Fahren, fahren, fahren: Telearbeit bleibt weiterhin marginal

Bild: B137/CC BY-SA-4.0

Unternehmen bauen Telearbeit ab, aber wollen die Arbeitnehmer wirklich Zuhause arbeiten und wäre Virtuelle Realität eine technische Lösung?

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Als das Internet sich durchzusetzen begann, herrschte Euphorie über die gesellschaftlichen Folgen vor. In den 1980er und 1990er Jahren waren manche Techno-Utopisten in die Fußstapfen von Marshall McLuhan getreten, der schon zuvor prophezeit hatte, dass die Hochzeit der städtischen Verdichtung mit dem Aufkommen des motorisierten Individualverkehrs und den globalen elektronischen Medien überschritten worden sei.

Die Stadt oder die räumliche Konzentration, die seit Jahrtausenden die Dynamik der menschlichen Gesellschaft angetrieben hat, spiele keine Rolle mehr und werde ersetzt durch das virtuelle globale Dorf, das über die ganze Welt verstreut ist. Ebenso dachte man, dass Hierarchien durch dezentrale, flache Strukturen und Gruppenbildungen aufgelöst würden. Neben dem Erlösungsphantasma des "papierlosen Büros", das irgendwie die Natur retten sollte, geisterte die Vision der massenhaften Telearbeit in den Köpfen herum. Nicht nur die Städte werden dysfunktional, sondern auch die großen Organisationen mit ihren Gebäuden. Ähnlich wie man nicht mehr zu Behörden oder zum Einkaufen gehen muss, würde auch der Zwang für viele entfallen, zur Arbeit das eigene Heim verlassen zu müssen. Man könnte überall auf der Welt wohnen, irgendwo auf dem Land oder auch am Strand, und gleichzeitig seiner Arbeit nachgehen, da die City of Bits die globale Metropole ist, die überall dort ist, wo es einen Zugang zum Internet gibt.

Aus diesem Geist entstand, ich muss es zugeben, auch Telepolis, das Buch, die Ausstellung und das Online-Magazin. Nun waren die 1980er und 1990er Jahre geprägt von der Stadtflucht. Die Innenstädte verödeten wie jetzt die Zentren vieler Dörfer und Kleinstädte, die Menschen zogen an die Peripherie, in die Speckgürtel. Schon zuvor hatte die aus der 68er-Bewegung entstandene alternative Szene das Landleben entdeckt. Man war auch nach dem Ende des Kalten Kriegs global gestimmt.

Selbst wenn man keine euphorischen Erwartungen an Dezentralisierung und Telearbeit gehegt hat, ist die Wirklichkeit ernüchternd. Die urbanen Konzentrationen boomen weiter, was heißt, dass das Wohnen und Leben in ihnen teurer wird, die Menschen pendeln weitere Strecken als zuvor, und die Telearbeit, die sowieso kaum praktiziert wird, hat erst einmal den Rückwärtsgang eingelegt. Große Unternehmen wie Yahoo, IBM oder die Bank of America, die zunächst auf Telearbeit gesetzt hatten, wollen ihre Angestellten nun wieder in den zentralen Büros zu bestimmten Arbeitszeiten sehen. Die Experimentierphase ist vorbei. Wirkliche Telearbeiter gibt es kaum, die meisten können nur gelegentlich von Zuhause arbeiten, in der der Regel sind es höhergestellte Mitarbeiter. Telearbeit, auch gelegentliche, erreicht gerade einmal etwas mehr als 2 Prozent weltweit.

Das ist verrückt, weil viel mehr möglich wäre, aber offensichtlich unerwünscht ist, weil man trotz der enormen Überwachungsmöglichkeiten die Sorge vor einem Kontrollverlust hegt. Aber es sind nicht nur die Unternehmensführungen, die Telearbeit verhindern. Es sind auch die Menschen, die nicht mehr auf dem Land und in der Pampa leben wollen, sondern das urbane Umfeld wünschen, auch wenn sie dafür längere Zeiten des Pendelns in Kauf nehmen müssen. Und sie wollen auch aus ihren Wohnungen und familiären Umfeld herauskommen, den räumlichen Wechsel erleben und die sozialen Beziehungen mit Arbeitskollegen nicht missen. Überdies strukturiert der Gang zur Arbeit und zurück den Tag, der bei Heimarbeit leicht zu einem Brei von Freizeit und Arbeit wird und mehr eigenverantwortliche Disziplin abverlangt.

In den USA ist zwar bei den Angestellten regelmäßige Telearbeit seit 2005 um 115 Prozent gestiegen, aber nur 3.7 Millionen Angestellte (2.8% von allen) arbeiten mindestens die Hälfte der Zeit Zuhause, so der Bericht "2017 State of Telecommuting in the US" von Globalworkplaceanalytics.com, die Organisation wirbt für den Ausbau der Telearbeit. Vollzeitangestellte haben größere Chancen, auch im Home-Office arbeiten zu können, als Teilzeitangestellte. Größere Unternehmen bieten ihren Angestellten eher flexible Arbeitsplatzoptionen an, aber es sind angeblich nur 7 Prozent aller Firmen.

Nach Ansicht von Globalworkplaceanalytics.com könnten 50 Prozent der Arbeitsplätze zumindest teilweise in Telearbeitsplätze umgewandelt werden. 80-90 Prozent der Angestellten würden gerne zumindest zeitweise Zuhause arbeiten, also etwa 2-3 Tage in der Woche. Viele der großen Unternehmen würden die Büroräume bereits darauf ausrichten, dass die Angestellten mobil unterwegs sind. Studien würden zeigen, dass viele Angestellte 50-60 Prozent der Arbeitszeit nicht an ihrem Schreibtisch sind (sofern sie noch einen haben), was aber eben nicht heißt, dass sie Zuhause arbeiten. Noch sind Telearbeiter, die teilweise Zuhause arbeiten, in der Regel privilegiert. Der typische Telearbeiter soll 45 Jahre oder älter sein und durchschnittlich 58.000 US-Dollar im Jahr in einem Unternehmen mit mehr als 100 Angestellten verdienen. 75 Prozent der Telearbeiter verdienen mehr als 65.000 jährlich und gehören damit zu den Gutverdienern unter den Angestellten. Die meisten Menschen, die Zuhause einer Telearbeit nachgehen, sind Selbständige.

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