SOKO Braunlicht

Das Thema "Organisierte Kriminalität" wird im Zusammenhang mit dem NSU konsequent ausgeblendet - obwohl genau das der alles verbindende Rahmen ist

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Zehn Morde werden dem sogenannten NSU-Trio zur Last gelegt: Neun Morde an Gewerbetreibenden mit türkischem Hintergrund, bzw. in einem Fall mit griechischen Wurzeln sowie die Erschießung der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter. Die Morde an den neun Gewerbetreibenden weisen ein gewisses Raster auf, aus dem der Fall Michèle Kiesewetter klar herausfällt. Trotzdem weisen auch in dem Fall viele Indizien in Richtung NSU, bzw. rechte Szene.

Allerdings gibt es einige Ungereimtheiten und Zufälle. Sowie Spuren, denen nicht oder nicht weiter nachgegangen wurde. Zum Beispiel ein mögliches konspiratives Treffen zwischen Geheimdienstlern (welcher Nationalität auch immer) mit islamischen Fundamentalisten, konkret mit einem der Drahtzieher der als "Sauerlandgruppe" bekannten Terrorgruppe. Von denen wiederum mindestens einer Kontakte zu osteuropäischen Mafiabanden gehabt haben soll.

Organisierte Kriminalität als äußerer Rahmen

Hinweise in Richtung "Organisierte Kriminalität" wurden jedoch ebenfalls verworfen, nachdem die Ermittler sich anfangs den Ruf, eine rassistische Agenda zu verfolgen, eingehandelt hatten. Organisierte Kriminalität ist aber der äußere Rahmen, der alle möglichen Akteure, zumindest im Fall Michèle Kiesewetter, verbindet: Fundamental-islamische Gruppierungen rekrutieren ihr Fußvolk, sprich die Bombenleger, häufig im kleinkriminellen Milieu, wie wir heute wissen. Neonazis brauchen Waffen.

Da sie ihren Bedarf nicht ausschließlich durch Einbrüche in Bundeswehrkasernen oder "Mitbringsel" von "Kameraden", die diese dort haben mitgehen lassen, decken können, gibt es nur eine Möglichkeit: Mitmischen im Waffenhandel. Außerdem sind so einige Neonazis an Prostitution, Kinderpornographie und -prostitution, also Menschenhandel beteiligt.

Das bekannteste Beispiel ist der thüringische Neonazi-Kader Tino B... Bekannt sind zudem enge Verbindungen zwischen der Rechten und der Rockerszene. Michèle Kiesewetter war an Ermittlungen gegen die Organisierte Kriminalität beteiligt, ebenso ihr Onkel Mike Wenzel in Thüringen. Auch war in den Medien von ermittelten Verbindungen zwischen Neonazis und der Organisierten Kriminalität, konkret Drogenbanden, die Rede.

Damit die Netzwerke der Organisierten Kriminalität funktionieren, brauchen sie die Unterstützung von Politik und Justiz. Der "Sachsensumpf" lässt ahnen, wie diese Verquickung funktioniert. Auch der Fall Sebastian Edathy zeigt auf, wo Freier und Kundschaft von Kinder- und Edelprostitution und -pornographie auch zu finden sind: in den höchsten Ebenen von Politik, Justiz und Wirtschaft. Diese Kundschaft macht die involvierten Vertreter aus Politik, Justiz und Wirtschaft erpressbar - und somit gefügig.

Über diese Zusammenhänge haben die deutsch-italienische Journalistin Petra Reski und der Schriftsteller Jürgen Roth aufschlussreiche Bücher geschrieben. Einen Blick in die Tiefen des "Sachsensumpfes" gewährt zudem das Buch "Die Zeit des Schweigen ist vorbei" von Mandy Kopp, die als Jugendliche im Leipziger Kinderbordell "Jasmin" gefangen gehalten wurde.

"Sachsensumpf" und "Aktenschredderietis"

Die Verstrickung in den Sachsensumpf, der über den Thüringer Bruch, das bayerische Moor zum baden-württembergischen Morast reicht (und weit darüber hinaus), dürfte einer der Gründe für den epidemischen Ausbruch der Aktenschredderietis in Bezug auf den NSU und alle Hintermänner und -frauen sein. Neben dem verzweifelten Versuch zu vertuschen, wie tief der Staat in die Machenschaften der Rechten verstrickt ist, und um Quellen zu schützen. Notwendig ist eine "SOKO Braunlicht", die ernsthaft Fragen nach Hintermännern, Kunden und Freiern stellt.

Nur wenn sich die zuständigen Behörden dieser Komplexität stellen und konsequent alle Spuren verfolgen, insbesondere Rechtsradikalismus und Organisiertes Verbrechen nicht als Widerspruch betrachten sowie der Tatsache ins Auge sehen, dass Staat, bzw. Vertreter des Staates und Organisierte Kriminalität genau wie Staat und rechte Szene nicht zwangsläufig auf verschiedenen Seiten des Gesetzes stehen, können diese Morde - und wer weiß, wie viele Verbrechen noch - lückenlos aufgeklärt werden. Sofern das aufgrund der vielen inzwischen vernichteten Beweise überhaupt noch möglich ist.

