Revanche der Peripherie

Bild: F.R.

Zur Rückkehr des "Raumes" in den politischen Diskurs

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Donald Trump ist nicht nur der Mann der Arbeiterklasse im abgesunkenen Auto- industrie-Westen , sondern er ist auch der Mann der Kleinfarmer im Großagrarier- Süden der Vereinigten Staaten (Arlie Russel Hochschild). Marine le Pen ist nicht nur die Frau der Proletarier des ruinierten Industrie-Nordens, sondern sie ist ebenso die Frau der Landwirte in den wettbewerbsbedrohten Agrarregionen im Westen und Süden Frankreichs (Ursula Welter).

Diese politische Geographie konnte die "neue Bourgeoisie" ( Christophe Guilluy) der linken Gewinner der Globalisierung in Deutschland bis zu den Bundestagswahlen vom Herbst 2017 ignorieren. Bis dahin wurde der so genannte "Rechtspopulismus" mit Psychopathologie (Wilhelm Heitmeyer) und als Prekarität (Bertelsmann Stiftung) abgetan. Aber schon am zweiten Tag nach dem Wahlwochenende zeigten es die Zweitstimmenkartographien in den Tageszeitungen: Die "Alternative für Deutschland" als Partei des deutschen Rechtspopulismus hatte in den Peripherien enorme Stimmengewinne zu verzeichnen - in den ostdeutschen Ländern, im Südosten Bayerns, im östlichen Ruhrgebiet.

Und wie auf Kommando war die bis dahin vom politischen System und seinen Mainstreammedien einschließlich der linksreformistischen Publizistik seit dem Ende der Ära Kohl immer strikter de-thematisierte politische Kategorie "Raum" wieder aktuell. Die in München bzw. in Frankfurt redigierten Flaggschiffe der liberalen Zeitungspresse kanonierten plötzlich ihre verdutzten Leserschaften mit dem Thema "Heimat". Vornehm verspätet legte dann auch noch die Neue Zürcher Zeitung mit dem Vorhalt nach, die politische Linke in Europa habe die "Regionale Verbundenheit" (Paul Collier)aus den Augen verloren.

Damit aber nicht genug. Auf der Suche nach gültigeren Populismusdiagnosen als den ausgelaugten Psycho- und Milieuparadigmen behaupten Journalökonomen wie der Wirtschaftsschreiber Thomas Fricke ein "Regionaldrama" als Populismusursache. Dort, wo sich die Segnungen der Globalisierung als Zerstörung von Wirtschafts- und Versorgungsstrukturen ausgetobt hätten, hätten so genannte "rechte Parteien" schon seit etlichen Jahren überdurchschnittlichen Zulauf. Fricke ruft daher plötzlich nach einem "ganz neuen Verständnis von Globalisierung".

Als typischer Schlicht-Keynesianer hat der ehemalige "Chefökonom" der inzwischen entschlafenen Financial Times bei früheren Gelegenheiten überdeutlich gezeigt, dass er mit der politisch-ökonomischen Kategorie "Raum" nichts anfangen kann und nichts anfangen will. Nun hat er die "Revolte in den deutschen Armenhäusern" entdeckt.

Noch um ein paar Tage früher hat der mit Millionen Euro der VW-Stiftung jahrlang geförderte Soziologe Wilhelm Heitmeyer, prominent geworden mit seiner "Menschenfeindlichkeitsthese" in Sachen Populismus, in einem Interview ebenfalls die "sozialen Verwüstungen" durch die Globalisierung entdeckt - insbesondere in den benachteiligten Stadtvierteln etwa des Ruhrgebietes. Für diese fordert Heitmeyer nun hurtig einen "innerstädtischen Lastenausgleich" wegen der dort zusätzlichen Benachteiligungen durch die Flüchtlingszuwanderung.

Krankenhausputsch

Mit solchen journalistischen und sozialwissenschaftlichen Vorkostern kann die drohende 4. Merkel-Regierung nun mühelos die von ihr immer wieder für weitere Alterslohnverschlechterungen benutzte Moralkeule "Generationengerechtigkeit" durch eine weitere Moralkeule "Regionengerechtigkeit" komplettieren. Mit diesem neuen Knüppel könnte die von den Parteien des alten Bundestags schon seit Jahren vorangetriebene Transformation der Krankenhausversorgung in ein Giga-Geschäft der Klinikkonzerne gegen die Widerstände von Bevölkerung und Pflegebeschäftigten endgültig durchgeprügelt werden.

Unbeeindruckt vom "Jamaika"- und "GroKo"- Theater betreibt eine Interessenfront von Gesundheitspolitiker(inne)n, Kassenkonzernen und Klinikkonzernen, argumen- tativ flankiert von den üblichen "Gesundheitsexpert(inn)en", medial unterstützt von der Bertelsmann-Stiftung, von der Süddeutschen Zeitung und überflüssiger Weise auch von einigen Linksblättern Dauerpropaganda für einen brutalen Abbau der Krankenhausstandorte in den Regionen.

Das Idealziel ist eine Reduzierung der ca. 1900 Allgemeinkrankenhäuser auf 300 Schwerpunktkliniken. Wenn die gegenwärtig ca. 19 Millionen Stationärfälle und die ca. 20 Millionen Ambulantfälle der Allgemeinkrankenhäuser in nur noch 300 Schwerpunkthospitälern abbehandelt werden, wird das ohne Zweifel ein Maxi-Business für die Klinikkonzerne, auch die von Caritas und Diakonie, die diese Schwerpunkteinrichtungen betreiben werden.

Als "Gerechtigkeitsargument" wird in den diversen Lobbymedien der Gesundheits- wirtschaft schon jetzt vorgetragen, dass mit Zentralisierung und Konzentration der Krankenhausversorgung das Problem des angeblichen Personalmangels in den derzeitigen 1900 Allgemeinkrankenhäusern, d. h. das Problem des angeblichen Krankenhaus-Personalmangels in den Regionen, behoben werden könne. Tatsächlich angestrebt wird aber nicht Gerechtigkeit in der Bedarfsdeckung, sondern Gewinnmaximierung im Behandlungsgeschäft. Wenn mittels Zentralisierung und Konzentration der Krankenhausversorgung, d.h. massenhafter Krankenhausschließung, das Angebot an Krankenhauspersonal je verbleibendem Standort wieder zahlreicher wird, können die Klinikkonzerne weiter wie bisher Minimalentgelte bezahlen und Maximalprofite erwirtschaften - die eigentliche Ursache des Personalmangels.

Mit diesem klammheimlich in Vorbereitung befindlichen "Krankenhaus-Putsch" des 4. Merkel-Rgierung wird für die erneute Kapitalzirkulation ein Riesenfeld eröffnet und mit dieser "Inneren Kolonisation" der zunehmend auf internationale und europäische Gegenwehr stoßende "Exportextremismus" des Geschäftsmodell Deutschland substituiert - allerdings wird die nächste "Revanche der Peripherie" dann auch nicht auf sich warten lassen.