"Mit Territorien auswandern"

Fürst Hans Adam II. von Liechtenstein. Foto: TP

Auf einer Konferenz des Mises-Instituts debattiert man die Vorteile kleiner politischer Einheiten

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In den 1960er Jahren, als der heute amtierende Liechtensteiner Fürst Hans Adam II. sich auf die Übernahme des Fürstentums seines Vaters vorbereiten sollte, gingen die meisten Beobachter davon aus, dass kleine Einheiten keine Zukunft hätten: Die Kolonien hatte man vorher fast alle ohne größere Rücksicht auf Sprachen und Kulturen in eine Linealgrenzenunabhängigkeit entlassen - und Konflikte wie beispielsweise den in Vietnam führte man monokausal auf Stellvertreterkämpfe zweier Supermächte zurück, ohne andere wichtige Ursachen wie den Selbstbestimmungswillen sprachlich-kultureller Einheiten ausreichend zu berücksichtigen.

Fünfzig Jahre später sieht die Welt ganz anders aus: Die Sowjetunion zerfiel nicht zuletzt wegen des Selbstbestimmungswillens kleinerer Völker wie der Litauer, der Letten, der Esten und der Armenier in Bergkarabach. In zahlreichen anderen Gegenden der Welt, von Katalonien bis Kurdistan, kämpfen Menschen darum, in kleineren als den gegebenen Einheiten leben zu können. Und Hans Adam II. führt ein Land, in dem die Löhne so hoch sind, dass man Gastarbeiter aus der Schweiz anheuert.

Vorbild Liechtenstein

Gestern sprach das Staatsoberhaupt im Bayerischen Hof in München auf einer Konferenz des Ludwig-von-Mises-Instituts mit dem Titel Small is beautiful - vom Vorteil kleiner politischer Einheiten darüber, wie er seinen Staat für das dritte Jahrtausend "zukunftsfähig" machte. Der mit den Habsburgern verwandte Fürst, der sein Hochdeutsch mit dem weichen Akzent der Wiener Gesellschaft spricht, sieht für Staaten im 21. Jahrhundert im Grunde nur vier Aufgaben: Die Außenpolitik, die Aufrechterhaltung des Rechtsstaats, die Bildung (bei der er Gutscheine für die beste Lösung hält, um bürokratische Ineffizienz zu vermeiden) und die Finanzen. Hier plädiert er dafür, die direkten Steuern den Gemeinden und die indirekten dem Staat zu überlassen, weil er unterschiedliche Sätze für zu bürokratisch hält.

Während andere Staaten gigantische Schuldenberge anhäufen und Währungen destabilisieren hat Liechtenstein einen ganzen Jahreshaushalt auf der hohen Kante. Auch deshalb, weil das Land sein Theater nicht von der öffentlichen Hand, sondern von Unternehmern finanzieren lässt, die dafür öffentlich "geehrt" werden. Dem Argument, dass die Haushaltsreserven nur durch einen unfairen Wettbewerb möglich seien, weil kleine Länder wie Liechtenstein und Monaco keine Ausgaben für Hochschulbildung und Verteidigung hätten, entgegnete Hans Adam II., dass für solche Ausgaben sehr wohl beträchtliche Anteilszahlungen in die benachbarten größeren Länder abgeführt werden. In Monaco etwa alleine für die Verteidigung die Hälfte der Mehrwertsteuer an Frankreich. Die Vorstellung dass es in seinem knapp-38.000-Einwohner-Fürstentum ausschließlich Banken gebe, konnte er durch Verweis auf Firmen wie Hilti korrigieren.

Direkte Demokratie

Liechtenstein führte die Direkte Demokratie bereits 1921 ein. Die parlamentarische Vertreterdemokratie eignet sich der Ansicht des Fürsten vor allem für Gesellschaften, in denen es sehr große Bildungsunterschiede gibt. Heute dagegen hält er Politiker in Europa nicht für gebildeter als ihre Bürger. Die haben in der Liechtensteiner Verfassung die Möglichkeit, den Fürsten via Volksinitiative jederzeit mit einfacher Mehrheit abzusetzen oder die Monarchie ganz abzuschaffen. Auch jede einzelne Gemeinde hat das verfassungsmäßig verbriefte Recht, sich entweder selbständig zu machen, oder sich einem anderen Staat anzuschließen.

