Wie extreme Ungleichheit und extreme Wasserverschmutzung zusammenhängen

Das Flussbett des Yamuna bei Wazirabad. Foto: Gilbert Kolonko

Indien hat ein Problem, das sich nicht durch das Versprechen einer Reinigung des "heiligen" Ganges lösen lässt

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Im nördlichen Teil Delhis, in Wazirabad, wird ein weiteres Prunkstück des wirtschaftlichen Aufschwungs gebaut, die 251 Meter lange Signature-Brücke. Eigentlich sollte sie schon zu den Commenwealth-Spielen 2010 fertig sein, nun spätestens im nächsten Jahr. Das vermüllte Flussbett des Yamuna-Flusses vor dem Stahlkoloss hat etwas Science-Fiction-artiges: Als einziges Lebewesen sieht man eine dürre Hündin.

22 Kilometer Flussabwärts am Okhla-Damm, haben sich nur ein paar verliebte Paare aus dem nahe gelegenen Vergnügungspark auf den Uferweg verirrt - es stinkt. Der schwarz gefärbte Yamuna, der hier Delhi verlässt, hat bei seinem Besuch in der Hauptstadt 80 Prozent der Verschmutzung abbekommen, die er auf seiner 1300 Kilometer langen Reise bis in den Ganges aufnehmen wird. Über 20 Abwasser-Kanäle sorgen dafür, dass der Dreck von 24 Millionen Menschen, aus einem der am schnellsten wachsenden Ballungsräume der Erde, entsorgt wird. Meist ungeklärt.

"Seit Jahrzehnten haben die Menschen Delhis den Yamuna-Fluss als Mühlhalde benutzt, anstatt als Wasserquelle", sagt Dr. Avinash Kumar, einer der Direktoren der NGO Wateraid zu mir. "Dafür hat sich der Mensch am Grundwasser vergriffen, doch dessen Spiegel sinkt dramatisch", setzt er hinzu.

Wir sitzen in seinem Büro in Green Park, einer Gegend, in der sich die obere Mitteklasse niedergelassen hat. Tennisplätze, Swimmingpools und großzügig angelegte Grünanlagen gehören dazu. "Auf 40 Meter (unter der Grundoberfläche) ist der Grundwasserspiegel in Süd-Delhi schon gesunken - und das, obwohl 75 Prozent des Wassers für Delhi mit Kanälen aus den umliegenden Regionen wie Haryana herangeschafft wird. Doch die wollen das kostbare Gut nicht weiter herschenken", erklärt der Doktor.

Natürlich habe Wateraid der Stadtregierung eine Lösung vorgeschlagen, antwortet Kumar auf meine Frage und setzt hinzu: "Das Regenwasser muss endlich genutzt werden. Dazu sollte Delhi die Abwasseraufbereitung dezentralisieren, damit nicht wenig verschmutztes Haushaltsabwasser mit dem der Industrie vermischt wird. Auch dürfen die Armen nicht aus der Metropole verdrängt werden, sonst entstehen unorganisierte Siedlungen, mit illegalen Brunnen und Abwasser, die das Grundwasser verunreinigen. Probleme dürfen nicht einfach ausgelagert werden."

Auch das ist Delhi-Metro: viel Grün. Foto: Gilbert Kolonko

Mit der Metro geht es eine Station weiter nach Green Park. Mittlerweile gibt es in Delhi sechs Linien und zwei weitere sind im Bau - die Metropole boomt. 2015/16 stieg das BIP in Delhi um 12 Prozent. 2016/17 um 12,76%. Das Pro-Kopf-Einkommen der Hauptstädter ist beinahe drei Mal höher als im Landesdurchschnitt. Das ist auch am Sitz meines nächsten Gesprächspartners, Dipesh Ranjan von Waterneer, zu sehen. Viel Grün, großzügiger Wohnraum, abgesichert mit Mauern und privatem Wachpersonal.

Wie mittlerweile viele andere Firmen bietet Waterneer Wasserreinigungsanlagen an - mit Kapazitäten von 1m³ pro Tag bis 5 m³. "Vor vier Jahren haben wir in Indien angefangen und bis jetzt 1000 Anlagen installiert. Warum soll leicht verschmutztes Toilettenwasser und Waschwasser nach einer endlos langen Reise durch das Abwassersystem völlig verschmutzt in den Flüssen landen?" fragt Ranjan und gibt die Antwort: "Ein großer Teil des Abwassers sollte dezentralisiert wieder aufbereitet werden. Was wir im Kleinen aufzeigen, könnte die Regierung im größeren weiterführen."

