Spanien: Eskalation in Katalonien

Mit der Inhaftierung der Präsidenten der großen katalanischen zivilgesellschaftlichen Organisationen wegen "Aufruhr" hat Spanien die Lunte angezündet

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Es war kein Zufall, dass am Montag um 10 Uhr, als das spanische Ultimatum gegen Katalonien auslief, gleichzeitig die beiden Präsidenten der großen katalanischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Chef der Regionalpolizei erneut vor den Nationalen Gerichtshof in Madrid zitiert wurden. Ihnen wird nun schon zum zweiten Mal "Aufruhr" vorgeworfen, worauf bis zu 15 Jahre Haft stehen.

Es war wirklich auch kein Zufall, nachdem der katalanische Regierungschef nicht eingeknickt ist und weiter auf Dialog zur Lösung der Krise setzt, dass die Richterin Carmen Lamela, auf Antrag des Ministeriums für Staatsanwaltschaft nun den Präsidenten des Katalanischen Nationalkongresses (ANC) Jordi Sànchez und den Chef der Kulturorganisation Òmnium Cultural Jordi Cuixart inhaftieren ließ.

Spanien hat die Repressionswelle also losgetreten, die allseits erwartet wurde, weil die rechte Volkspartei (PP) sich offenbar nicht anders zu helfen weiß, in der Sackgasse steckt und wie ein wildes Tier um sich schlägt. Das Vorgehen war so vorhersehbar, dass die beiden Inhaftierten eine Videobotschaft im Vorfeld aufgenommen haben. Man wolle die ängstigen und bestrafen, die "die Freiheit verteidigt haben und auf die Straße gegangen sind". Sie rufen nun zu einer "permanenten Mobilisierung" bis zur Ausrufung der katalanischen Republik in der Haltung auf, die die Bewegung stark gemacht habe: "Einheit, Friedlichkeit und Vertrauen in uns selbst."

Damit ist nun aber auch klar, dass Puigdemont kaum noch eine andere Chance hat, als die ausgesetzten Wirkungen der Unabhängigkeitserklärung nun doch in Kraft zu setzen, wie es immer breitere Sektoren in der katalanischen Gesellschaft fordern. Der katalanisch Regierungssprecher Jordi Turull meint, "der Staat hat die Forderung nach Dialog gesprengt". Wie der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont in seinem Brief an den spanischen Regierungschef Mariano Rajoy schon gewarnt hatte, die Dialogbereitschaft als "Schwäche" zu werten, fügte auch Turull an, dass sie dabei "auf dem Holzweg" seien.

Man könne einen Sprengsatz an der Brücke für den Dialog anbringen, doch mit zwei bricht sie zusammen", kündigt Turull nun ein anderes Vorgehen an und ruft die EU und die Mitgliedsstaaten angesichts der Eskalation zum Handeln auf.

Den beiden "Jordis" wird vorgeworfen, die Bevölkerung am 20. September zu den katalanischen Ministerien mobilisiert zu haben. Zehntausende gingen gegen die Razzien und die Festnahmen von hohen Beamten zu protestieren. Gesucht wurde Material für das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober. Das wertet Lamela als "Aufruhr", also als "Erhebung gegen die Autorität". Dabei muss dafür "gemeinschaftlich und gewalttätig" vorgegangen werden. Davon kann aber keine Rede sein, die katalanischen Proteste sind stets friedlich. Stets haben sich auch die Jordis eindeutig gegen Gewalt ausgesprochen.

Als Vorwand wird benutzt, dass drei Jeeps der paramilitärischen Guardia Civil zu Bruch gingen, als einige der gut 40.000 Menschen auf sie stiegen, da sie direkt vor dem Wirtschaftsministerium geparkt waren. Die beiden Jordis seien die "Antreiber" der Demonstrationen. Die Richterin erklärt auch, dass es sich dabei nicht um einen "isolierten und zufälligen Protest" handele. Dahinter stehe vielmehr eine "komplexe Strategie", an der Sánchez Cuixart mitwirken würden. Es gehe um einen "Fahrplan, um die Unabhängigkeit von Katalonien zu erreichen", worin das Referendum ein zentraler Bestandteil sei.

So richtet sich Lamela, als Hardlinerin bekannt, die schon wegen Aufruhr gegen die festgenommenen Beamten ermittelt, real gegen das Referendum. Die Vorgänge am Wirtschaftsministerium sind nur ein Aufhänger. Letztlich geht es darum, dass die spanische Regierung und die Sicherheitskräfte am 1. Oktober vorgeführt wurden. Sie hatten stets behauptet, es werde kein Referendum geben. Doch es gab die Abstimmung. Auch mit brutaler Gewalt konnten Guardia Civil und Nationalpolizei nur knapp 100 von mehr als 2000 Wahllokalen schließen und die Urnen beschlagnahmen.

Spanien, das in 10 Jahren der Gesprächsverweigerung das Problem erst geschaffen hat, setzt auf Eskalation, statt die Lage durch Vermittlung und Dialog zu entschärfen, wie es allseits gefordert wird. Madrid hat ein neues Ultimatum bis Donnerstag gestellt und will dann auch damit beginnen, über den Artikel 155 die katalanische Autonomie auszusetzen. Man darf dann mit weiteren Verhaftungen rechnen, möglich ist, dass darunter dann auch der Regierungschef Carles Puigdemont ist. Der Chef der katalanischen Regionalpolizei blieb gestern unter Auflagen auf freiem Fuß, doch er muss eine Kaution von 40.000 Euro hinterlegen. Josep Lluís Trapero musste seinen Pass abgeben, darf Spanien nicht verlassen und muss sich regelmäßig bei Gericht melden.

Katalonien wehrt sich

Die Reaktionen sind scharf. Schon in der Nacht gab es sogenannte "Caceroladas" weit über Katalonien hinaus, um mit dem "Topfschlagen" gegen die Inhaftierungen zu protestieren Heute gibt es überall in Katalonien und auch in ganz Spanien Proteste. Für 12 Uhr soll in ganz Katalonien die Arbeit niedergelegt werden und sich die Beschäftigten vor den Betrieben versammeln. Am Abend wird es große Demonstrationen geben und ein neuer allgemeiner Generalstreik wird debattiert, der noch kräftiger ausfallen dürfte als am 4. Oktober.

Auch über das Unabhängigkeitslager hinaus, wo sie als "politische Gefangene" bezeichnet werden, wird das spanische Vorgehen kritisiert. Die Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau spricht von einer "Barbarei" und einem "großen Fehler", dass Menschen nun wieder in Spanien inhaftiert werden, weil sie zu "friedlichen Demonstrationen" aufgerufen haben. Sie sagt den Jordis "volle Unterstützung". Der Chef der spanischen Linkspartei Podemos Pablo Iglesias erklärt, dass die vielen korrupten Politiker von Rajoys PP frei seien, aber katalanische Unabhängigkeitsanhänger im Knast. "Die PP zerstört die demokratische Demokratie", schreibt er.

Auch der Chef der katalanischen Sozialdemokraten, der gegen die Unabhängigkeit und das Referendum argumentiert hatte, spricht von "Unverhältnismäßigkeit". Miguel Iceta meint, man habe schon am 23.9 kritisiert, dass gegen Jordi Sànchez y Jordi Cuixart wegen Aufruhr ermittelt werde. Dafür applaudiert der katalanische PP-Chef Xavier García Albiol‏ die Inhaftierung wegen "Aufruhr".