"Sieg für die Katalanische Republik über die Monarchie des 155"

Marta Rovira, Generalsekretärin des ERC, feiert das gute Abschneiden. Bild: ERC

Trotz Repression und Angstkampagne hat die Unabhängigkeitsbewegung ihre Mehrheit verteidigt, während die spanische Regierungspartei abgestraft wurde, aber an der Repression festzuhalten scheint

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Dann haben die Wahlen in Katalonien am späten Donnerstag doch noch mit einigen Überraschungen aufgewartet. Als um 18 Uhr neue Daten zur Wahlbeteiligung veröffentlicht worden sind, zeichnete sich ab, anders als noch um 13 Uhr, dass die Beteiligung nicht leicht unter von 2015, sondern deutlich darüber liegen würde. Darauf hatten die spanische Regierung und die drei Parteien gesetzt, die die Auflösung der katalanischen Regierung und des Parlaments über den Paragraphen 155 unterstützt haben, mit denen die katalanische Autonomie ausgesetzt und die Zwangswahlen angesetzt worden waren.

Die Unionistenparteien haben sich Hoffnungen auf eine "schweigende Mehrheit" gegen den Unabhängigkeitsprozess gemacht, die sie seit Wochen erfolglos zu mobilisieren versuchten. Die Unionisten aus rechtsradikaler Volkspartei (PP), der rechts-neoliberalen Ciudadanos (Bürger) und der katalanischen Sektion der spanischen Sozialdemokraten (PSC) wollten gemeinsam die Wahlen gewinnen. Sie wollten die Parteien aus der katalanischen Regierung treiben, die für die Unabhängigkeit eintreten. Extra deswegen hatte die regierende PP unter Regierungschef Mariano Rajoy aus Madrid bestimmt, die Wahlen erstmals an einem Wochentag durchzuführen, um eine sehr hohe Beteiligung zu erreichen.

Das gelang mit fast 82%, womit sie nochmal vier Punkte über der Rekordbeteiligung 2015 gelegen hat. Aber ihr Ziel, das die Unionisten darüber verfolgt haben, haben sie verfehlt. Trotz der hohen Beteiligung konnten die Unabhängigkeitsparteien ihre Mehrheit im Parlament verteidigen. Sie kamen mit knapp 48% fast genau auf das Ergebnis, das sie schon 2015 erreicht hatten, als sie den Unabhängigkeitsweg einleiteten. Über 50% der Stimmen zu kommen, was viele Anhänger der Bewegung erhofft hatten, gelang allerdings nicht.

Die Bewegung hat trotz der massiven Repression, so sitzt zum Beispiel der Spitzenkandidat der Republikanischen Linken (ERC), Oriol Junqueras, weiter im Knast und der "legitime Präsident" Carles Puigdemont konnte nur aus dem fernen Exil in Brüssel am Wahlkampf teilnehmen, sogar 100.000 Stimmen gegenüber 2015 hinzugewonnen. Junqueras ERC und Puigdemonts neue Liste "Junts per Catalunya" (JxCat), die 2015 auf einer gemeinsamen Liste "Junts pel Si" angetreten waren, kamen nun statt auf 62 auf 66 Sitze. Statt auf 39,5 kamen beide Formationen nun auf 43%. Und hier zeigte sich die nächste Überraschung: Nicht die ERC lag vorne, wie die Partei und alle Prognosen erwartet haben, sondern die Formation von Puigdemont errang mit 21,7 Prozent ein leicht besseres Ergebnis als die ERC mit 21,4%. Das ist allerdings das beste Ergebnis, dass die katalanische Linke seit dem Ende der Franco-Diktatur erreicht hat, obwohl ihr Chef im Knast sitzt und sie im Wahlkampf stark behindert war.

Puigdemonts JxCat konnte von der "nützlichen Wahl" (voto útil) profitieren, da etliche Wähler den geschassten Präsidenten im Exil und seine Rückkehr nach Katalonien unterstützten wollten, statt die linken Parteien zu wählen. Besonders hatte unter diesem Phänomen die linksradikale CUP zu leiden, die 3,7 Prozentpunkte verlor. Sie verlor darüber gleich sechs der zehn Parlamentarier, weil das absurde spanische Wahlsystem große Formationen deutlich bevorteilt. Allerdings kommt die Unabhängigkeitsbewegung mit den vier Sitzen der CUP wieder auf eine stabile absolute Mehrheit von 70 Sitzen. Im Parlament ist die CUP weiter ein zentrales Element, da ohne sie wie seit 2015 nichts geht. Das war stets das Ziel der Antikapitalisten, die die soziale Frage mit Vehemenz vertreten und Motor des Unabhängigkeitsprozesses sind.

