Rentnerin bündelt Zorn gegen ARD und ZDF

Nosferatu in Wismar

Der 77-jährigen elffachen Mutter, die nie einen Fernseher hatte, wird wegen des Rundfunkbeitrags die Rente gepfändet

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Seit einigen Tagen ist Ursula Gierke aus Wismar in Sozialen Medien eine prominente Persönlichkeit: Der 77-jährigen elffachen Mutter wird nämlich jetzt die Rente gepfändet, weil die Nichtfernsehzuschauerin den Rundfunkbeitrag nicht bezahlt hat. Der örtlichen Ostsee-Zeitung zufolge, die über Gierke als erstes berichtete, ist sie nur einer von zahlreichen ähnlichen Fällen: Im Sendegebiet des Norddeutschen Rundfunks laufen den Zahlen der Beitragsstelle nach aktuell etwa 308.000 Vollstreckungsverfahren.

Alleine in Rostock stellte der NDR seit 1. Januar 2017 fast 4000 "Ersuchen auf Vollstreckungshilfe". Stellt sich dabei nicht heraus, dass (für maximal drei Jahre rückwirkende) Befreiungsgründe vorliegen, werden dem Rostocker Finanzsenator Chris Müller-von Wrycz Rekowski (SPD) nach "oft Lohn oder Konto gepfändet, eher selten das Auto". Ein wichtiger Grund dafür ist, dass seit der 2013 vorgenommenen Umstellung auf einen geräteunabhängigen Beitrag auch solche Bürger zahlen müssen, die (wie die Rentnerin) gar keinen Fernseher haben und die öffentlich-rechtlichen Sender nicht konsumieren.

Nicht eingetroffene Eumann-Vorhersage

Ob diese Umstellung, wie ihr sozialdemokratischer Miturheber Marc Jan Eumann befand, der Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Rundfunkfinanzierung tatsächlich förderlich war, ist fraglich (vgl. Bewerbung als Entfilzung). Vorher konnten sich Bürger, die mit dem Programm nicht einverstanden sind, damit beruhigen, dass sie nicht mitzahlten. Nun bricht sich ihr Zorn in Sozialen Medien Bahn.

Dass die Unzufriedenheit aktuell gerade besonders groß ist, liegt auch an der teilweise unverhohlen parteiischen Berichterstattung über die Koalitionsverhandlungen, in der ARD und ZDF den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner als Buhmann präsentierten. Das dürfte die Glaubwürdigkeit der Einrichtung, die nicht "Staatsfernsehen" genannt werden will (und auf die der Ausdruck "Regierungsfernsehen" manchmal tatsächlich besser passt) noch mehr beschädigt haben, als dies bereits vorher der Fall war. Den Mitarbeitern der Sender scheint das teilweise gar nicht klar zu sein. Nur so lässt sich erklären, dass sich der ZDF-Nachrichtenmoderator Claus Kleber wunderte, als sein "Scherz", man spreche sich mit der Regierung ab, als Selbstverständlichkeit hingenommen wurde.

Müssen die Rundfunkräte und Intendanten nach der Umstellung von einer Gebühr auf einen Beitrag von den Zahlern gewählt werden?

Dem bekannten Rechtsanwalt Carlos A. Gebauer nach geht die Zahl der Beitragsverweigerer in ganz Deutschland inzwischen in die Millionen. Gegen die Bürger, die deshalb den Rechtsweg beschreiten, geraten die deutschen Gerichte seiner Beobachtung nach zunehmend in Argumentationsnöte. Den Verfassern eines Revisionsurteils am Bundesverwaltungsgericht, das den Rundfunkbeitrag stützte, soll sogar so viel fachlich fundierte Kritik entgegengehalten worden sein, dass sie sich nicht mehr in der Cafeteria sehen ließen.

Ein Tübinger Richter legte die Fragen, ob die deutsche Zwangsabgabe europarechtlich betrachtet eine unzulässige Subventionen und "mit dem unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot, dem unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot und der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit vereinbar" ist, im August dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vor. Der könnte beispielsweise dafür sorgen, dass sich Deutsche entscheiden dürfen, ob sie nicht lieber die öffentlich-rechtlichen Rundfunkangebote aus Nachbarländern wie Tschechien (etwa fünf Euro im Monat), Polen (3,91 Euro im Monat) oder Frankreich (10,42 Euro im Monat) wahrnehmen (vgl. Rundfunkbeitrag wird dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt).

Das deutsche Bundesverfassungsgericht, das sich ebenfalls gerade mit der Finanzierung von ARD und ZDF befasst (vgl. Bundesverfassungsgericht verschickt detaillierten Fragenkatalog zum Rundfunkbeitrag), wird sich Gebauers Ansicht nach der Frage stellen müssen, ob die Umwandlung der Rundfunkgebühr in einen Rundfunkbeitrag nicht dazu führen muss, "dass die Beitragszahler künftig […] ihre Rundfunkräte und - je nach gesetzlicher Ausgestaltung - vielleicht auch ihre Rundfunkintendanten selber wählen dürfen":

Denn dort, wo der Bundesbürger Beiträge zahlt, da ist er auch zur Partizipation an der Verwaltung befugt. Krankenkassenbeitragszahler wählen ihren Verwaltungsrat und Kammermitglieder wählen ihre Kammervorstände. Kurz: Mit dem Ende der Rundfunkgebühr ist das Ende der Rundfunkräte, wie wir sie kannten, eingeläutet.

(Carlos A. Gebauer)

Vielleicht fällt das Bundesverfassungsgericht nach seiner Überprüfung der Normen mit den Fakten im 21. Jahrhundert auch ein weiter gehendes Urteil. Denn dass "der pflichtfinanzierte öffentliche Rundfunk [...] in der digitalisierten Welt [ebenso entbehrlich geworden] ist […] wie die Postkutsche oder die Telefonzelle", ist Gebauers Worten nach heute "unbestreitbar".