Amnesty: EU-Staaten mitschuldig an Menschenrechtsverletzungen in Libyen

Bild: Sea-eye.org

Der Vorwurf kommt zu einem Zeitpunkt, wo sich die EU erneut über die Pflichten ihrer Mitglieder bei der Aufnahme von Migranten streitet

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Vor dem EU-Gipfel, der heute beginnt, zeichnet sich neuer Dissenz über das Flüchtlingsthema ab. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte in seinem Einladungsschreiben an die Ratsmitglieder einen Anhang zur Migration beigegeben, in dem er notiert, dass sich der Streitpunkt "verpflichtende Quoten" als "spaltend" und "ineffektiv" erwiesen habe.

Dies hatte in den letzten Tagen bereits zu einem Krach geführt, bei dem sich, wie etwa die Financial Times am Dienstag berichtete, die bekannten Fronten zeigten: Hier Deutschland und die Niederlande, dort Polen, Ungarn und die Tschechische Republik.

Geld für libysche Küstenwache und Polizei

Unter Tusks Vorschlägen für eine effektivere Migrationspolitik rangiert an erster Stelle ein "stabiler und langfristiger Finanzmechanismus" in einer anderen Größenordnung als bisher.

So überraschte es nicht weiter, dass alsbald auch bekannt wurde, dass die genannten drei Länder zusammen mit der Slowakei einen Vorschlag machten, der laut Financial Times einen zweistelligen Millionenbeitrag bereitstellen soll für "eine Reform der Institutionen in Libyen, die Küstenwache und die Polizei". Mit diesem Geld soll ausgebaut werden, was Italien mit Rückendeckung der EU bereits begonnen hat.

Merkel: "Wir brauchen Solidarität"

Die deutsche geschäftsführende Kanzlerin Merkel war wie auch ihr österreichischer Kollege Christian Kern wenig von Tusks Haltung angetan. Merkel machte vor dem Gipfel deutlich, dass es nach ihrer Auffassung nach "eine selektive Solidarität unter europäischen Staaten nicht geben kann".

Die Beratungsgrundlagen, die man vom Ratspräsidenten bekommen habe, seien noch nicht ausreichend. Die Steuerung der Migration nach außen sei gut und wichtig, "aber wir brauchen auch Solidarität nach innen", zitiert sie der Standard. Der österreichische geschäftsführende Kanzler Kern lehnte "das grundsätzliche Denken, das in dem Brief (Tusks, Einf. d. Verf.) zum Ausdruck kommt, im höchsten Maße ab".

Indessen konkretisierte sich die Summe, welche die Visegrad-Staaten zum Ausbau des "italienischen Programms" in Libyen bereitstellen wollen, auf 35 Millionen Euro, wie die österreichische Zeitung und der Eu-Observer berichten. Letzterer Publikation zufolge sprach der slowakische Premierminister Robert Fico im Vorfeld des Gipfels davon, dass es "kein Menschenrecht darauf gebe, in die Europäische Union einzureisen" und sich die EU schützen müsse.

Zwar sei die Slowakei gewillt, Flüchtlinge aufzunehmen, aber es würde jeden Vorschlag der EU, der Quoten für ein Land vorschreibe, ablehnen. Man sei dazu bereit, die italienischen Aufwendungen für Libyen zu unterstützen, damit die Grenzen geschützt seien. Auch der ungarische Regierungschef Orbán sagte Ähnliches.

Der Plan für die Evakuierung von Migranten aus Libyen

Von diesen grundsätzlichen Erklärungen, die zu erwarten waren, darf man nun gespannt sein, ob und wie sich die Gipfelteilnehmer zusammenrauf können, um den Plan umzusetzen, den Machron und Merkel zusammen mit Federica Mogherini von der EU, dem UN-Generalsekretär Antonio Guterres, und den Regierungschefs des Tschad, von Niger, dem Kongo und Libyens Ende November ausgemacht hatten, um etwas gegen die inhumanen Bedingungen der Migranten zu unternehmen, die in Libyen festsitzen (siehe "Evakuierung von Migranten aus Libyen").

Schon zu diesem Zeitpunkt, der geprägt war von Empörung und Entsetzen über den Sklavenhandel mit Migranten in Libyen, der durch ein CNN-Video große internationale Aufmerksamkeit erhalten hatte, war die Mitverantwortung der EU für die Härten, welche die Migranten in Libyen ausgesetzt sind, ein Diskussionspunkt in der europäischen Öffentlichkeit.

Der Vorwurf von Amnesty

Gestern erhärtete ein Bericht von Amnesty-International, dem Interviews mit 72 Migranten im Juli dieses Jahres zugrunde liegen, die Vorwürfe. Europäische Regierungen seien mitschuldig am fürchterlichen Missbrauch von Flüchtlingen und Migranten in den Lagern in Libyen, heißt es von der Menschenrechtsorganisation.

Sie macht nicht nur Milizen, sondern auch die Küstenwache und die offizielle Verwaltung der Inhaftierungsanstalten für illegale Migranten für schwere Menschenrechtsverletzungen (Folter, Freiheitsentzug, Ausbeutung) verantwortlich. Die Küstenwache, manche Milizen und Teile der Verwaltung werden von Italien und der EU unterstützt.