Nur "rechts, nicht radikal"

S-Bahnhof Veddel, Hamburg. Bild: Oliver Scholz / gemeinfrei

Hamburg: Nach der Explosion eines Sprengsatzes an einer S-Bahn-Station wurde ein in den 1990ern als Totschläger verurteilter Neonazi als Tatverdächtiger festgenommen

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Am vergangenen Sonntag kam es an der S-Bahnstation Veddel im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg zu einer Explosion. Dabei ging die Scheibe des Wartehäuschens zu Bruch und unterdessen meldete sich ein Mann bei der Polizei, der eine Verletzung erlitt. Laut Spiegel Online wurde der vermutliche Täter inzwischen verhaftet. Dabei soll es sich um einen 1992 als Totschläger verurteilten Neonazi handeln.

Die Beschreibung des damaligen Opfers weist auf den Fall Gustav Schneeclaus hin: Der Kapitän wurde am 18. März 1992 von zwei Neonazis, mit denen er getrunken hatte und in Streit geraten war, so sehr misshandelt, dass er den Verletzungen erlag. Als Täter wurden seinerzeit der Tostedter Stefan S. und der Hamburger Stephan K. ermittelt. Während Stefan S. nach der Haft in der Neonazi-Szene aktiv war, blieb Stephan K. laut Polizeiangaben nur dem Alkohol treu - bis er am vergangenen Sonntag in einem Stadtteil mit einem Migrantenanteil von mehr als 70% einen Sprengsatz detonieren ließ. Zumindest wird er dieser Tat verdächtigt.

Um was es sich konkret bei dem Sprengsatz handelt, ist nicht bekannt. Die Rede war von einem "Polenböller". Diese sollen für gewöhnlich 2 - 3 g Schwarzpulver enthalten, der am Sonntag explodierte enthielt jedoch 50 g. Augenzeugen sprachen auch von Nägeln, die auf dem Boden am Explosionsort gefunden worden seien.

Neonazis sind kein ostdeutsches Problem

Schon Ende der 1970er machten in Norddeutschland Neonazis von sich reden, u.a. im Hamburger Stadtteil Bergedorf mit Eselsmasken und Pappschildern mit der Aufschrift: "Ich Esel glaube, daß in Auschwitz Juden vergast wurden." Die "Esel" waren der verstorbene Rechtsradikale Michael Kühnen sowie seine bis heute in der Neonazi-Szene aktiven Mitstreiter Christian Worch und Thomas Wulff.

Dessen jüngerer Bruder René wurde wegen Totschlags zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt: Er war daran beteiligt, wie am 24.12.1985 der türkisch-stämmige Ramazan Avci am Hamburger S-Bahnhof Landwehr überfallen und so brutal misshandelt wurde, dass er wenige Tage später verstarb. Bereits im Jahr 1980 wurde eine Asylunterkunft in Hamburg in Brand gesetzt, bei der die beiden Vietnamesen Ngoc Nguyên und Anh Lân Dô ums Leben kamen.

Drahtzieher dieses Anschlags soll der Neonazi-Anwalt Manfred R. gewesen sein, ein in seinen Kreisen geachteter Rechtsextremist, den offenbar auch das NSU-Trio verehrte. Jedenfalls gaben sie ihm moralische Unterstützung, als 1996 in Erfurt ein Verfahren wegen eines Anschlags auf die "Wehrmachtsausstellung" gegen ihn geführt wurde.

Die Neonazi-Netzwerke breiteten sich über ganz Norddeutschland aus, Hamburg-Bergedorf, die niedersächsische Nordheide und der Süden Schleswig-Holsteins waren die Zentren, die wie ein Dreieck durch die Aktivisten miteinander verbunden waren.

Im März 1992 geriet der ehemalige Kapitän Gustav Schneeclaus mit Stefan S. und Stephan K. in Streit. Ausschlaggebend war die Äußerung von Schneeclaus: "Hitler war der größte Verbrecher".

"… Ein 26-Jähriger aus Neugraben (Stephan K., Anm. d. Verf.) tritt dem Kapitän mit seinen schweren Stiefeln ins Gesicht, schlägt später mit einem Kantholz zu. Auch S. malträtiert das Opfer mit Tritten. Am Ende springt er sogar mit beiden Füßen auf den Körper des Mannes, während ihn sein Freund anfeuert. Vier Tage später, am 22. März, stirbt Schneeclaus an seinen schweren Verletzungen", beschrieb das Hamburger Abendblatt die Tat. Beide wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

"Nach seiner Haftentlassung übernahm S. eine Führungsposition in der 'Blood and Honour Sektion Nordmark'. Nach dessen Verbot baute er den 'Saalschutz Nordmark' auf, die hauptsächlich Rechtsrockkonzerte absichern sollten", schreibt die "Antifa Kiel" auf ihrer Webseite.

"2005 wurde S. im Prozess gegen eine 'Combat 18' Terrorzelle in Pinneberg mitangeklagt. In dem Verfahren wurde er beschuldigt, rechte Versände um Schutzgeld erpresst zu haben. Mit diesem Geld sollten Terrorakte finanziert werden … Im gleichen Jahr eröffnete er im Tostedter Ortsteil Todtglüsingen den Neonazishop 'Streetwear-Tostedt' und baute einen Anlaufpunkt der regionalen und überregionalen Neonaziszene auf. Um den Laden organisieren sich die Tostedter Kameradschaften 'Gladiator Germania' und der 'Nationale Widerstand Tostedt', diese Gruppen sind für diverse Übergriffe auf Menschen verantwortlich. Das Ladengeschäft in der Niedersachsenstraße wurde Anfang 2013 geschlossen, die Artikel werden aber weiterhin über die gleichnamige Internetseite vertrieben."

Das Netzwerk "Blood & Honour", so viel ist heute bekannt, unterstützte das sogenannte NSU-Trio während dessen Zeit im Untergrund.

Der Anwalt von K. sagte damals in seinem Plädoyer: "Stephan ist ein Schläger, aber kein Totschläger", außerdem bezeichne er sich nur als "rechts" und nicht als "radikal". Laut Polizei-Angaben ist Stephan K. nach seiner Haft nur in der "Trinkerszene" und durch kleinere Diebstähle aufgefallen, politische Aktivitäten sind demnach nicht bekannt. Allerdings scheint sich an seinem Weltbild nicht grundsätzlich etwas verändert zu haben, denn jetzt hat er vermutlich, "nur" rechts und nicht radikal, erneut in Kauf genommen, dass Menschen schwer verletzt oder gar getötet werden - oder das sogar beabsichtigt.