Jamaika-Sondierung: Verlängerung aus Imagegründen?

Eine Alternativbezeichnung für die Jamaika-Koalition: Die "Schwampel" ("Schwarze Ampel"). Foto: CC0

Wollen CSU und Grüne ihren Wählern vermitteln, dass sie den Bruch von Wahlversprechen nicht auf die leichte Schulter nehmen?

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Seit heute Mittag führen CDU, CSU, FDP und Grüne die Gespräche über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen fort, deren Abschluss die Parteien eigentlich für gestern Nacht angekündigt hatten. Unions-Fraktionschef Volker Kauder geht davon aus, dass die Sondierungsverhandlungen noch das ganze Wochenende dauern werden. Als Gründe dafür, dass es länger dauert, nennen Politiker Journalisten "unter Drei" vor allem Differenzen zwischen der CSU und den Grünen. Wer so etwas macht, geht davon aus, dass die Information an die Öffentlichkeit dringt und will damit meist etwas bewirken. Zum Beispiel der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild vermitteln.

Handelt es sich also um echte Differenzen - oder eher um eine Verlängerung aus Imagegründen? Wollen die Parteien ihren Wählern damit vermitteln, dass sie den Bruch von Wahlversprechen nicht auf die leichte Schulter nehmen, auch wenn er intern längst beschlossen ist? Entgegenwirken können sie diesem Verdacht nur, wenn sie die Wahlversprechen nicht brechen und es zu Neuwahlen kommt (vor denen die Union vielleicht Merkel auswechselt, um ihre Chancen zu verbessern).

Psychologischer Effekt

Durch die Verzögerung des Abschlusses der Sondierungsgespräche wird in Medien außerdem eine Spannung aufgebaut, die bei Medienkonsumenten unterschwellig den Wunsch hervorruft, dass sie aufgelöst wird. Sie sehnen deshalb den Abschluss der Verhandlungen herbei, auch wenn er dazu führt, dass die Versprechen, wegen denen sie für die von ihnen gewählte Partei stimmten, dadurch nicht umgesetzt werden. Enden die Verhandlungen dann tatsächlich mit einer Übereinkunft, sind sie psychologisch mit etwas zufrieden, dass sie eigentlich gar nicht wollten.

Dass die Verzögerung für die Verhandler möglicherweise nicht ganz so überraschend kam wie für viele Medien ließ am Donnerstag der FDP-Vize Wolfgang Kubicki durchblicken, als er meinte, er sei "der Auffassung, dass wir uns lieber ein paar Tage mehr geben sollten für eine solide und vernünftige Vereinbarung, wenn es heute Nacht nicht klappt." Seine FDP kämpft derzeit öffentlich vor allem darum, den Solidaritätszuschlag um mehr als die von den anderen Verhandlungspartnern angeblich akzeptierten zwölf Milliarden Euro abzubauen. Über das NetzDG und die Vorratsdatenspeicherung, deren Abschaffung die Liberalen im Wahlkampf versprochen hatte, schweigen sie inzwischen auffällig.

Grüne wollen Familiennachzug ausweiten

Den Grünen geht es Medienberichten nach vor allem um die Wiederaufnahme des bis März 2018 ausgesetzten Familiennachzugs für Migranten mit geringerem Schutzstatus. Außerdem lehnen sie das Konzept sicherer Herkunftsländer ab. Die FDP wollte alle Länder mit einer Asyl-Anerkennungsquote von unter zehn Prozent zu sicheren Herkunftsländern erklären, ließ sich von Merkels CDU aber auf Länder mit einer Anerkennungsquote von unter fünf Prozent herunterhandeln. Wird ein Land zu einem sicheren Herkunftsland erklärt, vereinfacht und beschleunigt das lediglich das Asylverfahren. Individuell begründete Asylanträge können auch von Staatsangehörigen dieser Länder weiter gestellt werden.

Außerdem reicht der Ökopartei das Angebot der anderen Parteien nicht, die Stromproduktion aus Kohle um sieben Gigawatt zu reduzieren. Sie fordert, dass Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von zehn Gigawatt geschlossen werden.

Chance auf Neuwahlen

Trotz dieser grünen Forderungen steht Altkanzler Gerhard Schröder heute mit seiner Prognose, dass es Neuwahlen geben werde, relativ alleine in der deutschen Medienlandschaft. Das liegt auch daran, dass es eine gesetzliche Grenze weder für die Dauer von Sondierungs- noch für die von Koalitionsverhandlungen gibt. Angela Merkels kommissarisch amtierendes Kabinett kann während dieser Zeit Fakten schaffen, wie beispielsweise das Agieren der Minister Heiko Maas und Barbara Hendricks zeigt.

Erst wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier - der der gleichen Partei angehört wie Maas und Hendricks - offiziell eine Kanzlerwahl anberaumt, wird im Bundestag darüber abgestimmt. Erhält Merkel in den ersten beiden Wahlgängen dann keine absolute Mehrheit, reicht ihr im dritten eine relative. Dann könnte sie sich im Parlament für jedes Vorhaben eine neue Mehrheit suchen. Solche Minderheitsregierungen können durchaus lange halten, wie beispielsweise die jüngere Geschichte der skandinavischen Länder zeigt.