Gauland ersetzt Petry in der AfD

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Auf ihrem 8. Bundesparteitag hat die Partei nur mit erheblichen Schwierigkeiten ein neues Führungsduo gewählt - ein Kommentar

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Begleitet von Demonstrationen hat die Alternative für Deutschland (AfD) am Samstag auf ihrem Bundesparteitag im Hannover Congress Centrum (HCC) ein neues Führungsduo gewählt. Im Vorfeld hatte sich ein erneuter Streit zwischen den Parteiflügeln sowie ein weiterer Rechtsruck abgezeichnet.

Noch während der Vorstand gegenüber den Delegierten Rechenschaftsberichte ablieferte, schien das Rennen gelaufen. Um 13.03 Uhr meldete FAZ-Online exklusiv, Meuthen und Pazderski würden die neue Spitze bilden. Die Wahl selbst fand dann allerdings doch noch statt - und zwar unter turbulenten Bedingungen ab 16.35 Uhr. Doch statt Pazderski steht Gauland nun an der parteiinternen Front.

Der Berliner AfD-Landeschef Georg Pazderski hatte erst vor kurzem mitgeteilt, für den Bundesvorsitz kandidieren zu wollen. Während Meuthen - trotzdem er ursprünglich als konservativ-liberales Aushängeschild galt - wiederholt die Nähe zum rechten Parteiflügel suchte, gilt Pazderski als gemäßigt und hatte ähnlich wie Petry für das Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke, gestimmt. Er hatte kürzlich auch davon abgeraten, dass Höcke in Hannover für ein Amt im Bundesvorstand kandidieren sollte, da das "erheblichen Diskussionen" auslösen würde.

In dem Antrag des bisherigen AfD-Bundesvorstandes, Höcke aus der Partei auszuschließe, heißt es, dieser weise "eine übergroße Nähe zum Nationalsozialismus" auf und habe die NPD unterstützt. Fraktionschef Alexander Gauland hatte gegen Mittag noch angekündigt, auf eine Kandidatur zu verzichten. Der rechte Parteiflügel wollte daher weitere Vorstandsposten aus dem eigenen Lager besetzen. Durch eine "Überraschungskandidatin", die gegen Pazderski antrat, machte der völkisch-nationalistische Flügel indes deutlich, welche Macht er hat. Am Ende wählten die Delegierten dann nämlich Gauland als Meuthen-Sidekick.

Doris von Sayn-Wittgenstein vs. Pazderski

Doch der Reihe nach. Um 17.43 Uhr wurde Jörg Meuthen mit 72,05 Prozent zum AfD-Bundessprecher wiedergewählt. Meuthen hatte in seiner Bewerbungsrede erklärt, er "stehe zum Flügel", also dem Rechtsaußenlager um Höcke, denn dieser sei "integraler Bestandteil der Partei". Sein vermeintlicher Gegenkandidat, Matthias Vogler von der bayerischen AfD, hatte zuvor seine Kandidatur zurückgezogen. Offenbar wollte er seine Bewerbungsrede nur dazu nutzen, um die Delegierten daran zu erinnern, dass sie nur "Dienstleister" der Parteibasis seien und erneut für die Einführung von Mitgliederparteitagen zu werben (vgl. Mehr Mitbestimmung für AfD-Parteisoldaten vom rechten Rand?).

Pazderski mühte sich indes später mit einer ernst zu nehmenden Gegenkandidatin förmlich ab, die sich in ihrer Antrittsrede kämpferisch und als Vertreterin des rechten Parteiflügels erwies. Beschrieb der ehemalige Bundeswehr-Oberst eher sachlich, die AfD müsse weiterhin eine "Partei mit Ecken und Kanten" sein, aber auch realpolitisch agieren und koalitionsfähig werden, plädierte Doris von Sayn-Wittgenstein demgegenüber für einen anderen und nationalistischeren Kurs. Eingetreten sei sie erst 2016 nach dem Austritt von Bernd Lucke, die damalige "Lucke-Partei" nannte die Rechtsanwältin als "nicht vielversprechend" für das eigene Engagement.

Die Landessprecherin der AfD Schleswig-Holstein erhielt für ihre emotionale, teils kämpferische Rede weitaus mehr Applaus als Pazderski. Indirekt lobte sie auch beim "Thema Identität" die vom Verfassungsschutz beobachtete "Identitäre Bewegung", indem sie kritisierte, dass Gruppen, die Volkstanz betrieben und die Tradition bewahrten nicht schlecht seien, selbst wenn sie beobachtet würden. Ebenso lobte sie konservative Parteien in den Nachbarländern, ohne diese beim Namen zu nennen. Im ersten Wahlgang cancelte Doris von Sayn-Wittgenstein mit 49,39 Prozent der Delegiertenstimmen Pazderski (47,31 Prozent) um 18.18 Uhr ab. Da eine einfache Mehrheit nicht ausreichte folgte indes eine Stichwahl.

Bei dieser lag Pazderski um 18.25 Uhr mit 49,39 Prozent (284 Stimmen) wieder knapp vor Von Sayn-Wittgenstein mit 47,83 Prozent (275 Stimmen). Der Erfolg der Überraschungskandidatin des Rechtsaußen-Flügels zeigte also sehr deutlich auf, wie gespalten die AfD ist und wie unsicher eine in Hinterzimmern ausgeklüngelte sowie sicher geglaubte Kandidatur wie jene von Pazderski in der Partei derzeit enden kann. Nach einer von Gauland angeregten Pause erfolgte die nächste Überraschung. der 76-jährige Strippenzieher selbst trat nun an, Pazderski und Von Sayn-Wittgenstein zogen um 19.18 Uhr ihre Kandidatur zurück.

