USA: Groteske Kluft zwischen Terroropfern und mit Schusswaffen Getöteten

Das Risiko, von anderen Amerikanern wie zuletzt in Las Vegas getötet zu werden, ist in den USA viel größer als die Gefahr durch den "internationalen Terrorismus". Warum wird das verdrängt?

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Ende September hatte FBI-Direktor Christopher Wray vor dem Innenausschuss des Senats zwar vor vielfältigen bestehenden und sich entwickelnden Bedrohungen von "heimischen (homegrown) gewalttätigen Extremisten über Cyberkriminelle bis hin zu feindlichen ausländischen Geheimdiensten und deren Agenten" gewarnt.

An erster Stelle wies er aber auf die Bedrohung durch den Terrorismus hin, der vor allem vom Islamischen Staat und seinen Anhängern, die über das Internet rekrutiert und aufgefordert werden, Anschläge auszuführen. Deutlich weniger wichtig als ausländische Terrororganisationen befand er "heimische extremistische Bewegungen". Auch hier sei man am meisten besorgt vor "Angriffen, primär mit Schusswaffen, einsamer Wölfe. Sie seien "die vorherrschende Art der tödlichen heimischen extremistischen Gewalt". Besonders im Ziel dieser Angriffe stünden Polizisten, ethnische Minderheiten und die US-Regierung".

Da lag der FBI-Direktor bei den "mass shootings" zwar richtig, aber die Bedrohung unterschätzte er offensichtlich, wie das Massaker in Las Vegas gezeigt hat, wo Stephen Paddocks, dessen Motive noch immer unklar sind, ausgerüstet mit einem Arsenal an Schusswaffen 58 Besucher eines Country-Music-Festivals tötete und mehr als 500 verletzte. Vor oder während des Massakers scheint er auch versucht zu haben, einen großen Treibstofftank des nahegelegenen Flugplatzes durch Schüsse in die Luft zu sprengen. Das hätte verheerende Folgen haben können, nur ist der Treibstoff aus Sicherheitsgründen nur sehr schwer entzündlich. Dass Kugeln dafür nicht reichen, hat der einsame Wolf Paddock offensichtlich nicht gewusst oder es haben sich Kugeln zu den Tanks unabsichtlich verirrt.

Das von Paddocks angerichtete Massaker mit anschließender Selbsttötung glich einem terroristischem Selbstmordanschlag, weswegen der IS wohl den wohlhabenden Glücksspieler als einen seiner "Soldaten" bezeichnete. Bislang zumindest ist außen den Behauptungen des IS noch keine Verbindung zu diesem bekannt geworden. Joseph Lombardo, der Sheriff der Las Vegas Polizei, versuchte nach dem Massaker den Unterschied zwischen einem "mass shooting" und einem Terroranschlag durch die dahinterstehende Motivation zu unterschieden. Ein Terrorist habe mit dem Terrorismus verbundene Motive, ein Mann wie Paddocks sei eigentlich eine Art Verrückter, jemand, der durchgedreht ist, eine "verwirrte Person". Ist der Terrorist ein böser Mensch, so die Person, die wild um sich schießend einen erweiterten Selbstmord begeht, auch wenn er offenbar gut geplant und vorbereitet, also keineswegs spontan war, eher ein gesellschaftliches Unglück.

In Nevada hätte man allerdings das Massaker durchaus als Terroranschlag bezeichnen können, da nach der Terrorismusdefinition darunter jede Handlung fällt, die den Einsatz oder den versuchten Einsatz von Sabotage, Zwang oder Gewalt beinhaltet, um der allgemeinen Bevölkerung schwere körperliche Schäden oder Tod zuzufügen". Das entsprechende Bundesgesetz setzt dagegen die von Lombardo genannte Motivation voraus. Es soll durch den "illegalen Einsatz von Macht oder Gewalt die Regierung, die Bevölkerung oder ein Teil von ihr in Angst versetzt oder Druck auf sie ausgeübt werden, um politische oder soziale Ziele zu fördern". Man weiß bislang nicht, ob Paddocks irgendein Ziel über den Versuch hinaus verfolgt hat, Aufmerksamkeit zu finden, möglichst viele Menschen zu töten und damit auf die "Bestenliste" der in den USA verübten Massaker zu gelangen. Die Bevölkerung wurde jedenfalls in Angst versetzt. Und könnte man tödliche Wut als Motiv betrachten?

