Ganz großes Kino

Kino Babylon. Foto: Jörg Zägel / CC BY-SA 3.0

Das Rahmenprogramm zur Verleihung des Karls-Preises an Ken Jebsen im "Babylon"-Kino war das bizarrste linke Event seit langem.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Was für eine Inszenierung! Wochenlang hielt die Veranstaltung vom vergangenen Donnerstag (nicht nur) die Partei Die Linke in Atem. Dort sollte dem Journalisten Ken Jebsen, Betreiber des Info-Kanals Ken FM, der "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" verliehen werden. Berlins Kultur-Senator Klaus Lederer (Die Linke) hatte durch die Blume zu verstehen gegeben, dass die öffentliche Förderung des "Babylons" überdacht werden müsse, wenn Betreiber Timothy Grossman diese Veranstaltung in seinem Hause zulasse.

Grossman trat daraufhin von dem Nutzungsvertrag mit der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ), die den Preis vergibt, zurück. Die NRhZ erstritt die Durchführung vor Gericht, nach den Linken griffen auch die bürgerlichen Medien das Thema auf, zwei Gegen-Demonstrationen wurden angekündigt, derweil tauchten auf der Liste der Beteiligten immer mehr Namen obskurer Personen auf.

Die Linke diskutierte die Veranstaltung im Bundesvorstand und sprach sich mehrheitlich gegen eine Teilnahme aus. Davon wollten sich einige dennoch nicht abhalten lassen.

Derweil hatte der Jubilar keine Lust mehr auf den Event - und organisierte seinerseits eine Demo zum Thema "Pressefreiheit", direkt "vor der Location". Der er dann aber auch fernblieb. Dafür kamen die Veranstalterinnen und u.a. Linken-Politiker Wolfgang Gehrcke, der mit den Medien hart ins Gericht ging, weil diese sich kritisch zu der Veranstaltung im "Babylon" geäußert hatten. So viel zum Thema "Pressefreiheit".

Die geplante Preisverleihung fand dann ohne den Preisträger statt, dafür nutzte der - ungeladene - Kino-Betreiber die Bühne, um diesen und einen weiteren Teilnehmer, den Künstler Gilad Atzmon, als "Rassisten" zu bezeichnen. Gilad Atzmonist ist bekannt für seine krude Thesen in Bezug auf das Judentum, dem er in Bezug auf den Holocaust vorwirft, Geschichtsfälschung zu betreiben. Grossman hatte ihm Hausverbot erteilt, Atzmon konnte dennoch unbehelligt konzertieren.

Der Preisträger erklärte sich bei RT deutsch. Auf demselben Kanal sprach Fikentscher von Drohungen gegen Jebsen. Es hieß, vor dem Kino seien Flyer mit dessen Wohnort, Telefonnummer, etc. verteilt worden. Das wäre - wenn es denn stimmt - eine neue Qualität in dieser Auseinandersetzung.

Die Veranstalterinnen

Der Karls-Preis wird alle zwei Jahre vom Internet-Blog Neue Rheinische Zeitung (NRhZ) vergeben. Dieses wiederum wird betrieben von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann, deren Begeisterung für den früheren iranischen Präsidenten Mahmut Ahmadinedschad so weit ging, dass sie ihn in Teheran besuchten.

Der Besuch fand statt im Frühjahr 2012. Gute 6 Jahre zuvor (am 11. und 12. Dezember 2006) hatte Ahmadinedschad eine höchst umstrittene Zusammenkunft mit dem offiziellen Namen "Review of the Holocaust: Global Vision" (Rückblick auf den Holocaust: Globale Vision) ausgerichtet, die als "Holocaust-Leugner-Konferenz" in die Geschichte einging, weil sich solche dort ein Stelldichein gaben. Die Konferenz gilt als antisemitische Propaganda-Veranstaltung.

Schon vorher hatte der iranische Präsident Ahmadinedschad von sich reden gemacht, weil er "Israel vernichten" wolle, wie er in deutschen Medien zitiert wurde. Das sei so nicht richtig, sprangen schon damals Fikentscher und Neumann für ihn in die Bresche, die Übersetzung sei falsch. Da waren zwar die beiden im großen und ganzen die Einzigen, die die wahre Übersetzung kannten; es gelang ihnen trotzdem auf die Linke, insbesondere die Friedensbewegung, einzuwirken, damit diese sich hinter das zivile Atomprogramm mit dem Iran stellt.

Was auch prompt passierte - trotz des Wissens um die Erdbebengefahr in vielen Gebieten des Irans und trotz mehr als 30 Jahre Anti-AKW-Bewegung. Die Reise im Mai 2012 wurde von Yavuz Özoğuz, dem Betreiber des Internetportals Muslim Markt organsiert, von dem später noch die Rede sein wird.