Gauland

Gauland betonte in seiner Bewerbungsrede, die AfD müsse sowohl für die parlamentarische Politik wie für "Bürgerbewegungen" stehen. Dass damit auch "Pegida" gemeint gewesen sei, verneinte Gauland im ZDF und verwies auf Gruppen, die verhindern wollen, dass Windkraftanlagen in Wälder gebaut werden. Dies seien die beiden Wurzeln der Partei. Man werde vorerst Opposition sein, Verantwortung wolle man auf Anraten der FPÖ erst tragen, sagte der AfD-Fraktionschef im Bundestag, wenn man stark genug sei, die eigene Politik auch umsetzen zu können. Um 19.29 flimmerte das Ergebnis der Wahl auf den Bildschirmen und Leinwänden im HCC: 385 Delegierte (67,78 Prozent) sprachen Gauland das Vertrauen aus, 153 (26,94 Prozent) stimmten gegen ihn.

Wenige Minuten später befand Meuthen in einem kurzen Mediengespräch, seine Partei sei nicht gespalten, die "Spaltung" sei ein "mediales Konstrukt". Gauland betonte indes, ein weiteres Kopf an Kopf-Rennen zwischen Von Sayn-Wittgenstein und Pazderski hätten für die Partei als Zerreißprobe enden und "gefährlich" werden können. Obschon er eigentlich nicht zur Wahl als Bundessprecher habe antreten wollen, habe er sich von der Partei "in die Pflicht nehmen lassen", um Gefahren von ihr abzuwenden. Beide betonten, einen "integrativen Kurs" zwischen den unterschiedlichen Parteilagern anzustreben. Am Sonntag sollen weitere Posten für den neuen AfD-Bundesvorstand gewählt werden.

Vier Jahre Geschichte

Gegründet 2013 hat die AfD in rund viereinhalb Jahren in ihrem Sinne Erfolgsgeschichte geschrieben, und das trotz aller Streitereien, Machtkämpfe und prominente Parteiaustritte. 2015 wurde Parteigründer Bernd Lucke auf dem Parteitag in Essen quasi vom Hof gejagt (vgl. AfD wählt Lucke ab). Parteifreunde folgten ihm, von einer Spaltung der AfD war die Rede. Ähnliches geschah kurz nach der Bundestagswahl, nachdem Frauke Petry - bis dahin eine von zwei Bundesvorsitzenden - die Partei verließ (vgl. Jagd auf Petry statt Merkel). Wie schon Lucke gründete auch Petry eine neue Partei, allerdings folgten ihr nur noch wenige Getreue. Sowohl Luckes "Liberal-Konservative Reformer" als auch Petrys "Blaue Partei" sind marginalisierte Experimentierfelder.

Anders die AfD, die offenkundig Ressourcen rechts der Union gebündelt hat. Meuthen erklärte in seinem Rechenschaftsbericht voller Stolz, was die AfD in den letzten Jahren geschafft habe. Die rechtspopulistische Partei ist unterdessen in vierzehn Landesparlamente und in den Bundestag gewählt worden. Laut Meuthen habe die Partei heute fast 28.000 Mitglieder und verfüge über 3.000 Förderer. Bundesvorstandsmitglied Klaus Fohrmann wies in Hannover darauf hin, dass die "Delle" und die Austritte nach Luckes Abwahl der Partei letztlich nicht wirklich geschadet habe. Von rund 17.000 Mitgliedern Ende 2015 sei die AfD stark angewachsen, so Fohrmann. Häutungen und Rechtsruck seitdem scheinen der AfD also keineswegs geschadet, sondern ihr eher genutzt zu haben.

Meuthen hatte bei Begrüßung des Parteitages gegen 11 Uhr am Samstag noch prognostiziert, anders als bei dem Parteitag in Essen werde in Hannover kein "Kampf zweier verfeindeter Lager" stattfinden. Wettbewerb um Ämter finde nun "sinnvoll und geordnet" sowie "ohne Kampfgeschrei" und Alleingänge statt. Die ehemalige Co-Chefin Petry erwähnte er in seiner Rede nicht namentlich. Die Anmerkung, dass die Partei nun klüger und reifer sowie ein Team sei, in dem niemand mehr glaube, ohne ihn "gehe es nicht", konnte er sich dennoch nicht verkneifen. Gemeint waren damit wohl Petry und ihr Ehemann, der ehemalige AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell. Die turbulente Wahl am späten Nachmittag und frühen Abend zeigte jedoch, dass weiterhin ein Riss durch die Parteilager geht.

Demonstration mit Gewalt

Gegen den AfD-Bundesparteitag haben seit Freitagabend mehrere tausend politische Gegner demonstriert. Am Morgen selbst fanden Versuche statt, den Zugang der Delegierten durch Blockaden zu verhindern. Teilweise kam es dabei zu Gewalt - sowohl unter den Mitgliedern der AfD als unter den Demonstranten und den Polizisten soll es leicht Verletzte gegeben haben. Die Polizei setzte trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt am Morgen zudem Wasserwerfer ein. Der Parteitag selbst konnte erst mit rund 50 Minuten Verspätung beginnen. Am Mittag fand dann eine Großdemonstration gegen die AfD mit laut Polizei rund 6.500 Teilnehmern statt, die Veranstalter besagter Demonstranten sprachen selbst von 9.500.