Trügerische Sicherheit

Wissenschaftler drängen auf effektive Langzeitüberwachung von Pestiziden in der Umwelt

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Die Ansicht von Regulatoren weltweit, dass die industriemaßstäbliche Behandlung ganzer Landschaften mit Pestiziden sicher sei, ist nach der im Wissenschaftsjournal Science publizierten Meinung eines wissenschaftlichen Beraters der britischen Regierung nicht haltbar.

Ian Boyd, wissenschaftlicher Chefberater der DEFRA (Department for Environment, Food and Rural Affairs - Ministerium für Umwelt, Ernährung und den ländlichen Raum) und gleichzeitig Biologie-Professor an der University of St Andrews, wird hierbei von Alice Milner sekundiert, einer Physiogeographin vom University College London.

Sie reihen sich damit in den Kanon von Kritikern ein, die das derzeitige Pestizidmanagementsystem für ungeeignet halten. Wie etwa Keith Tyrell, Direktor vom Pesticide Action Network UK. Tyrell meint, dass es Jahre dauern könne, bis genügend wissenschaftliche Beweise für die tatsächlichen Auswirkungen des Einsatzes von Pestiziden zusammengetragen werden, um Regulierungsbehörden zum Eingreifen zu bewegen. Versuche dazu würden begleitet von der Einflussnahme der Agrarchemie-Industrie, die Millionen mit diesen Produkten verdient.

Erst im März 2017 war ein UN-Bericht erschienen, der sich kritisch mit global agierenden Pestizidherstellern und branchentypischen Symptomen auseinandersetzt (Das Pestizid-Nord-Süd-Dilemma. Der Bericht beschreibt die Herstellung einer belastbaren Verbindung zwischen Exposition und beim Menschen auftretenden Krankheiten oder Schädigungen an Ökosystemen als nach wie vor bestehendes Problem, das durch die systematische Leugnung eines Zusammenhangs sowie aggressive, unethische Marketing-Taktiken seitens der Industrie verschärft wird.

Das Herbizid Diflufenican wird vor allem bei Wintergetreide eingesetzt. Bild: Bernd Schröder

Bisherige Annahmen zur Sicherheit von Pestiziden müssen überdacht werden

Die Gewährleistung der Ernährung einer stetig wachsenden Weltbevölkerung gilt als eine der größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Zu einer nachhaltigen Pflanzenproduktion, die das zu leisten vermag, gehört zwangsläufig eine drastische Verringerung der aus landwirtschaftlichen Tätigkeiten herrührenden nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt. Ein besonderer Platz in der Debatte gebührt dabei der Art und Weise der Nutzung von Pflanzenschutzmitteln.

In der Europäischen Union sind rund 500 Wirkstoffe in Pestiziden zugelassen, die unter anderem in Form von Herbiziden, Insektiziden, Fungiziden, Akariziden, Nematiziden, Molluskiziden und Rodentiziden als Pflanzenschutzmittel auf den Markt kommen. Die moderne industrielle Landwirtschaft kommt nicht ohne Pestizide aus. Sie übt den Dauerspagat zwischen Umweltschutz und der Notwendigkeit, ausreichend Lebensmittel sicher und vor allem preiswert zu produzieren.

Die Autoren des Science-Artikels appellieren nun an eine angemessenere Austarierung beider Aspekte. Ihrer Meinung nach könnte ein Vergleich mit den Gesetzeswerken zur Regulierung von Arzneimitteln zur Verbesserung der Situation beitragen. Denn die fortlaufende Überwachung von Indikatoren für mögliche negative Effekte unterscheidet sich bei Arzneimitteln und Pestiziden grundlegend, sobald die Marktzulassung erteilt wurde. Die der Pestizidregulierung zugrunde liegende Annahme - nämlich dass Chemikalien, die eine Reihe von Tests im Labor und auf dem Feld unbeanstandet durchlaufen haben, immer noch umweltfreundlich sind, wenn sie in industriellem Maßstab verwendet werden - ist nach Boyd und Milner schlichtweg falsch.