Aber genau das macht auch die politische Brisanz dieser Spuren aus. Weshalb sie geflissentlich ignoriert - oder wenn es gar nicht mehr anders geht - solange dementiert werden, bis niemand mehr durchblickt, was nun stimmt und was nicht.

Die nun folgende Geschichte ist sehr ausführlich, aber sie ist es wert, in voller Gänze erzählt zu werden, weil immer neue Aspekte, u.a. aufgrund der Recherchen des Kollegen Thomas Mosers, aber auch z.B. des Blogs "Abolition 2014 - für eine Welt ohne Prostitution" auftauchen, die zu einem Strang zusammenzuführen, dringend notwendig ist.

Der Fall Michèle Kiesewetter

Am 25.4.2007 wurde in einem Polizeiwagen auf einem Parkplatz an der Theresienwiese in Heilbronn die Leiche der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter (22) sowie ihr schwer verletzter Kollege Martin Arnold (24) gefunden. Michèle Kiesewetter tötete eine Kugel aus einer Pistole des Typs Radom, Modell VIS 35, Kaliber 9mm, Luger. Im Kopf von Martin Arnold steckte eine Kugel aus einer Pistole TOZ, Modell TT 33, Kaliber 7,62mm, Tokarew. Diese Kugel konnte bis heute nicht vollständig entfernt werden. Allerdings waren die Waffentypen zu dem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Die Tatwaffen waren verschwunden, ebenso beider Dienstwaffen vom Typ HK P2000 sowie deren Handschellen.

Der Taxifahrer Jamil C. war als erster am Tatort. Allerdings wurde er von den wenig später eintreffenden Polizeibeamten weggeschickt. Später wurde er vernommen, doch für seine Beobachtungen interessierte sich niemand so wirklich.

Am Tatort erschienen auch recht zügig Kollegen der beiden, auffallend viele waren offensichtlich als Zivilbeamte im Einsatz. Auffallend war auch, dass Michèle Kiesewetter und Martin Arnold Schutzwesten trugen, obwohl sie doch, wie der Stern schreibt, "ein paar Obdachlose vertreiben" sollten.

Die Einheit hatte einen sogenannten Konzeptionseinsatz unter dem Motto "Sichere City" zu absolvieren, der ziemlich spontan angesetzt wurde. Obwohl es die Anordnung gab, den Dienst zurückzufahren, damit Überstunden abgebummelt werden könnten. Auch Michèle Kiesewetter hatte eigentlich dienstfrei und sich in ihrer alten Heimat im Thüringischen aufgehalten. Vier Jahre früher war sie von Ost nach West, sprich von Thüringen nach Baden-Württemberg gewechselt.

Als sie dort einen Anruf bekam und gebeten wurde, den Urlaub vorzeitig abzubrechen, soll sie spontan zugesagt haben. Ebenso spontan soll sie mit ihrem Kollegen ein Team gebildet haben und auch dass sie auf jenem Parkplatz Pause machen würden, war vorher nicht bekannt. Oder doch?

"Anders als A. kennt Kiesewetter den Platz neben dem Pumpenhaus schon von zwei angeblich ähnlich banalen Streifendiensten Anfang April 2007. Zweck und Umstände dieser Einsätze gelten bis heute als 'Verschlusssache'. Widersprüchliche Aussagen von beteiligten Polizisten und Zeitangaben nach dem Mord, so legen es auch die Recherchen von Dirk Laabs und Stefan Aust für ihr Buch 'Heimatschutz' nahe, könnten Indizien dafür sein, dass noch eine andere Operation lief als bisher bekannt. Welches Ziel die hatte, ist allerdings unklar - oder soll es bleiben", berichtet der Stern.

Dieser Einsatz wurde geleitet von Timo H. Wie sich später herausstellen sollte, gehörte dieser Kollege Michèle Kiesewetters der Heilbronner Sektion des Ku Klux Klans an. Einer von dessen Kapuzen-Spezln soll direkten Kontakt zu Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gehabt haben. Was dieser allerdings bestritt.

In seinem Buch "Der NSU-VS-Komplex" zitiert Autor Wolf Wetzel den Bericht der Polizei Heilbronn: "Es gab keinen konkreten Auftrag für die Beamten, die ab 13 Uhr auf Streife gewesen sind. Sie sollten in der Heilbronner Innenstadt polizeiliche Präsenz zeigen und Kontrollen von verdächtigen Personen und Fahrzeugen durchführen."

Knapp eine Stunde später lebte Michèle Kiesewetter nicht mehr und Martin Arnold rang mit dem Tod. Die folgenden "Ermittlungen" waren bestimmt durch Wegsehen, Nicht-Wissen-Wollen, Spuren vernachlässigen, Zeugenaussagen ignorieren. Das möchte ich im Einzelnen nicht aufführen, das lässt sich nachlesen in vielen gut recherchierten Artikeln des Kollegen Thomas Moser hier bei Telepolis, in dem von ihm verfassten E-Book NSU - Die doppelte Vertuschung oder auch in dem Buch "Der NSU-VS-Komplex" von Wolf Wetzel.