Bundesverfassungsgericht: Drittes Geschlecht muss im Geburtsregister positiv berücksichtigt werden

Die bisherige "männlich oder weiblich"-Regelung im Personenstandsrecht sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Möglich wäre auch der generelle Verzicht auf den personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag

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Eine Person, die sich weder der Kategorie "weiblich" noch "männlich", sondern einem "dritten Geschlecht" zuordnet (Anm. d. A.: Hier wurde das irreführende "begreifen" durch "zuordnen" ersetzt), hat verfassungsrechtlich Anspruch darauf, dass ihr in standesamtlichen Urkunden, auf denen Identitätspapiere basieren, ein solcher Eintrag ermöglicht wird. Die bisherigen Regelungen sehen das nicht vor.

Das sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem heute veröffentlichten Beschluss vom 10. Oktober. Der Gesetzgeber habe bis zum 31. Dezember 2018 eine Neuregelung zu schaffen, fordern die Verfassungsrichter in dem Beschluss der mit "Personenstandsrecht muss weiteren positiven Geschlechtseintrag zulassen".

Ausschließlich binäre Regelung nicht im Einklang mit dem Grundgesetz

Das Urteil wird sicher Wellen schlagen, da es in die Diskussion darüber eingreift, ob Geschlechteridentitäten, die weder "weiblich" noch "männlich" sind, einen eigenen rechtlichen Status bekommen sollen und damit zur "Norm" gehören. Man kann sich vorstellen, dass das Gerichtsurteil von Seiten derer, die einen "gesunden Menschenverstand" als Maß deklarieren und auf "normale Verhältnisse" pochen, nicht gerade freudig begrüßt wird, von den "Fortschrittlichen" dagegen umso mehr.

Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass die herkömmliche ausschließlich binäre Regelung im geltenden Personenstandsrecht nicht mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) im Einklang steht und darüber hinaus gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG) verstößt, soweit die Eintragung eines anderen, dritten Geschlechts ausgeschlossen wird.

Anlass zum höchstrichterlichen Beschluss gab eine Verfassungsbeschwerde einer Person, die beim Standesamt eine Berichtigung beantragte. In ihrem Geburtseintrag stand "weiblich", den sie gestrichen haben wollte. An seiner Stelle sollte "inter/divers" oder hilfsweise nur "divers" eingetragen werden.

Das Standesamt lehnte den Antrag ab mit dem Hinweis, dass nach Rechtslage des Personenstandsrechts "im Geburtenregister ein Kind entweder dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuzuordnen ist, oder - wenn dies nicht möglich ist - das Geschlecht nicht eingetragen wird". Die beschwerdeführende Person machte dagegen die beiden oben genannten Grundrechte geltend und rügte eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.

Die Richter gaben der Beschwerde Recht. Als wesentliche Erwägungen in der Begründung aufgeführt wird, dass der Geschlechtszuordnung eine "herausragende Bedeutung für die individuelle Identität" zukommt. Sie nehme "typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird".

Personenstand keine Marginalie

Betont wird, dass auch die geschlechtliche Identität jener Personen geschützt sei, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind. Das bisher geltende Personenstandsrecht greife jedoch in dieses Recht ein, da es der beschwerdeführenden Person keinen Eintrag ermögliche, der ihrer Geschlechtsidentität entspräche.

Der Personenstand sei "keine Marginalie", so das Gericht. Er regle die "Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung".

Der Personenstand umschreibt in zentralen Punkten die rechtlich relevante Identität einer Person. Die Verwehrung der personenstandsrechtlichen Anerkennung der geschlechtlichen Identität gefährdet darum bereits für sich genommen die selbstbestimmte Entwicklung.

Pressemitteilung Nr. 95/2017 vom 8. November 2017

Verfassungsrechtlich ist der Eingriff in die angeführte Grundrechte laut den Karlsruher Richtern nicht gerechtfertigt, da das Grundgesetz nicht gebiete, den Personenstand ausschließlich binär zu regeln:

Es zwingt weder dazu, das Geschlecht als Teil des Personenstandes zu normieren, noch steht es der personenstandsrechtlichen Anerkennung einer weiteren geschlechtlichen Identität jenseits des weiblichen und männlichen Geschlechts entgegen.

Pressemitteilung Nr. 95/2017 vom 8. November 2017

Belange Dritter keine Grund zur Verwehrung der Rechte

Belange Dritter stehen der Möglichkeit ein drittes Geschlecht positiv eintragen zu lassen, nicht entgegen. Sie sind keine Rechtfertigung für die Einschränkung des Grundgesetzes nach den gegebenen Regelungen. Durch die bloße Eröffnung der Möglichkeit eines weiteren Geschlechtseintrags wird niemand gezwungen, sich diesem weiteren Geschlecht zuzuordnen.

Der bürokratische und finanzielle Mehraufwand wäre hinzunehmen, heißt es in dem Beschluss. Der Aufwand wie auch die Ordnungsinteressen des Staates stellen nach Ansicht der Richter keine Rechtfertigung für die Verwehrung einer weiteren einheitlichen positiven Eintragungsmöglichkeit dar.

Als Empfehlung geben die Richter dem Gesetzgeber mit, dass er auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag generell verzichtet oder dass er für die betroffenen Personen die Möglichkeit schafft, eine weitere positive Bezeichnung eines Geschlechts zu wählen, das nicht männlich oder weiblich ist.

Wie das dritte Geschlecht benannt werden soll, ist Sache des Gesetzgebers: "Dabei ist der Gesetzgeber nicht auf die Wahl einer der von der antragstellenden Person im fachgerichtlichen Verfahren verfolgten Bezeichnungen beschränkt."