Schwarze Opfer, weiße Täter

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Meisterwerk: Kathryn Bigelows "Detroit" ist ein überaus aktuelles, anti-rassistisches Lehrstück über die alltägliche Perversion von Recht und Gesetz und die Gestalt strukturellen Rassismus

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In "The Hurt Locker" erzählte sie vom Irakkrieg, "Zero Dark Thirty" handelte von der Jagd nach Osama Bin Laden - auch in ihrem neuen Film erzählt Kathryn Bigelow, die zu den besten gehört, die in Hollywood Regie führen, gemeinsam mit ihrem Drehbuchautor, dem Journalisten Mark Boal, von historischen Vorgängen, von Folter, von menschlichen Abgründen.

Ihr neuer Film Detroit bezieht sich auf einen schockierenden dreifachen Mordfall im Jahr 1967. Die Opfer waren Schwarze, die Täter weiße, rassistische Polizisten. Die Regisseurin verdichtet diese Rekonstruktion zu einer Metapher über die Lage der Schwarzen Amerikas und die Perversion von Recht und Gesetz: episch und getragen, letztlich unheroisch, aber sehr moralisch. Ein Drama der menschlichen Abgründe.

Herzschlagkino. Rauchwolken. Eine Stadt im Aufstand. Eine Kriegszone. Polizisten schießen auf Bürger, Bürger schießen auf Polizisten. Weiße schießen auf Schwarze. Am Ende gibt es 43 Tote und weit über 1.000 Verletzte.

Schwarze Opfer, weiße Täter (17 Bilder)

Bild: © Concorde Filmverleih

Dies ist kein Science-Fiction-Film. Es ist auch kein Drama aus einer Diktatur, irgendwo weit hinter der Türkei. Sondern es ist ein vergessenes Stück aus der Geschichte der westlichen Demokratien: Detroit, im Nordosten der USA, vor gut 50 Jahren im Sommer 1967.

Zu Beginn des Films hatten kurze Texttafeln an die Geschichte der amerikanischen Schwarzen seit der Sklavenbefreiung des 19. Jahrhunderts erinnert: Die Migration von den Südstaaten in den Norden, von den Baumwollfeldern in die Fabriken der Industrie, die Verdrängung in die Ghettos, die Marginalisierung, die Segregation: In Bussen, Kneipen, Restaurants herrschte Ende der Sechziger noch Rassentrennung, in den Stadtvierteln Aggression und Verbrechen.

Irgendwann in diesem Sommer eskalierte dann eine Polizeirazzia gegen eine Bar der Schwarzen. Damit setzt der Film ein. Die lange aufgestaute Wut brach aus. Der Protest der Bevölkerung, anfänglich nur gegen den Polizeieinsatz gerichtet, geriet aus den Fugen, und auf der Straße gaben bald die niederen Instinkte den Ton an. Es wird geplündert, zerstört, angesteckt. Feuerwehrleute werden angegriffen, Geschäfte geplündert, Unbewaffnete erschossen.

Angefacht wird alles durch die Provokationen der Polizei, ihren offenen Rassismus, ihre hemmungslosen Knüppelattacken sowie durch die Gleichgültigkeit der Politiker und ihrer Unterstützer im weißen Establishment. Die Regie mischt hier virtuos Archivdokumente mit inszenierten Szenen - ohne etwas zu entschuldigen, erklärt das die Atmosphäre, in der das alles überhaupt möglich war.

1967 hatte die amerikanische Bürgerrechtsbewegung gerade ihren Höhepunkt erreicht. Nicht zuletzt war sie auch eine Bewegung der Schwarzen, die für die überfällige Gleichberechtigung kämpften.

Schwarz und Weiß reden hier kaum miteinander. Und wenn, dann im Ton der Konfrontation. Viel häufiger dagegen wird übereinander gesprochen: Von "they" und "them" ist die Rede, und meist sind es die Weißen, die so über die Schwarzen reden, die Mächtigen über die Ohnmächtigen. Symmetrie zwischen beiden Seiten gibt es nicht.

Dies ist, wie gesagt, kein Science-Fiction-Film. Dies ist auch kein Dokumentarfilm, obwohl alles, was hier zu sehen ist, genauestens recherchiert wurde. Eher ist es ein Horrorfilm: Einmal mehr nach "The Hurt Locker" und "Zero Dark Thirty" erzählt Kathryn Bigelow von menschlichen Abgründen und historischen Vorgängen.

Denn irgendwann, während dieser vier, fünf Tage, an denen Detroit Kopf stand und Anarchie herrschte, bevor Präsident Lyndon B. Johnson die Nationalgarde schickte und mehr schlecht als recht mit Gewalt Ordnung machen ließ, irgendwann unternahm ein Haufen wildgewordener Polizisten nachts eine Razzia in einem Hotel, nahm ein Dutzend junger schwarzer Männer und zwei weiße Frauen, die mit einem von ihnen auf dem Zimmer waren, gefangen. Über viele Stunden wurden sie körperlich wie psychisch gequält und gefoltert.

Empörende Verbrechen

Es sind überaus brutale Szenen: Die Männer und die Frauen werden im Flur nebeneinander aufgereiht mit dem Gesicht zur Wand und den Händen nach oben. Was als Alptraum begann, steigert sich zu einem Höllentrip. Die unschuldigen Hotelgäste wurden von den Polizisten aus Sadismus, Rassismus und Frauenfeindschaft die ganze Nacht über seelisch wie körperlich misshandelt - am Ende der Tortur, am nächsten Morgen sind drei von ihnen tot, weitere lebenslang traumatisiert.

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Diese empörenden Verbrechen sind historisch belegt und in den USA unter dem Namen "Algiers Motel Incident" bekannt. Bigelow schildert das alles atemlos, voller Dynamik, mit bewegter, sehr naher, subjektiver Kamera und schnellen Schnitten. Bewusst hat Bigelow auf Stars und bekannte Darsteller verzichtet. Es sind tolle Unbekannte, die hier große Auftritte bekommen, wie John Boyega ("Star Wars") und Will Poulter ("The Revenant").

Doch so angemessen chaotisch das Bild an der Oberfläche ist, durch die Montage in unzählige einzelne Eindrücke zerlegt, so bewundernswert klar ist Haltung und Perspektive des Films. "Detroit" zeigt beispielhaft, was politisches Actionkino bedeuten kann. Bigelows Film ist ein spannendes, unterhaltsames Lehrstück, in dem Täter und Opfer, Schuldige und Unschuldige immer klar sind, in der man aber beide Seiten versteht und die Grautöne dominieren.