Überfahrten stehen.

Es ist noch nicht möglich, die genannten Überfahrtsversuche in einen Trend einzuordnen, es ist unsicher, ob sie episodisch sind. Allerdings erschienen in den vergangenen drei, vier Wochen immer wieder Berichte oder Reportagen über Migranten und Schleuser in Libyen, die versicherten, dass sie weiter auf Überfahrten nach Europa zählen, die Tickets seien doch schon bezahlt. Das Geschäft "garantiert".

Die Küstenwache und eine deutsche NGO

Italien zählt dagegen darauf, dass die Küstenwache dem entgegensteht. Meldungen der vergangenen Woche stellten auch unter Beweis, dass die libysche Küstenwache, die von Italien unterstützt wird, in ihrem seit Sommer erweiterten, selbst ausgerufenen "Hoheitsbereich" robust vorgeht, an Bord von Rettungsschiffen geht und auch mal die Kugeln in der Luft pfeifen lässt, um NGOs wie etwa die deutsche "Mission Lifeline" einzuschüchtern, was sich die Crew der NGO anscheinend nicht bieten ließ.

Den zweiten "Abwehrriegel" gegen unerwünschte Migration nach Italien bilden Milizen, die, wie ein aktueller Bericht des in aller Regel sehr gut unterrichteten Le-Monde-Afrique Journalisten Frédéric Bobin bestätigt, von Italien über die libysche Regierung oder das Bürgermeisteramt in Sabratha mit sehr viel Geld versorgt wurden.

Der Pate: Onkel Dabbashi

Dies ist hauptsächlich die Miliz von Ahmed Dabbashi, der einer "allmächtigen Familie in Sabratha" entstammt, und Gegner hat, die einen engen Verwandten getötet haben. Der unterliegende Grund für die Auseinandersetzung, die sich in der Folge entspann, 40 Menschen das Leben kostete und ganz Sabratha in eine desolate kriegsähnliche Situation brachte, die nun schon fast zwei Wochen dauert, sind Rivalitäten, die mit dem "italienischen Deal" verknüpft sind.

Der Sabratha-Pate Al-Ammu ("Der Onkel") Ahmed Dabbashi gelangte über eine offiziell gut klingende Namensgebung seiner Miliz ("Brigade 48") an ein Geschäftsmodell mit guten Aussichten, da Italien der Partner ist und hintendran die EU und damit verbunden regelmäßige Einnahmen. Die Truppe des Onkels sollte die illegalen Migranten von der Überfahrt an der Küste abhalten, die Aktivität wurde über Vereinbarungen mit der Stadtführung Sabrathas offiziell abgesegnet.

Der Anti-IS-Operationsraum

Es gibt in Sabratha noch eine zweite Einrichtung, an der Milizen beteiligt sind, die enge Verbindungen zur Brigade 48 hat. Sie trägt den offiziellen Titel "Anti-IS-Operationsraum". Der Operationsraum ist in der Folge des amerikanischen Luftangriffs auf ein IS-Ausbildungslager in Sabratha im Februar 2016 entstanden. Mitglieder sind verschiedene Milizen, die in der Nachhut des Angriffs gegen den IS kämpften.

Dazu zählte auch die Brigade 48, die sich ansonsten ihr Geld mit dem Schutz von Ölanlagen des italienischen Konzerns ENI und auch mit dem lukrativen Schleusergeschäft verdiente. Im Sommer dieses Jahres gelangten dann Verhandlungen zwischen Italien und der eigens dafür gegründeten Brigade 48 über einen weiteren Geschäftsbereich, den Kampf gegen die illegale Migration, zu einem erfolgreichen Abschluss. Dabbashi hatte dies laut Le Monde Bericht schon seit Monaten vorbereitet, inklusive der geeigneten Namensgebung.

Bei anderen Milizen, die unter dem Dach des "Anti-IS-Operationsraum" aktiv waren, kam das Ergebnis der Verhandlungen -Millionen für Dabbashi - offensichtlich nicht gut an; sie entwickelten Animositäten und töteten vor ca. zwei Wochen an einem Checkpoint in Sabratha ein Mitglied des Familienclans. Seither ist Krieg zwischen den Milizen. Die Auseinandersetzung ist "außer Kontrolle", wie Reuters aktuell berichtet.