Plötzlich finden die Deutschen die GroKo wieder Spitze

DeutschlandTrend: Vor kurzem war die GroKo noch unbeliebt, jetzt passt man sich offenbar im Merkel-Stil ans Alternativlose an

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Man wird davon ausgehen, dass nach längeren Verhandlungen und einigen Kompromissen, mit denen die SPD ihr Gesicht wahren kann, die Sozialdemokraten erneut in eine Große Koalition eintreten werden, auch wenn die gerade einmal ein bisschen mehr als 50 Prozent hat, also schlicht eine Mehrheitsregierung mit einer starken, wenn auch gespaltenen Opposition ist. Ab Anfang Januar sollen die Sondierungsgespräche beginnen, natürlich ergebnisoffen. Die SPD-Spitze hat dem zugestimmt, sagte gestern Parteichef Martin Schulz, Mitte Januar folgt bereits ein Sonderparteitag, auf dem dann über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entschieden werden soll.

Der Zug rollt und könnte höchstens noch daran scheitern, wenn einzelne Positionen wie die Forderung einer Bürgerversicherung nicht gesichtswahrend berücksichtigt würden. Die SPD steht nicht nur unter Druck der Union, des Bundespräsidenten, einiger Regierungen im Ausland und vieler Medien, sondern offenbar auch von den SPD-Anhängern, die freilich nicht die Mehrheitsmeinung der Parteimitglieder haben müssen. 68 Prozent der SPD-Anhänger wünschen nach dem aktuellen DeutschlandTrend eine GroKo.

61 Prozent aller Befragten sprechen sich dafür aus. Am meisten bei den Anhängern der Union, aber auch viele bei den Grünen und eine knappe Mehrheit bei den FDP-Anhängern, die damit das Kneifen vor der Regierungsverantwortung in der Jamaika-Koalition wohl gerne überspielen wollen. Dass die meisten Befürworter einer CDU/CSU-Minderheitsregierung sich bei den Anhängern der AfD, der Linken und der Grünen finden überrascht nicht, schließlich wäre dies eine gute Möglichkeit, nicht selbst Regierungsverantwortung zu tragen, aber schon auch mal etwas durchsetzen zu können.

Die Sonntagsfrage zeigt, dass die Verhältnisse weitgehend zementiert sind. Zwar haben SPD und Linke gegenüber dem letzten DeutschlandTrend jeweils einen Punkt verloren, aber es sind kleine Schwankungen. Seit der Bundestagswahl hätten aber die Grünen zugelegt, alle anderen Parteien halten sich in etwa oder gehen wie die FDP leicht nach unten.

Wenn also bei der Parteienpräferenz sich keine Veränderungen ergeben haben, warum lieben nun so viele Wähler auf einmal die GroKo, nachdem sie nach der Bundestagswahl für die große Mehrheit erst einmal abgewählt war und Anfang Oktober nur 33 Prozent ihr zustimmten? Schon vor dem Scheitern der Jamaika-Koalition entdeckten wieder zunehmend mehr Deutsche ihre Liebe zur altgewohnten Dreierkoalition CDU/CSU/SPD, vielleicht auch in Erinnerung daran, wie kläglich die FDP schon einmal mit Angela Merkel mitregiert hat. Nach dem Scheitern der Jamaika-Koalition fanden schon Anfang Dezember 45 Prozent die GroKo wieder prima und jetzt eben eine Mehrheit von 61 Prozent. Das sind jedenfalls deutlich mehr, als die 52 Prozent, die für die Union und SPD stimmen würden.

Das Glück des Beständigen

Offenbar ist vom Wunsch nach einem Politikwechsel kaum mehr etwas übrig geblieben. Von der SPD erwarten sich zudem relativ wenige etwas, obgleich sie eigentlich die besseren Karten hätte, da in der Union keine Mehrheit für eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen besteht. 52 Prozent glauben, die Union habe eine stärkere Verhandlungsposition, nur 33 Prozent sehen diesen Vorteil bei der SPD. Danach würde die wiederentdeckte Liebe zur GroKo schlicht bedeuten, dass die Menschen ganz zufrieden damit wären, wenn es irgendwie so weitergeht wie die letzten Jahre, die schon verblassende Flüchtlingskrise hin oder her, und auch wenn Merkel in der Union und mit Söder schon gar nicht mehr in der CSU durchregieren kann.

Wie aber kann man sich den schnellen Wechsel von der Ablehnung von der GroKo zur wiedererwachten Liebe vorstellen, die ja auch das gesamte Personal mit einschließt? Der Verdacht muss entstehen, dass sich eine Mehrheit der Menschen, zumindest so lange es ihnen einigermaßen gut geht, die Geschäfte laufen und der Job sicher ist, schlicht an dem orientieren, was als gesetzt erscheint. Nach der Wahl schien die GroKo abgewählt zu sein, also war man für die Jamaika-Regierungskoalition und passte sich den Gegebenheiten an. Jetzt deutet alles darauf hin, dass die GroKo wiederkehrt, also geht man wieder konform mit der Macht.

Das ist deswegen besonders auffällig, weil es ja keinerlei gemeinsame Projekte von SPD und Union gibt, geschweige denn ein gemeinsames Programm, sondern nur den Wunsch oder den Versuch, an der Regierungsmacht zu bleiben. Das ist Merkel-Stil, der sich auch in der Bevölkerung breit gemacht hat. Man schwimmt in Nahsicht mit den Strömung mit, Kurs ist einzig Selbsterhaltung oder Bewahrung des Bestehenden. Das ist ängstlich, so ängstlich, dass im Nachhinein auch deutlich wird, warum die Flüchtlinge so verstört hatten, der AfD zum Durchbruch verhalfen und zum beherrschenden Wahlkampfthema wurden, während man vor der Zukunft die Augen verschloss.

Andererseits ist der Merkel-Stil auch Ausdruck der Befindlichkeit der Deutschen, sonst würde sie nicht jetzt ihre vierte Amtszeit antreten können und wäre sie nicht quasi alternativlos. Wer hätte gedacht, dass eine Mehrheit der Deutschen zu einer No-Future-Generation mutiert? Allerdings nicht zu einer herausfordernden Generation, sondern zu einer solchen, die unter der damit angestrebten Stabilität sowohl ängstlich als auch aggressiv nur das eigene Wohlergehen in der Gegenwart im Blick hat. Das ist so trist wie der Ausblick auf eine neue GroKo.