BAG W: Bald über eine Million Wohnungslose in Deutschland

Sozialer Wohnungsbau in Dortmund Hannibal Dorstfeld. Bild: Ralf Hüls / CC BY-SA 2.0 DE

Nach Einschätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hat die Zuwanderung die Gesamtsituation "dramatisch verschärft". Die Ursachen für die Not liegen jedoch in einer verfehlten Wohnungspolitik

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Es wird in Deutschland an Wohnungen fehlen, hieß es 2012 und dann im September 2015 noch deutlicher. Es fehlt an Wohnungen, heißt es jetzt im Herbst 2017 und es werden noch viel mehr Wohnungen fehlen, nämlich für schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen.

Die aktuelle Schätzung stammt von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W), einem eingetragenen Verein, der ein soziales Ziel verfolgt, nämlich die Hilfe für Wohnungslose. Eine amtliche Statistik wäre möglich, berichtet die Zeit, gibt es aber noch nicht. Eine in Regionen differenzierte Aufschlüsselung amtlicher Zahlen würde mehr sichtbar machen.

Bis dahin würden die bundesweiten Schätzungen der BAG W bisher als Referenz für "bundesweite Daten" gelten. Für das vergangene Jahr schätzt die Bundesarbeitsgemeinschaft die Zahl der Wohnungslosen deutschlandweit auf 860.000. Bis 2018 prognostiziert sie 1,2 Millionen wohnungslose Menschen. Sie hat offenkundig wenig oder gar kein Vertrauen in eine Verbesserung der Situation.

Sozialwohnungen, Verkäufe: Falsche Weichenstellungen

Die Politik hätte schon vor Jahren einen anderen Weg einschlagen müssen, wie an früheren Studien des Pestel-Instituts zum Wohnungsmarkt deutlich wurde. 2012 konstatierte das Institut, dass vier Millionen Sozialwohnungen fehlen und 2015 rechnete es vor, dass jährlich bis 2020 etwa 400.000 Wohnungen gebaut werden müssten, darunter 80.000 preisgebundene Sozialwohnungen, um dem künftigen Bedarf gerecht zu werden.

Damals, Mitte September 2015, stand man am Anfang einer bis dato ungekannten Menge an Flüchtlingen und Migranten, die täglich in Deutschland ankamen. Das Problem der Wohnungsnot würde noch dringlicher werden, mahnte die Prestel-Studie seinerzeit, die von einer Nettozuwanderung von einer Million Menschen ausging.

Sie kritisierte damals eine falsche Weichenstellung in den Jahren zuvor: Dass zu wenig Sozialwohnungen gebaut wurden und die Kommunen zu viel Grundstücke und Immobilien verkauft hatten (siehe Versäumnisse beim sozialen Wohnungsbau).

Das Ziel der 400.000 Neubauwohnungen wurde 2016 um etwa 100.000 verfehlt, berichtete die FAZ Anfang dieses Jahres und zitierte einen Wohnungsbaufachmann des Münchner Ifo-Instituts, wonach das Ziel von jährlich 400.000 Wohnungsfertigstellungen über einen Zeitraum von fünf oder zehn Jahren "absolut unrealistisch" sei.

"Krisenmodus" beendet, das Problem verschärft sich

Wohnungsbauvorhaben würden nicht umgesetzt oder in "anderer Form" realisiert: "Nach dem Abebben des Zuwanderungsstroms hätten die Länder und Kommunen den Krisenmodus wieder verlassen und zahlreiche Projekte neu bewertet", schrieb die Zeitung.

Von den 860.000 Personen, die sich laut Schätzung der BAG Wohnungslosenhilfe 2016 in Wohnungsnot befanden, waren mehr als die Hälfte, 440.000 anerkannte Flüchtlinge, die im Regelfall weiter in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Nicht dazu gezählt werden Zugewanderte, die auf Baustellen untergebracht sind, für die sie horrende Mieten zahlen, da sie ja ausweislich des Mietvertrags eine Wohnung haben.

Wie die 420. 000 anderen wohnungslosen Menschen untergebracht sind, geht aus den Angaben der BAG nicht hervor. Der Großteil lebt in Notunterkünften, Wohnheimen oder provisorischen Unterkünften bei Bekannten oder Freunden, jedenfalls haben sie keine Bleibe, die mit Mietvertrag abgesichert ist, aber zumindest ein "Dach über dem Kopf".

Geschätzt 52.000 sind Obdachlose, "leben ohne jede Unterkunft auf der Straße". Seit 2014 (ca. 39.000), sei dies ein Anstieg um 33 %. Aus den Ausführungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe geht hervor, dass viele unter den "Straßenobdachlosen" Zuwanderer aus EU-Ländern sind.

Ca. 12 % der Wohnungslosen (ohne Einbezug der wohnungslosen Flüchtlinge) sind EU-Bürgerinnen und -Bürger; das sind ca. 50.000 Menschen. Viele dieser Menschen leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Vor allem in den Metropolen beträgt ihr Anteil an den Personen ohne jede Unterkunft auf der Straße bis zu ca. 50 %.

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2008 waren es übrigens noch 20.000 Obdachlose.

Von den 420.000 Wohnungslosen sind etwa 70 Prozent alleinstehend. Die Zahl der Kinder und minderjährigen Jugendlichen wird auf 8 % (32.000) geschätzt, die der Erwachsenen auf 92 % (390.000). Der Anteil der erwachsenen Männer liege bei 73 % (290.000); der Frauenanteil bei 27 % (100.000) und sei seit 2011 um 3 % gestiegen.

Für die 440.000 wohnungslosen, anerkannten Flüchtlinge, die erst im letzten Jahr neu in den Lagebericht der BAG aufgenommen wurde, gibt es noch keine solchen Aufschlüsselungen.

"Unzureichende Armutsbekämpfung"

Bei der Bewertung betont der Geschäftsführer der BAG W, Thomas Specht, dass die Aufnahme der Flüchtlinge und Migranten die Gesamtsituation "dramatisch verschärft" habe, wesentliche Ursachen für die Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit seien aber schon vor der Zuwanderung "durch eine seit Jahrzehnten verfehlte Wohnungspolitik in Deutschland, in Verbindung mit der unzureichenden Armutsbekämpfung" gelegt worden.

Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum ist unzureichend, der Sozialwohnungsbestand schrumpft ständig. Seit 1990 ist der Bestand an Sozialwohnungen um ca. 60 % gesunken. 2016 gibt es noch ca. 1,2 Millionen Sozialwohnungen, bis 2020 werden weitere 170.000 aus der Bindung fallen. Zusätzlich haben Kommunen, Bundesländer und der Bund eigene Wohnungsbestände an private Investoren verkauft. Damit haben sie Reserven bezahlbaren Wohnraums aus der Hand gegeben.

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Ein- bis Zweizimmerwohnungen fehlen

Die Analyse schließt sich dem an, was, wie eingangs geschildert, schon vor vielen Jahren gesehen wurde, neu sind Details wie hier:

Darüber hinaus fehlten mindestens 11 Millionen Kleinwohnungen. Dieser Wohnungsmangel bei den Ein- bis Zweizimmerwohnungen habe zu einem extremen Anziehen der Mietpreise, ins. in den Ballungsgebieten geführt. Der besonders großen Nachfragegruppe der Einpersonenhaushalte (16,8 Millionen Menschen) stehe - wie in den Vorjahren - im Jahr 2016 nur ein Angebot von 5,2 Millionen Ein- bis Zweizimmerwohnungen gegenüber.

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