Dann erklärt er, dass es auch schon Gespräche mit dem Minister für Wasserangelegenheiten, Uma Bharti, gab, worauf ich einwerfe, dass Waterneer dann wohl auch Ministerpräsident Modi helfe, den 2525 Kilometer langen "heiligen" Ganges zu reinigen, ein Wahlversprechen von Modi. Nun wird Ranjan ernst: "Technisch wäre das überhaupt kein Problem. Bei entsprechendem politischen Willen könnte der Ganges in fünf Jahren ein sauberer Fluss sein."

Auf die Frage, ob dieser Wille denn vorhanden ist, antwortet er: "Nein. Am Ganges wie am Yamuna sind es die Industrieabwässer, die zwar nur eine geringe Menge des gesamten Abwassers ausmachen, aber für die größte Verschmutzung sorgen. Wenn die Regierung den Wettbewerbsvorteil der heimischen Industrie erhalten möchte, soll sie ihr die dezentralen Klärwerke bezahlen."

Noch weiter südöstlich und weit außerhalb des Metro-Systems liegt Sangam Vihar, die größte unorganisierte menschliche Siedlung Asiens. Sie wächst stetig. "Irgendwo müssen die Armen ja hin, wenn sie aus der Innenstadt vertrieben werden. In Sangam Vihar gibt es mittlerweile eine staatliche Wasserleitung. Doch den Großteil des Wasserbedarfs deckt eine Wassermafia - auch wenn zivile Organisationen versuchen, dagegen anzukämpfen. So zahlen die hiesigen Bewohner ein Vielfaches dessen, das die Reichen für Wasser zahlen, die damit sorglos ihre Swimmingpools füllen" sagt Dr. Kumar.

Eine weitere Metro-Linie und das alte Delhi. Foto: Gilbert Kolonko

Schon in der besseren Gegend von Sangam Vihar, auf der Mainroad, wird klar, was der Doktor damit meint. Die belebte Einkaufsstraße ist staubig - oder überschwemmt, weil das teils bunte Wasser der verstopften Abwassergräben auf die Straße läuft. Es stinkt bestialisch. Trotzdem sind die Gesichter der Händler, Fleischer oder Restaurantbesitzer stoisch gelassen, während die Fliegen freudig um sie herum summen. Vor der Jagri Public School, einem vierstöckigen Betonklotz, frage ich einen Lehrer, ob es hier immer so stinkt: "Nein, manchmal ist die Luft nur voller Staub", antwortet dieser trocken.

Zwei Arbeitern die im Abwasser herumstochern, stelle ich die Frage, ob sie die Gräben im Auftrag der Regierung reinigen. Mit einem müden Lächeln antwortet einer von ihnen: "No, private." Drum herum kilometerweit meist unverputzte Ziegelstein-Häuser (laut Dr. Kumar ohne legalen Wasseranschluss), in denen Menschen der unteren Mittelklasse leben. Dahinter die Slums der ärmsten der Armen. Mit Hütten, die aus allem möglichen zusammengezimmert sind. Meist stehen diese in tiefer gelegenen Bereichen, die beim ersten Regen überschwemmt sind.

Auf der Main Road stinkt es bestialisch. Foto: Gilbert Kolonko

"Dass wir in Delhi trotz des technischen Fortschrittes unseres Jahrhunderts so wenig Fortschritte im Bereich Wasser machen, liegt auch an politischen Grabenkämpfen", sagt Wilfred d' Costa, Vorsitzender von INSAF in seinem aufgeheizten Büro ohne Klimaanlage und setzt hinzu:

Die lokale Aam-Aadmi-Partei von Arvind Kejriwal ist der Zentralregierung von Narendra Modi ein Dorn im Auge. Mit 67 von 70 Sitzen im Stadtparlament von Delhi hat die AAP gezeigt, dass es Alternativen zu BJP und der Kongresspartei gibt. Doch da die Stadtverwaltung für die Wasserversorgung zuständig ist, die Kommunen (deren Versammlung unter der Kontrolle der BJP steht), jedoch fürs Abwasser, geht es nur mühsam voran. Das trifft vor allen die Armen. Indien wird wirtschaftlich eine zukünftige Supermacht sein. Mit einer bessergestellten Mittelklasse von 180 Millionen ist es das vielleicht schon jetzt. Doch wir können unseren Dreck nicht in andere Länder auslagern, wie die westlichen Industrienationen. Nur wenn alle Menschen Indiens vom Fortschritt profitieren, kann die Verschmutzung unserer Flüsse und die Zerstörung unserer Umwelt gestoppt werden. Alles andere bedeutet nur: Aus den Augen [der Privilegierten], aus dem Sinn.