Das sind deutlich umfassendere Rechte, als die Bürger in anderen Ländern sie haben. Dort können sie meist nur alle vier oder oder fünf Jahre über Personal entscheiden - und darauf hoffen, dass dieses Personal dann in etwa die Inhalte umsetzt, die es vorher versprach. Dass das nicht immer der Fall sein muss, zeigten in Deutschland Gerhard Schröder und Angela Merkel. Entsprechend viel Applaus erhielt der im Vergleich zu Politikern ausgesprochen angenehm ruhig und humorvoll auftretende Monarch, der seine Gedanken dazu auch in seinem Buch Der Staat im dritten Jahrtausend niedergeschrieben hat, in München.

Für den Zürcher Juraprofessor David Dürr, den zweiten Redner auf der Veranstaltung, ist die Schweiz, an die Liechtenstein Zahlungen für größere Aufgaben abführt, nicht nur viel zu groß, sondern auch kein freiwilliger Zusammenschluss, den die Sieger des Sonderbundkrieges 1848 mit einer Mehrheit von 15 ½ gegen 61/2 Kantonen den Verlierern aufzwangen. Er schlägt deshalb eine Sammelklage vor, die er nicht vor einem Gericht, sondern gegenüber der "Öffentlichkeit" einreichen will.

Kleiner und friedlicher?

Andreas Marquart, der dritte Redner, versuchte mit einer Vielzahl von Statistiken den bereits von Hans Adam II. angerissenen Gedanken zu belegen, dass kleinere Einheiten potenziell für eine friedlichere Welt sorgen könnten als größere. Katastrophen wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann sich die Welt mit den militärtechnologischen Möglichkeiten von heute dem Fürsten zufolge nicht mehr leisten, weshalb der Staat seiner Ansicht nach ein Dienstleister werden sollte, der sich einer Konkurrenz stellt - und kein Monopolbetrieb, der nur aufwendiges Auswandern und Revolution mit Bürgerkrieg als Alternativen anbietet. Die Bürger sollten seinen Worten nach "mit ihren Territorien auswandern" und zu einem anderen Dienstleisterstaat wechseln können.

Als Vorbild sieht er die Lösung des Minderheitenproblems im Kanton Bern, in dem sich die Spannungen zwischen protestantischen Schweizerdeutschsprechern und katholischen Französischsprechern so angestaut hatten, dass es sogar zu Gewalttaten kam. Die in einer Volksabstimmung mit großer Mehrheit angenommene Lösung, die Bildung eines eigenen Kantons Jura, war ein so großer Erfolg, dass sich später sogar Gemeinden, die vorher bei Bern bleiben wollten, diesem neuen Kanton anschlossen.

Dr. Titus Gebel, der vierte Redner, warb für seine Idee "freier Privatstädte", die er aus Sonderwirtschaftszonen in Mittelamerika entwickeln will. Sein Versprechen, dass diese Quasi-Staaten Verträge mit ihren Kunden-Bürgern nicht einseitig kündigen oder abändern könnten, wirkt angesichts der Praxis von Unternehmen im Software- als auch im Telekommunikationsbereich sehr gewagt. Klauseln, die eine Abänderung ermöglichen, lassen sich nämlich leicht verstecken. Interessant ist seine Idee, dass Dienstleisterstaaten für Einbrüche Schadensersatz zahlen, weil sie in solchen Fällen die von ihnen versprochene Sicherheitsgarantie nicht erfüllten.

Thorsten Polleit, der Präsident des Ludwig-von-Mises-Instituts, beschäftigte sich in seinem Abschlussvortrag mit dem Problem, wie sprachlich und kulturell homogen Einheiten in der Praxis sein müssen (oder wie heterogen sie sein können), um als Demokratien zu funktionieren.

Um Selbstbestimmung, Separatismus, Föderalismus und Subsidiarität geht es auch im nächsten Telepolis-Salon am 13. November. Diskussionsteilnehmer sind der syrisch-kurdische Historiker Dr. Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker, Thomas Hummel, ein Jurist, der sich mit der Geschichte des Begriffs der territorialen Integrität auseinandergesetzt hat, und Professor Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, eine Expertin für Föderalismus und Europapolitik.