In den USA ist man jedenfalls bemüht, solche Massaker als "mass shootings", bei denen mindestens vier, neuerdings drei Menschen getötet werden müssen, um als solche zu gelten, möglichst nicht als Terroranschläge zu verbuchen. Donald Trump hat dies wieder deutlich gemacht, wenn er das Massaker als "Akt des absolut Bösen" bezeichnet. Man will damit vermeiden, solche Gewaltausbrüche mit gesellschaftlichen Problemen zu verbinden, möglichst auch nicht mit der leichten Verfügbarkeit von Schusswaffen. Würde man dies als Terrorismus einstufen, wäre Washington zum Handeln gezwungen.

Barack Obama hat immer wieder auf die laxen Waffengesetze hingewiesen und 2015, nachdem ein junger Amerikaner am Umpqua Community College 9 Menschen erschossen hatte, versucht, solche wiederkehrenden Selbstmordanschläge mit Terroranschlägen zu vergleichen, um zu kritisieren, wie wenig zu deren Verhinderung gemacht wird, obgleich viel mehr Amerikaner durch Schusswaffen getötet wurden als durch Terroranschläge: "Wir haben über eine Billion Dollar ausgegeben, zahllose Gesetze verabschiedet und ganze Behörden der Verhinderung von Terroranschlägen auf unserem Boden gewidmet." Aber der Kongress verhindere sogar, so Obama, auch nur Daten zu sammeln, wie man Schusswaffenopfer reduzieren könnte.

Medien haben dann auch einmal den von Obama geforderten Vergleich gemacht. So kam CNN zu dem Ergebnis, dass auf jeden Amerikaner, der 2014 durch einen Terroranschlag in den USA oder im Ausland getötet wurde (32), mindestens 1049 Amerikaner kommen, die in den USA mit Schusswaffen getötet wurden (33599). Zwischen 2001 und 2014 kamen durch Terroranschläge 3412 Menschen ums Leben. Einbezogen wurde der Ausnahmeanschlag von 9/11, der fast 3000 Menschen das Leben kostete. Auch selbst mit dieser Ausnahme verblasst die Zahl gegenüber den mit Schusswaffen in den USA ums Leben gekommen 440.095 Menschen in dieser Zeitspanne, wozu neben Morden auch Unfälle und Selbstmorde gerechnet wurden. Zwischen 2005 und 2015 starben 94 Menschen in den USA aufgrund von Terroranschlägen und 301.797 an Schusswaffen.

Tatsächlich ist angesichts dieser grotesken Kluft kaum nachzuvollziehen, warum die USA einerseits in Kriege ziehen, in denen Soldaten und Unmengen Menschen sterben, gewaltige Summen an Steuergeldern ausgeben, Mauern gegen Migranten bauen, Einreiseverbote verhängen und die Überwachung ausbauen, während sie gegen das weitaus größere Risiko kaum etwas unternehmen, es sei denn, dass sich die Bürger selbst mit noch mehr Waffen ausrüsten und die Sicherheitskräfte mit militärischem Equipment ausgestattet werden. Nach Umfragen haben die Amerikaner große Angst vor Terrorismus, aber kaum eine vor Schusswaffen, sehr viel stärker schon vor möglichen Verschärfungen der Waffengesetze.

Aus ökonomischer und machtpolitischer Sicht ist die irrationale Position, das größere Risiko zu verdrängen, aber ganz rational. An Bemühungen, die Verbreitung von Schusswaffen zu reduzieren und die gesellschaftlichen Ursachen für den Ausbruch (selbst)mörderischer Wut zu verändern, sind Kriege, Rüstung, Sicherheits- und Überwachungstechniken und Versuche, Kontrolle über geopolitisch wichtige Gebiete zu erhalten, durchaus rational und einträglich für bestimmte Kreise und Branchen, auch zur Erhalung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Schließlich ist auch die Zerstörung von Städten und Infrastruktur ein Geschäft für die Rüstungsindustrie und dann eines für Unternehmen, die am Wiederaufbau verdienen.

Der militärisch-industrielle Komplex, der auch die gesamte Sicherheitsbranche sowie die Universitäten inkludiert, ist in den USA eine zentrale Konjunkturmaschine, die angewiesen ist auf die Aufrechterhaltung von Kriegen und Konflikten. Deswegen kürzt auch die Trump-Regierung soziale Ausgaben, während die Gelder für Militär und Sicherheitskräfte aufgestockt werden sollen. Damit wird auch weiter Terrorismus im Ausland, aber auch im Inland gefördert, der notwendig ist, um die Aufrüstung und die Kriege zu rechtfertigen und mit Steuergeldern zu finanzieren. Dafür wird das Leben auch von Amerikanern geopfert, die von Amerikanern massakriert werden. Sie folgen dem praktizierten Gebot des Overkill, dem die USA nach den Massenvernichtungsaktionen der Nazis und der Stalinisten gehorchen und dazu geführt haben, erstmals Atombomben einzusetzen: das "mass shooting" des Staates.

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