Zitier mich oder vergiss es!

Forscherin der Technischen Universität Wageningen flog wegen Machtmissbrauchs als Gutachterin auf

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Erst vor wenigen Wochen schrieb ich hier über die eingeschränkte Freiheit der Wissenschaft, vor allem durch den nicht-transparenten Prozess der Begutachtung von Publikationen und Forschungsanträgen (Teil 1, Teil 2). Jetzt berichtete die Zeitung meiner Uni über eine besondere Form des "Betrugs": Eine Wissenschaftlerin habe ihre Macht als Gutachterin missbraucht, um andere zum Zitieren ihrer eigenen Arbeiten zu nötigen (Fraud 2.0).

Währung Zitation

Warum sollte man so etwas tun? Zitationen sind eine der Hauptwährungen im heutigen Wissenschaftssystem, im Kampf um Stellen und Gelder. Ob die Arbeiten gut sind, das ist zweitrangig. Hauptsache, sie werden häufig zitiert. Das trägt einerseits zum Prestige der Zeitschriften bei, deren Wichtigkeit im Impact Factor ausgedrückt wird, der von den Zitationen abhängt; andererseits steigt so die Wissenschaftlerin etwa im h-Index (von Google Scholar), der zum Ausdruck bringt, wie häufig jemand zitiert wird - also vielleicht, wie wichtig er oder sie in der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist. An solchen Kennzahlen können im Wettbewerb ganze Karrieren hängen.

Die Gutachterinnen und Gutachter, die sogenannten Peer Reviewers, bleiben anonym und können mehr oder weniger tun und lassen, was sie wollen. Sie sind nur den Redaktionen der Zeitschriften gegenüber bekannt und verantwortlich. Diese Zeitschriften gehören aber oft profitorientierten Unternehmen, deren Interessen sich nicht mit denen der wissenschaftlichen Gemeinschaft decken müssen. Als Öffentlichkeit, die den ganzen Spaß bezahlt, und als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler, dessen Laufbahn davon abhängt, muss man schlicht darauf vertrauen, dass es beim Review-Prozess mit rechten Dingen zugeht.

Übertriebener Missbrauch

Die Forscherin, deren Identität nicht verraten wird, flog jetzt wohl deshalb auf, weil sie es mit der Optimierungsstrategie übertrieben hat: Sie habe schlicht bei jeder Arbeit, die ihr zur Begutachtung angeboten worden sei, das Zitieren einer bestimmten Forscherin gefordert oder zumindest empfohlen - nämlich von sich selbst. Für die Zeitschrift Earth Matters, in der sie selbst viel publiziert habe, hätten jedoch auch andere Reviewers diesen Trick angewandt. Das führte schließlich zu Beschwerden, sodass die Fälle offiziell untersucht wurden.

Das für die Forscherin zuständige Ethik-Komitee der Universität Wageningen nannte den Vorfall zwar "tadelnswert" - ein formeller Verweis blieb aber aus. Das kritisierte Verhalten werde im Verhaltenskodex der niederländischen Wissenschaft nämlich (bisher) nicht erwähnt.

Für und wider Zitationen

Im Einzelfall kann es natürlich gute Gründe dafür geben, in einem Peer Review das Zitieren bestimmter Arbeiten nahezulegen, auch der eigenen, wenn darin wichtige Funde stehen, die die Autorinnen und Autoren berücksichtigen müssten. Wer seine Arbeit schnellstmöglich publiziert sehen will, vielleicht weil die nächste Beurteilungsrunde ansteht oder demnächst ein Forschungsantrag eingereicht werden will, gibt dann eher klein bei und zitiert die "empfohlene" Arbeit, als einen Streit zu riskieren, in dem es sowieso keine Waffengleichheit gibt. Alles steht und fällt mit der Integrität der Redaktion, die hinter verschlossenen Türen die Letztentscheidung trifft und keiner unabhängigen Instanz gegenüber verpflichtet ist.

Ein paar Zitationen mehr oder weniger mögen für die Wissenschaft nicht von entscheidender Bedeutung sein. Der Fall macht aber die Mechanismen des wissenschaftlichen Publikationswesens deutlich, die Machtmissbrauch ermöglichen. Wie ich bereits schrieb, kann man durch sinnlose Auflagen ("Führen Sie doch noch ein Kontrollexperiment durch, um zu sehen, ob…") die Arbeit der Konkurrenz in die Länge ziehen oder in der Zwischenzeit die Idee sogar stehlen und als die eigene publizieren (Warum die Wissenschaft nicht frei ist).

Die von mir empfohlene Lösung, den Review-Prozess transparent zu machen, indem man die Gutachten mitveröffentlicht und vielleicht sogar auch die Namen der Gutachterinnen und Gutachter bekannt macht, wird auch im Artikel der Unizeitung diskutiert. Daneben werden die Plattformen ArXiv (für Naturwissenschaften, seit 1991) oder BioRxiv (für Lebenswissenschaften, seit 2013) als positive Beispiele genannt: Dort können Forscherinnen und Forscher ihre Arbeiten bereits mit der Community teilen, bevor diese den - womöglich langwierigen - Gutachtenprozess durchlaufen hat.