Spanien hält katalanischen Spitzenkandidat in Haft

Bild: Mes 234

Während sechs geschasste katalanische Minister auf Kaution freikommen, hält der Oberste Gerichtshof den Chef der linken ERC, den Ex-Innenminister und die "Jordis" im Knast

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Die Großdemonstration, zu der für den Donnerstag zehntausende Katalanen nach Brüssel anreisen, steht nun nicht unter dem Eindruck der Entspannung und der erhofften Freilassung der politischen Gefangenen. Tatsächlich macht es nicht nur weiter Sinn, im Herzen Europas das "Fehlen von Demokratie im spanischen Staat" und die "Meinungsfreiheit" zu fordern, sondern auch die "Freiheit der politischen Gefangenen. Anders als viele erhofft hatten, hat der Richter Pablo Llarena die zehn Gefangenen nicht freigelassen. Er hat die Untersuchungshaft für den Spitzenkandidaten der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) Oriol Junqueras und den ehemaligen Innenminister Joaquin Forn, der aus der christdemokratischen PdeCAT kommt, bestätigt. Die übrigen sechs bisher inhaftierten ehemaligen Minister sollen freigelassen werden.

Noch absurder, wenn das überhaupt möglich ist, ist die Tatsache, dass die beiden Präsidenten der großen zivilgesellschaftlichen Organisationen weiter in Haft bleiben. Der bisherige Chef der großen Katalanischen Nationalversammlung (ANC) Jordi Sànchez und der Chef der Kulturorganisation Òmnium Cultural Jordi Cuixart sitzen sogar schon seit Mitte Oktober und nicht erst seit Anfang November im Knast. Mit ihrer Inhaftierung wegen "Aufruhr" war eine neue spanische Repressionsstufe gezündet worden. Zu Recht kann Òmnium nun von einer "willkürlichen Entscheidung" durch den Obersten Gerichtshof sprechen.

Ohnehin werden die beiden "Jordis" nicht einmal der deutlich höher zu bestrafenden angeblichen "Rebellion" beschuldigt. Allerdings ist der Vorwurf mehr als absurd, da es dafür nach Artikel 472 des Strafgesetzbuchs eindeutig einer "gewaltsamen öffentlichen Erhebung" bedarf. Deshalb hält auch der Verfasser des Artikels die Anschuldigungen für überzogen. Diego López Garrido hatte jedenfalls bei der Ausarbeitung Vorgänge wie 1981 im Blick, als die paramilitärische Guardia Civil das Parlament bewaffnet gestürmt hatten, aber keine friedliche Demonstrationen wie in Katalonien.

Interessant ist, wie sich jetzt Llarena im Fall von Junqueras und Forn aus der Affäre zu ziehen versucht. Anders als die Hardlinerin Carmen Lamela, die die Jordis und die Minister am Nationalen Gerichtshof unter Aushebelung aller Verteidigerrechte inhaftieren ließ, wird nun nicht mehr von Fluchtgefahr fabuliert. Das war im Fall von Forn besonders absurd, da der extra aus Brüssel zur Befragung angereist war und trotzdem wegen Fluchtgefahr inhaftiert wurde. Llarena sieht die nun in allen Fällen nicht mehr, aber er sieht die Gefahr, dass sich Junqueras, Forn und die Jordis erneut der gleichen Vergehen schuldig machen könnten.

Wie das geschehen soll, wenn man im Fall der ehemaligen Minister Junqueras und Forn ernst nimmt, dass die spanische Regierung die katalanische Regierung ja aufgelöst haben will, bleibt eines der vielen Geheimnisse des Gerichtshofs. Nun verstrickt sich aber Llarena aber sogar noch tiefer in Widersprüche, denn er sieht auch bei den sechs ehemaligen Ministern, die nun auf Kaution freikommen, "die gleiche Wiederholungsgefahr", doch er begründet, dass Junqueras und Forn im Knast bleiben, weil deren Wiederholungen bedeutsamer sein könnten.

Da es niemals Gewalt gab, die auch für einen Aufruhr-Vorwurf nötig ist, folgt nun auch Llarena nun den abstrusen Argumentationen des Ministeriums für Staatsanwaltschaft. Der kürzlich verstorbene Generalstaatsanwalt José Manuel Maza hatte das "illegale Referendum" und den "Ungehorsam gegen Gerichtsbeschlüsse" angeführt. Zur Durchführung des Referendums habe es eine "Einschüchterung durch eine Masse gegeben, welche die Handlungen der Sicherheitskräfte unterbunden" habe.

