Trumps Jerusalem-Entscheidung

Israelischer Regierungschef Benjamin Netanyahu besuchte am 18. September US-Präsident Donald Trump. Bild: Weißes Haus

Warum geht Trump das Risiko ein, mehr als 20 Jahre US-Politik umzukehren?

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US-Präsident Donald Trump erkennt Jerusalem als Hauptstadt Israels an - und empört damit die halbe Welt. Jerusalem ist drei Religionen, dem Judentum, dem Christentum und dem Islam, heilig. Die Stadt ist aber auch politisch von zentraler Bedeutung für den Nahen Osten: Auch die Palästinenser beanspruchen den Ostteil der Stadt als Hauptstadt eines unabhängigen Staates.

Trump beruft sich auf einen Beschluss des US-Kongresses von 1995, die Hauptstadt-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Diesen Beschluss haben die US-Regierungen seither immer aufgeschoben, um den Friedensprozess nicht zu gefährden. Warum also geht Trump das Risiko ein, mehr als 20 Jahre US-Politik umzukehren?

Acht Motive spielen zusammen:

  1. Der bisherige Friedensprozess hat seit Jahrzehnten wenig substantielle Fortschritte gebracht. Trump versucht jetzt, mit einem starken Signal, ja der Induktion eines Schocks die Dinge in Bewegung zu bringen - was ihm ja auch gelingt, wie die empörte Reaktion der Öffentlichkeit zeigt.
  2. Trump hat im Rahmen seiner Rückzugspolitik aus der Globalisierung weite Teile des islamisch geprägten Nahen Ostens machtpolitisch aufgegeben und anderen Mächten überlassen - so wie Syrien den Russen und den Irak dem Iran. Im Gegenzug glaubt er, mit der Verlegung der Hauptstadt von Tel Aviv nach Jerusalem die einzige Demokratie und den wichtigsten Verbündeten Israel entscheidend zu stärken, vor allem aber - wichtiger - ein Signal noch stärkerer und exklusiverer Verbindung zu geben. Israel wird zum Bollwerk im Meer islamischer Nicht-Demokratien aufgewertet, mit der heiligsten aller Städte als Hauptstadt.
  3. Trumps Anti-Islam-Politik spielt eine Rolle, warum er die Palästinenser und ihre Verbündeten in der islamischen Welt brüskiert. Sein ehemaliger Chef-Berater und nach wie vor wichtigster ideologischer Ideengeber Steve Bannon, ehemaliges Mitglied des US-Sicherheitsrates, hat einen "Weltkrieg gegen den politischen Islam" verkündet, in dem sich die USA seiner Meinung nach bereits befinden. Trumps einseitige Stellungnahme zugunsten Israels muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Sie ist aussenpolitisch eine Verstärkung und Untermauerung der Politik, die auch im mittlerweile erfolgreichen Reisebann gegen muslimische Länder Ausdruck findet.
  4. Trumps Religions-Politik spielt eine Rolle. Die Jerusalem-Entscheidung ist innenpolitisch ein Signal an die rechtskonservativen Wähler Trumps, die teils fundamentalistisch-religiös sind und an einen begonnenen "kosmischen Krieg um das heilige Jerusalem" glauben, in dem auch Engel und Dämonen mitkämpfen. Mit der Aufwertung Jerusalems wird suggeriert, dass "die Kräfte des Guten", also die USA, jetzt an der entscheidenden Stelle des Kampfes nicht mehr vermitteln wie unter Obama, sondern mitkämpfen. Und sie ist die Erfüllung des Versprechens an seine Wähler, dass Trump auch nach dem Hinauswurf Bannons aus dem Weissen Haus die versprochene Ideologie fortführt.
  5. Die Aufwertung Jerusalems zur Hauptstadt Israels ist ein Schachzug, um die einflussreiche Pro-Israel-Lobby in den USA stärker auf Trumps Seite zu bringen. Diese Lobby ist mehrheitlich eher konservativ, hat aber auch starke liberale Flügel, die Trump nun mittels eines unvermeidlichen Rausches des Nationalismus an sich heranführt.
  6. In den politischen Beziehungen mit Israel ist es die endgültige Abkehr von der eher neutralen Vermittlungspolitik Barack Obamas und eine im Gegensatz zu seinem Vorgänger klare Seitenwahl. Damit versucht Trump parteipolitisch, die Achse zwischen den rechtskonservativen Kräften in den USA (er selbst) und in Israel (Premier Netanjahu und seine Rechtsallianz) auszubauen. Netanjahu war ein offener Intimfeind Obamas, die beiden konnten sich nicht ausstehen, ja bekämpften sich öffentlich. Mit Trump hat sich das um 100% umgedreht, wie beide im Wahlkampf versprochen hatten.
  7. Zugleich ist die Entscheidung eine Retourkutsche gegen die hinsichtlich des jüdischen Bezugs zu Jerusalem allzu oft einseitig anti-Israelischen Stellungnahmen der Vereinten Nationen. Der jüngste Austritt der USA und Israels aus der Erziehungs- und Denkmalorganisation UNESCO wegen deren anti-Israelischer Propaganda, wo Jerusalem immer wieder einseitig als islamische Stadt mit islamischem Heiligtum dargestellt wurde, wird nun umgekehrt - ein weiteres deutliches Signal Trumps gegen die UNO und die von ihr betriebene Globalisierung und Internationalisierung von Politik. Wie Trump im Wahlkampf versprochen hat, will er internationale Organisationen und Abkommen schwächen und wieder bilaterale Beziehungen in den Vordergrund der Politik stellen - was er jetzt mit USA-Israel tut.
  8. Schließlich ist die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels Ausdruck der neuen Anti-Iran-Politik Trumps. Der Iran ist der wichtigste Verbündete der anti-israelischen Kräfte in der Region und auch in den Palästinensergebieten, beliefert diese regelmässig mit Raketen und Ideologie, an Israels Nordgrenze im Libanon auch mit Kämpfern. Trumps Anerkennung ist bezogen auf den Iran eine Provokation, um möglicherweise das Iran-Atomabkommen zu kippen, jedenfalls aber eine klarere Position gegen die islamische Gottesrepublik zu fahren. Auch hier geht es um das Eindämmen der Ausbreitung einer bestimmten Form der Islamisierung, und auch hier handelt es sich um eine bewusste Umkehrung der Politik Barack Obamas mit langfristigen Folgen.

Die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem ist die Abkehr von der Hauptstadt der Digitalisierung, Medien und Technologie und die Hinwendung zur Hauptstadt der Religion. Das Wichtigste an Trumps Entscheidung ist, dass sie historisch langfristig wirkt: Solche Entscheidungen können nicht kurzfristig umgekehrt werden. Damit sichert sich Trump den Platz in den Geschichtsbüchern des Nahen Ostens und zementiert auf Jahre eine Politik, die auf Dialektik statt Ausgleich ausgerichtet ist. Ob das letztlich tatsächlich mehr Bewegung bringt und mehr bewirkt als die bisherigen Vermittlungsversuche, bleibt zu sehen.

Roland Benedikter ist Co-Leiter des Centers for Advanced Studies der Eurac Bozen und Forschungsprofessor für Politikanalyse am Willy Brandt Zentrum der Universität Breslau. Kontakt: rolandbenedikter@yahoo.de.