Ist jede Arbeit besser, als arbeitslos zu bleiben?

Nein, sagen britische Wissenschaftler, denn wer einen Job mit schlechten Arbeitsbedingungen erhält, ist schlechter dran als Arbeitslose

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Mantra lautet für ungewöhnlich, es sei immer besser eine Lohnarbeit zu haben, als weiterhin arbeitslos zu sein. Gepaart wird das oft damit, dass rein quantitativ mit der Vermehrung von Jobs geprahlt wird, was auch heißt, ein schlechter, mies bezahlter oder prekärer Job sei besser als keiner. Daher muss alles dafür getan werden, um die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Zudem gilt Arbeitslosigkeit als Gesundheitsrisiko, während Arbeit die Lebenszufriedenheit erhöht.

Eine britische Studie, die im August im International Journal of Epidemiology veröffentlicht wurde, macht nun klar, dass Arbeiten um jeden Preis vielleicht für Arbeitgeber und Steuerzahler gut sein mag, aber nicht für denjenigen, der sie ausführen muss. Es liegt auch eigentlich auf der Hand, dass ein Job unter schlechten Arbeitsbedingungen die Menschen nicht gesünder macht, als wenn sie arbeitslos blieben. Regierungen gingen aber in der Regel davon aus, dass die Vorteile des Arbeitens die Risiken des Arbeitens und der Arbeitslosigkeit übersteigen.

Die Wissenschaftler haben in ihrer Studie versucht, die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbeginn bei britischen Arbeitslosen mit Gesundheit und stressbezogenen Biomarkern herauszufinden, wobei sie besonders interessiert waren an Vergleichen zwischen denen, die arbeitslos blieben, und jenen, die einen qualitativen schlechten Job erhielten. Ausgewertet wurden dazu aus einer Langzeitstudie mit 100.000 Teilnehmern 1116 Personen im Alter zwischen 35 und 75 Jahren, die 2009, als die Untersuchung begann, arbeitslos waren. Jeweils zweimal wurden sie 2010/11 und 2011/1012 nach ihrer Gesundheit befragt, einigen wurde eine Blutprobe zur Untersuchung von Stress-Biomarkern (allostatische Last) wie Cholesterin und Triglyceride abgenommen, bei einem Teil wurden Puls, Blutdruck und Verhältnis zwischen Taillenumfang und Körpergröße gemessen. Die Qualität des Arbeitsplatzes wurde anhand von 5 Kriterien erfragt: Arbeitszufriedenheit, Arbeitsangst, Autonomie, Arbeitsplatzsicherheit, Niedriglohn.

Wie zu erwarten, finden ältere Arbeitslose kaum noch Jobs, 51 Prozent derer, die während der beobachteten Zeit arbeitslos bleiben, waren Personen zwischen 50 und 75 Jahren. Dagegen hatten Frauen, Personen mit einem Hochschulabschluss und solche, die in ihrer eigenen Immobilie wohnten, das geringste Risiko, arbeitslos zu bleiben. Wer gesundheitlich angeschlagen ist (Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankung, Langzeiterkrankung, Einnahme verschreibungspflichtiger Medikamente), einen höheren BMI, schlechtere Werte beim SF-12-Fragebogen über den Gesundheitszustand oder zuletzt 2008, also ein Jahr zuvor, Arbeit hatte, blieb mit hoher Wahrscheinlichkeit arbeitslos.

Das Ergebnis bestätigt, dass der Wiedereintritt ins Arbeitsleben mit einem Job schlechter Qualität zu höheren Biomarkern für chronischen Stress führt als das Verbleiben in der Arbeitslosigkeit. Allerdings sieht das bei der körperlichen Gesundheit anders aus. Sie ist bei denjenigen besser, die einen Job aufnehmen, egal ob er von schlechter oder guter Qualität ist. Für unwahrscheinlich halten es die Wissenschaftler, dass eine Auswahl nach Gesundheit bei der Übernahme von Jobs mit schlechter Qualität für die höheren Stress-Biomarker verantwortlich ist.

Wer einen schlechten Job erhält, hat zuvor in der Regel denselben Gesundheitszustand wie ein Arbeitsloser. In der Selbstauskunft kommt die anhand der Biomarker gemessene gesundheitliche Belastung nicht zur Geltung, da sie sich noch nicht in klinischen Symptomen zeigt, können Befragungen zur Lebenszufriedenheit täuschen.

Es sei auf jeden Fall die Behauptung nicht mehr zu halten, dass jeder Job besser als das Verharren in Arbeitslosigkeit ist. Wenig verwunderlich ist die Qualität des Jobs ein entscheidender Faktor, der aber von den Behörden kaum als Kriterium beachtet wird, bei den Statistiken zählt nur, wie viele Arbeitslose einen Job erhalten oder in einen solchen getrieben wurden, aber nicht, ob sie dadurch womöglich langfristig kränker werden. Auf der anderen Seite ist ein qualitativ guter Job, wozu auch Arbeitsplatzsicherheit gehört, eine gewisse Garantie dafür, dass es den Arbeitnehmern psychisch besser geht. Schlechte Arbeitsbedingungen verbessern den psychischen Gesundheitszustand gegenüber Arbeitslosen hingegen nicht.