Junqueras und Forn kommen zwar aus unterschiedlichen Parteien, aber sie sind wichtige Verbündete des "legitimen Regierungschefs" Carles Puigdemont, wie er sich bezeichnet und von vielen in Katalonien bezeichnet wird. Puigdemont befindet sich seit Anfang November in Belgien und sucht dort nach Asyl, da in Belgien sogar hohe Politiker, die keinerlei Sympathien für die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen haben, das Vorgehen Spaniens gegen die Katalanen als "autoritär franquistisch" brandmarken. Besser ist der Eindruck über die Entscheidung des Obersten Gerichtshof sicher nicht geworden, da es geradezu nach einer politischen Entscheidung in einem Land stinkt, in dem es mit der Gewaltenteilung wahrlich nicht sonderlich weit her ist. Nun bleiben mit Junqueras der ERC-Spitzenkandidat und mit Jordi Sànchez der zweitplatzierte auf Puigdemonts Liste "Gemeinsam für Katalonien" im Knast.

Fairer Wahlkampf ist nicht möglich

Dazu kommt mit Forn auch noch Puigdemonts Kandidat auf Listenplatz 7 und zudem sind der Listenführer und andere wichtige Leute im Exil. Ein sauberer Wahlkampf ist also für die aus Spanien angesetzten Zwangswahlen am 21. Dezember jedenfalls nicht einmal im Ansatz möglich, der am Dienstag offiziell beginnt. Die spanische Justiz hat dafür nicht mit einer Freilassung aller gesorgt, womit eine Rückkehr der Exilierten ebenfalls kaum wahrscheinlich ist, um sich am Wahlkampf zu beteiligen. Gespannt darf man sein, wann die sechs ehemaligen Minister freikommen, denn die Kautionen von jeweils 100.000 Euro wurden aus der "Widerstandskasse" der zivilgesellschaftlichen Organisationen schon bestätigt.

Während in Madrid über die Minister und die Jordis entschieden wurde, hat die belgische Justiz gleichzeitig den Exil-Präsidenten Puigdemont angehört. Darüber, ob Puigdemont nach Spanien ausgeliefert wird, wie es die spanische Staatsanwaltschaft und die rechtsradikale Regierung fordern, wird erst nächste Woche entschieden. Das haben dessen Anwälte in Brüssel mitgeteilt. Auch Puigdemont und den vier in Belgien verweilenden Ministern wird Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen, weil 6,2 Millionen Euro für das verbotene Referendum eingesetzt worden seien.

Die belgische Staatsanwaltschaft unterstützt zwar offiziell die spanischen Forderungen, allerdings nicht auf der Basis des "gegenseitigen Vertrauens", da man der spanischen Justiz ganz offensichtlich misstraut. In Belgien wurden Puigdemont und die vier Exil-Minister auch nie festgenommen. Experten halten angesichts der undemokratischen Vorgänge in Spanien eine Auslieferung für eher unwahrscheinlich. So argumentieren auch deren Anwälte, dass die Beschuldigten "kein faires Verfahren" zu erwarten hätten. Jaume Alonso-Cuevillas, Puigdemonts Anwalt, wies gestern auch darauf hin, dass die im europäischen Haftbefehl angeführten Gründe im belgischen Strafrecht nicht vorkämen.

Das gilt zum Beispiel für Rebellion und Aufruhr. Dass Lamela auch noch Korruption nachgeschoben hatte, nimmt die belgische Justiz ohnehin nicht ernst, da sie dieser Vorwurf nicht einmal den inhaftierten Ministern gemacht hatte. Es bleibt praktisch nur Veruntreuung, doch ob die katalanische Regierung tatsächlich Haushaltsgelder für das Referendum eingesetzt hat, wird schwer zu beweisen sein und von allen Beschuldigten bestritten. Dazu kommt, dass das Referendum ohnehin nur "zeitweise ausgesetzt" war und fraglich ist, ob ein Festhalten bis zum definitiven Urteil eine Veruntreuung darstellen kann.