Netzstabilität: Dichtung und Wahrheit

Wieso wird eigentlich bei jedem Netzausfall sofort über Windenergie gesprochen, auch wenn die Ursachen meist ganz woanders liegen?

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Netzstabilität ist eine wichtige, aber ziemlich komplizierte Sache. Immerhin hängt im modernen Leben recht vieles von einer kontinuierlichen Stromversorgung ab. Das mussten Ende November viele Wiesbadener und Mainzer erleben. Für 20 Minuten fiel dort das Netz aufgrund eines Kurzschlusses in einem Umspannwerk, wie das Wiesbadener Tageblatt berichtet.

Derlei kommt vor, in Deutschland übrigens wesentlich seltener als in vielen anderen Ländern. Nach Angaben der Bundesnetzagentur war der durchschnittliche Endabnehmer 2014 12,28, 2015 12,7 und 2016 12,8 Minuten offline.

Für den Autor war der Vorfall in der Rhein-Main-Region vor allem Gelegenheit, eine alte Geschichte vom destabilisierenden Effekt der erneuerbaren Energieträger aufzuwärmen. Dabei handelte es sich im vorliegenden Fall um einen Defekt beim Netzbetreiber. Da wäre es doch eigentlich naheliegender, erst einmal über Schadenersatz für die betroffenen Verbraucher nachzudenken.

Wie dem auch sei, das Tageblatt zitiert die Bundesnetzagentur, wonach es in der zweiten Januarhälfte 2017 brenzlige Situationen auf den Nord-Süd-Leitungen des Übertragungsnetztbetreibers Amprion gegeben habe. Schuld soll eine Kombination aus viel Windstrom im Norden und zwei abgeschalteten AKW im Süden gewesen sein.

Stromproduktion im Januar 2017. (Bild: Fraunhofer ISE)

Nun ist allerdings der Januar allgemein ein ziemlich windreicher Monat. Ein großes Windstromangebot kann also nicht wirklich überraschend gekommen sein. Tatsächlich war aber der Januar 2017, wie die Daten des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme zeigen, ein eher unterdurchschnittlicher Monat. Insbesondere in der zweiten Januarhälfte fiel wenig Windstrom an, wie obige Grafik zeigt.

Es sieht also eher so aus, als sollte einfach mal wieder ein wenig an der Legendenbildung gearbeitet werden. Dabei hätte die Geschichte auch ganz anders erzählt werden können. Man hätte zum Beispiel auf die vielen hochflexiblen aber kaum genutzten Gaskraftwerke hinweisen können, die auch trotz des vermeindlichen oder tatsächlichen Engpasses nicht zum Einsatz gekommen waren. Die Fraunhofer-ISE-Daten zeigen, dass von den knapp 30 GW an Leistung, die die für das öffentliche Netz arbeitenden Gaskraftwerke liefern können, im Januar 2017 nie mehr als 12,5 GW im Einsatz waren.

Oder man hätte fragen können, wieso eigentlich die Pumpspeicherkraftwerke noch immer vor allem für den Betrieb der Braunkohle- und Atomkraftwerke genutzt, anstatt an die Produktion der Solar- und Windkraftanlagen angepasst zu werden. Oder man hätte auch einfach erwähnen können, dass es doch nicht gerade für den Betrieb alternder und damit anfälliger werdender AKW spricht, wenn solche Großversorger dann auf einmal unplanmäßig ausfallen. Das war nämlich im Januar bei einem der beiden stillstehenden AKW der Fall gewesen.

Fazit: Die Netzstabilität ist sicherlich kein Kinderspiel und die Anpassung ihrer Regeln an neue Erzeugungs- und Verbrauchsstrukturen auch nicht. Nur leider wird das Thema allzugerne zur Stimmungsmache gegen die erneuerbaren Energieträger genutzt, was eine sachliche Diskussion über die anstehenden Probleme erschwert.