Pflegen kann jeder?

Krankenschwestern bei der Versorgung einer Patientin 1910.

Pflegekräfte leiden unter der Arbeitsverdichtung, dem permanenten Verstoß gegen die Hygienevorschriften, einem schlechten Image und unter zunehmendem Nachwuchsmangel

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Die Aussage, dass jeder pflegen könne, wird dem ehemaligen Arbeitsminister Norbert Blüm zugeschrieben, von dem auch "die Rente ist sicher" überliefert ist. Wurde die Rente aufgrund politischer Entscheidungen zur Förderung einer kapitalgedeckten Altersversorgung inzwischen "entsichert", so leidet die Aussage, dass jeder pflegen könne, nicht zuletzt unter der Entwicklung der Arbeitswelt mit zunehmender Belastung der Arbeitnehmer sowie der Entwicklung, die dafür sorgt, dass die älteren Angehörigen länger leben und somit zumeist auch länger pflegebedürftig sind. Da zudem die Familien immer kleiner werden, ruht die Last der häuslichen Pflege auf immer weniger Schultern. Daher benötigen auch viele Familien heute in der Pflege der Angehörigen professionelle Hilfe.

Alle vier Pflegebereiche haben Probleme

Bei der Pflege muss man unterscheiden, zwischen der stationären Pflege und der ambulanten Pflege, welche im häuslichen Umfeld stattfindet. Und bei der stationären Pflege ist wiederum zu unterscheiden zwischen dem Pflegebedarf in Kliniken und Krankenhäusern, der aufgrund der gültigen Fallpauschalen auf das absolute zeitliche Minimum reduziert wird und auf die längerfristig angelegte stationäre Pflege im Altersbereich. Im Bereich der Altenpflege findet wiederum eine Überschneidung mit der ambulanten Pflege statt. So werden die Dementenwohngruppen üblicherweise über ambulante Pfleger betreut. Stationär halten sich dort nur die Pflegebedürftigen selbst auf.

In der ambulanten Pflege dürfen nur examinierte Kranken- oder Altenpfleger eingesetzt werden, die üblicherweise eine dreijährige Ausbildung und ein entsprechendes Examen absolviert haben. Im Gegensatz dazu muss in der stationären Pflege pro Station jeweils nur eine verantwortliche, augebildete Fachkraft vorhanden sein, welche die Verantwortung für die anderen zumeist nur angelernten Kräfte trägt. Bei den Aushilfen handelt es sich in der Regel um 450 Euro-Kräfte. Wohl nicht zuletzt aufgrund der guten Arbeitsmarktlage ist das Angebot an Aushilfen in der jüngsten Zeit deutlich zurückgegangen.

Hygieneprobleme aufgrund der hohen Arbeitsverdichtung

Immer wieder wird auf die Zahl der Toten in Krankenhäusern aufgrund von Keiminfektionen hingewiesen. Wenn sich das Personal jeweils entsprechend der bestehenden Hygiene-Vorschriften die Hände desinfizieren würde, ließe sich die Infektionsgefahr bei den Patienten deutlich reduzieren. Alleine es fehlt die Zeit. Einmal Händedesinfektion dauert mindestens 30 Sekunden, bis die Desinfektion erfolgt ist.

Der Aktionstag "Hände-Desinfektion" der im vergangenen September von der Gewerkschaft Ver.di in saarländischen Kliniken durchgeführt wurde, musste am Dienstag bereits in der Frühschicht vorzeitig beendet werden. Bei einer Acht-Stunden-Schicht kostet die Desinfektion der Hände, die entsprechend den Vorschriften zwischen jedem Patientenkontakt durchgeführt werden muss, insgesamt etwa zwei Stunden pro Schicht. Zeit, die dann für die Pflege nicht mehr zur Verfügung steht.

Vor die Entscheidung gestellt, die geforderte Pflegeleistung zu erbringen oder die Desinfektionsvorschriften einzuhalten, wird offensichtlich das Infektionsrisiko als geringer eingeschätzt als die Probleme, die entstehen, wenn die Medikamente nicht wie vorgeschrieben verabreicht werden oder der Patient Druckstellen bekommt, weil er nicht gewendet wurde.

Obergrenzen

Wieviele Patienten muss ein Pfleger heute betreuen? Da scheint es kaum eine Obergrenzen zu geben. Ein Pfleger an der Uniklinik Freiburg berichtete, dass die Arbeitsverdichtung inzwischen so heftig sei, dass er alleine für 30 Patienten zuständig sei. Im Rahmen eines Warnstreiks in der diesjährigen Vorweihnachtszeit forderten die Pfleger eine Mindestzahl von Pflegekräften je Station und die Stilllegung von Betten bei Nichteinhaltung dieser Grenzwerte.

Für die vier Baden-Württembergischen Unikliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm haben die Arbeitgeber jetzt 100 zusätzliche Stellen für Pflegekräfte angeboten, also im Durchschnitt 25 pro Klinik. Wenn man berücksichtigt, dass die Pflege 24 Stunden pro Tag und 7 Tage pro Woche benötigt wird, lässt sich schnell errechnen, dass dieses Angebot nicht mehr darstellt, als den berühmten Tropfen auf den heißen Stein.

Es fehlen die Pflegekräfte

Bundesweit fehlen nach Angaben von Ver.di 70.000 Pflegekräfte in Kliniken und weitere 40.000 in der Altenpflege. Und zumindest die Zahl der Alten und damit auch der Pflegebedürftigen nimmt weiter zu. Besonders knapp sind die Bewerber entlang der Grenze zur Schweiz. In den Kreisen Lörrach und Waldshut gibt es inzwischen fünf unbesetzte Stellen pro Bewerber. Stellen in der Altenpflege bleiben nach Aussage der Freiburger Agentur für Arbeit inzwischen durchschnittlich 198 Tage unbesetzt.

Alle bislang durchgeführten Qualifizierungsprogramme brachten bislang ebenso wenig eine Lösung, wie die Versuche, ausländische Arbeitskräfte anzuwerben. Auch die Hoffnungen, unter den Migranten neuen Pflegekräfte gewinnen zu können, haben sich in den seltensten Fällen erfüllt, denn selbst, wenn es sich um ausgebildete Pflegekräfte handelt, wird ihre Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt und sie können bestenfalls als Hilfskräfte eingesetzt werden.

Da der Bedarf an Pflegekräften in Deutschland nicht mehr gedeckt werden kann und auch aus Süd- und Osteuropa nicht mehr genügend Fachkräfte angeworben werden können, weicht man bei der Rekrutierung von Pflegekräften seit geraumer Zeit nach China aus. Die Tätigkeit der chinesischen Pfleger ist zumeist auf fünf Jahre befristet und wird als Ausbildung deklariert. Den Chinesen, die alle über eine entsprechende Vorqualifikation in der Pflege verfügen, wird bei diesem Modell versprochen, dass sie nach Ablauf der fünf Jahre so hoch qualifiziert seien, dass sie in China eine eigene Pflege starten könnten.