Fikentscher war anschließend ganz aus dem Häuschen: "Gibt es ein Land, in dem auch die Tätigkeit der Frau in der Familie als vollwertige Arbeit honoriert wird? Gibt es ein Land, in dem die höchstgestellten Politiker Atomwaffen verurteilen? Das Land heißt Islamische Republik Iran."

Mitwirkende

Während sich für die Brüder Özoğuz, die Betreiber des Muslim Markt, im Vorfeld niemand so recht interessierte, sorgte die Teilnahme der Band "Die Bandbreite" für heftige Kritik. Diese waren in der Vergangenheit u.a. durch ein gemeinsames Foto von Band-Sänger Marcel Wojnarowitz, genannt Wojna, was übersetzt "Krieg" heißt, mit dem Neonazi Thomas "Steiner" Wullf, ins Gerede gekommen.

Wulff ist seit den 1970er Jahren einer der führenden Kader der bundesdeutschen Neonazi-Szene: Gemeinsam mit Christian Worch, beide bis heute in der Szene aktiv, gehörte er zu dem Kreis um den 1999 verstorbenen Michael Kühnen. Im Herbst 1974 gründeten sie im Hamburger "Haus des Sports" eine Unterorganisation der von US-Neonazi Gary Lauck gegründeten NSDAP-Aufbauorganisation (NSDAP/AO) namens "SA-Sturm Hamburg".

Aus dieser Unterorganisation entstand wiederum am 26. November 1977 die Organisation "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" (ANS). Diese verschaffte sich mit einer medienwirksamen Aktion im Mai 1978 bundesweite Publizität: Mehrere ANS-Mitglieder, darunter neben Kühnen auch Worch und Wulff, liefen mit Eselsmasken und Pappschildern mit der Aufschrift "Ich Esel glaube noch, dass in Auschwitz Juden vergast wurden" durch den Hamburger Stadtteil Bergedorf.

Wulffs jüngerer Bruder René war Heiligabend 1985 am Mord an dem türkisch-stämmigen Migranten Ramazan Avcı beteiligt. Dafür wurde er als einer der Hauptangeklagten zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Nachdem das Foto des Rappers mit dem Neonazi in sozialen Netzwerken im Internet viral gegangen war, gab Wojnarowitz an, ihm sei nicht klar gewesen, mit wem er da kommuniziere.

Während des Bundestagswahlkampfs stand "Die Bandbreite" der von Christoph Hörstel gegründeten Partei "Deutsche Mitte" (DM) musikalisch zur Seite, die laut der Bundeszentrale für politische Bildung "ethische Politik im Sinne der Bewahrung der Schöpfung" betreiben wollte. Dabei sind die geschätzt 3.300 Mitglieder weitestgehend unter sich geblieben und Hörstel soll die Partei bereits verlassen haben. "Die Bandbreite" hatte der DM einen Song gewidmet.

Im Blog Islampres.de empfahl Salim Spohr die DM als eine Partei, die "in wesentlichen Punkten auch mit den Wertvorstellungen der Muslime in überraschender Weise" übereinstimme: "Das Mittel, die fatale Entwicklung der Ausraubung der Menschen zu stoppen und umzukehren, sehen Christoph Hörstel und die Deutsche Mitte darin, dass man das System des Zins-und-Zinseszinses und die Eigenwerterschaffung durch die Banken beendet."

Hörstel wird der "Truther"-Szene zugerechnet, Suchende nach der Wahrheit, u.a. von Ereignissen wie dem Attentat auf das World-Trade-Center am 11. September 2001, die gern ihre ganz eigene Wahrheit als allgemeingültige verkaufen.

Als dann auf der Ankündigung der Name Atzmon auftauchte, war der Eklat perfekt. Er fällt auf mit Aussagen wie: "Ich denke, dass Israel weit schlimmer ist als Nazi-Deutschland." Oder aber auch: Die uns bekannte Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust sei eine "komplette, von Amerikanern und Zionisten initiierte Fälschung".

Atzmons Teilnahme dürfte für Jebsen kein Problem gewesen sein, denn schließlich hatte er ihn im September in seiner Sendung zu Gast. "Neben dem künstlerischen Ausdruck besticht der 1963 in Israel geborene und heute in London lebende Künstler durch seine politische Haltung. Gilad Atzmon ist ein Anti-Imperialist. Die Freiheit des Menschen geht ihm über alles und so setzt er sich seit Jahren für das Ende der Unterdrückung der Palästinenser ein", schwärmt Ken FM auf YouTube über den Gast.