Das Volk ./. Lee Harvey Oswald

Lee Harvey Oswald wurde von Jack Ruby am 24. November 1963 erschossen, als er ins Gefängnis gebracht werden sollte. Bild: Jack Beers Jr/gemeinfrei

Wie hätte sich der Beschuldigte verteidigt?

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"Experten erwarten keine großen Enthüllungen, die die offizielle Version erschüttern könnten", weiß DER SPIEGEL zur bevorstehenden Aktenfreigabe zum Attentat in Dallas (Einen Tag vor der Freigabe der JFK-Akten beweist die deutsche Presse erstaunliche Inkompetenz). Die Redaktion verurteilt den ehemaligen Paramilitär und Militärgeheimdienstler Lee Harvey Oswald, der zwischenzeitlich als Kommunist aufgetreten war, des alleinigen Mordes an John F. Kennedy. Oswald war allerdings nicht einmal von der Polizei als Verdächtiger verhört worden, bekam keinen Anwalt und infolge eines weiteren Mordanschlags auch keinen Prozess.

Wie hätte er sich verteidigt?

Richter: (klopft mit dem Hammer) "Ruhe im Gerichtssaal! Ich rufe auf die Sache 'Das Volk gegen Lee Harvey Oswald'! Die Anklage kenne wir ja nun alle, dann gebe ich das Wort gleich mal der Verteidigung."

Verteidiger: "Euer Ehren, mein Mandant ist unschuldig.

Für einen Mord braucht man ein verdammt gutes Motiv. Wäre mein Mandant, wie Sie sagen, Kommunist, warum hätte er dann ausgerechnet Präsident Kennedy umbringen sollen? Den Mann der einen Kleinkrieg mit den Hardlinern im Pentagon führte? Der die Kuba-Krise friedlich beendete und die Jupiter-Raketen von der Grenze zur Sowjetunion abzog? Der gerade mit Chruschtschow den Weltraumvertrag unterschrieben und damit die Träume der Militärs von einem militarisierten Orbit beseitigte? Der Präsident, der namentlich der Mafia den Krieg erklärt hatte und der sich mit dem Establishment der Wallstreet und der CIA anlegte?

Im Gegensatz zu den ganzen Hardlinern, Exilkubaner und Rechtsextremisten insbesondere hier in Texas, wo Hasstiraden auf Kennedy zum guten Ton gehörten, wüsste ich nicht, welchen Nutzen sich mein Mandant von einem Mord am Präsidenten hätte versprechen sollen. Im Gegenteil war nicht zu erwarten, dass der Nachfolger dem Kommunismus freundlicher gesonnen wäre.

Hätte mein Mandant wirklich die Absicht gehabt, den Präsidenten zu erschießen, die Tat aber abzustreiten, so hätte er die Tat geschickt verbergen müssen. Wer jedoch von einem Hochhaus aus schießt, dieses ohne Schalldämpfer, muss damit rechnen, dass das Gebäude sofort umstellt und eine Flucht unwahrscheinlich wird. Mein Mandant saß zur Tatzeit, wo er von der Zeugen ca. 90 Sekunden nach dem 3. Schuss gesehen wurde, in der Kantine im 2. Stock. Mein Mandant hat nicht einmal eine Flucht versucht.

Ein cleverer Täter hätte auch Handschuhe getragen, um Schmauchspuren und Fingerabdrücke auf der zurückgelassenen Waffe zu vermeiden. Fingerabdrücke wurden auf der angeblichen Tatwaffe erst im zweiten Versuch "gefunden", Schmauchspuren allerdings nie. Erstaunlich ist, dass der Polizist im Schulbuchlager ein Gewehr der Marke Mauser fand, die Fingerabdrücke dann aber auf einer Mannlicher-Carcano präsentiert wurden.

Jeder Attentäter mit Sachverstand, der ein bewegliches Ziel auf diese Distanz hätte treffen wollen, hätte ein Präzisionsgewehr oder ein vollautomatisch repetierendes Sturmgewehr verwendet. Wie Ihnen viele italienische Kriegsveteranen bestätigen werden, ist die Carcano das schlechteste Gewehr der Welt. Die Zieloptik war zudem unbrauchbar montiert. Außerdem handelt es sich um ein Repetiertgewehr. Man kann es in so wenigen Sekunden zwar zweimal nachladen, aber in dieser Zeit unmöglich ein bewegliches Ziel anvisieren. Es ist bis heute niemandem gelungen, diese drei Schüsse originalgetreu nachzustellen. Mein Mandant war im übrigen ein so lausiger Schütze, dass er beim Üben mal die Zielscheibe des Nebenmannes traf.

Hätte mein Mandant wirklich im besagten Raum im 6. Stock des Schulbuchlagers dem Präsident aufgelauert, hätte er ihn mit Sicherheit von vorne anvisiert, als dieser von der Houston-Street auf ihn zugefahren kam. Der Schauplatz auf der Elm-Street hingegen eignet sich perfekt für ein Kreuzfeuer aus anderen Schusspositionen, zumal dort ein Baum das Anvisieren vom angeblichen Fenster stört.

Mein Mandant bekam den Job im Schulbuchlager von einem Freund verschafft, der Verbindungen zur CIA hatte. Wie hätte mein Mandant schon damals wissen sollen, dass der Präsident hier vorbeifahren würde? Woher hätte mein Mandant wissen sollen, dass kurz vor der Fahrt überraschend beschlossen wurde, das kugelsichere Verdeck abzunehmen? Wäre die Fahrt planmäßig erfolgt, hätten außerdem auf den Trittsteigen Secret Service-Leute und an der Seite Motorradpolizisten des Schussfeld gestört. Untersuchen Sie doch einmal lieber, wer den kurzfristigen Befehl zum Abzug dieser Sicherheitskräfte gab!

Warum wurde der Fahrer der Limousine nicht befragt, warum er nicht beim ersten Schuss beschleunigte und den Wagen aus der Gefahrenzone fuhr, wie er es im Training gelernt hatte? Im Gegenteil trat der Mann auf die Bremse. Statt Spuren zu sichern wurde das Auto sofort gereinigt.

Woher stammte eigentlich Minuten nach der Tat die im Polizeifunk durchgegebene Personenbeschreibung meines Mandanten? Wäre die Tat so verlaufen, wie man es im SPIEGEL nachlesen kann, hätte kein Polizist zu diesem Zeitpunkt von meinem Mandanten wissen können.

Es müssen mehr als drei Schüsse abgefeuert worden sein. Die Theorie von der Magischen Kugel ist offensichtlich Mumpitz (Magic Bullet - Das lange Leben einer Zauberkugel)

Wo befand sich eigentlich die CIA-Leute David Atlee Phillips, E. Howard Hunt, Frank Sturgis, David Morales und Allen Dulles zur Tatzeit? Aus welchem Grund reiste William King Harvey, der Chefplaner der CIA für verdeckten politischen Mord (Der "amerikanische James Bond" liquidierte nicht nur ausländische Staatschefs) und Allen Dulles (Die magische Kugel des Allen Dulles) vor dem Attentat in die Nähe?

Und was ist mit den seltsamen Beziehungen meines Mandanten zu Schattenmännern wie David Ferrie und George de Mohrenschieldt, der erstaunliche politische Verbindungen hatte? Mein Mandant vermutete, er solle als Sündenbock missbraucht werden."

Richter: "Es reicht, hören Sie auf! Wir haben genug gehört. Was sagen die Geschworenen?"

Geschworene: "Schuldig. Aber nicht der Angeklagte, sondern das Volk, das sich mit solcher Propaganda abspeisen lässt."