Siegende Verlierer auf der rechten Seite

Vom spanischen "voto útil" profitierten vor allem die rechts-neoliberale Ciudadanos. Die "Bürger" wurden, weil sie die rechtsradikale PP vom spanischen Regierungschef Rajoy fast aus dem katalanischen Parlament katapultierten, nun sogar offiziell Wahlsieger. Das Kalkül der Spitzenkandidatin Inés Arrimadas ist in dem Punkt aufgegangen. Doch es war ein sehr bitterer "Wahlsieg" für sie, den sie am späten Abend in Barcelona für sich reklamiert hat, da sie auf 25,4% kam. Die Bürger haben zwar sogar das Ergebnis übertroffen, dass Arrimadas erwartet hatte. Doch das ging eben praktisch nicht zu Lasten der Unabhängigkeitsbewegung.

Da sich in den beiden großen Blöcken nur wenig verschoben hat, kamen die Stimmen vor allem von der PP, die nun wie erwartet schwächste Partei ist und in Deutschland ganz aus dem Parlament geflogen wäre, weil sie mit 4,2% unter der Hürde von 5% geblieben wäre. Sie hat noch einmal die Hälfte aller Stimmen verloren, ist nun schwächer als die CUP und hat nur noch drei statt der bisherigen elf Parlamentarier. So steht Arrimadas doch als siegende Verliererin da, da sie versprochen hatte, den Wahldonnerstag zum "Verfallsdatum" der Unabhängigkeitsbewegung zu machen.

Ein Teil des Stimmenzuwachses, den die Unionisten verbuchen konnten, kam aus der Linkspartei Comu Podem (Gemeinsam können wir es). Die 1,5 Prozentpunkte, die die Formation verloren hat, die allerdings auch für das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen eintritt, flossen zurück an die sozialdemokratische PSC, der die Formation vor zwei Jahren viele Stimmen abgenommen hatte. Die PSC, einst bisweilen stärkste Partei in Katalonien, legte deshalb nach dem Absturz 2015 leicht auf 13,9% zu. Sie hat mit 17 Sitzen einen mehr als bisher. Ob die Auslandsstimmen noch etwas ändern, die noch nicht ausgezählt sind, ist unwahrscheinlich. Allerdings dürften die Stimmen vor allem die Unabhängigkeitsparteien weiter stärken. 2015 wählten mehr als 60% der Auslandskatalanen die Unabhängigkeitsbewegung.

Puigdemont: "Das Rezept von Rajoy ist gescheitert"

Da sich die Bewegung behaupten konnte, gab es große Feiern. In Barcelona feierte der große Katalanische Nationalkongress (ANC), dessen bisheriger Chef Jordi Sànchez ebenfalls inhaftiert ist. Er kandidierte auf Platz 2 für Puigdemonts JxCat und forderte die Freiheit der politischen Gefangenen. Dass man gegen Wind und Sturm, "gegen den Angriff aus der Luft, dem Meer und dem Boden", standgehalten habe, sei ein riesiger Erfolg, erklärte das ANC-Mitglied Nuria gegenüber Telepolis. "Unabhängigkeit, Unabhängigkeit", wurde immer wieder skandiert und "Puigdemont Präsident, Puigdemont Präsident" die Rückkehr des legitimen Präsidenten gefordert.

Der trat auch gegen Mitternacht mit den vier Ministern seiner "legitimen Regierung" im Exil mit strahlendem Gesicht vor die Presse. Er und seine JxCat hatten nicht erwartet, gestärkt aus den Wahlen hervorzugehen und sogar knapp vor der ERC zu liegen. "Das Rezept von Rajoy ist gescheitert", erklärte Puigdemont. Die "Katalanische Republik", die er am 27. Oktober ausgerufen hatte, "hat die Monarchie und den § 155 besiegt", erklärte er. Der spanische Staat und die drei Parteien, die über den § 155 vorgegangen sind, "haben von den Katalanen einen Schlag ins Gesicht erhalten und das Plebiszit verloren, mit dem sie den 155 legitimieren wollten".

Er bot dem spanischen Regierungschef einen Dialog "irgendwo in Europa", allerdings nicht in Spanien, um eine Lösung zu suchen. In Spanien besteht weiter Haftbefehlt gegen ihn. Er forderte auch, den Haftbefehl gegen ihn zurückzuziehen und seine Rückkehr zu ermöglichen. "Es gibt keine Handhabe", sagte er mit Blick darauf, dass Spanien den europäischen Haftbefehl und den Auslieferungsantrag zurückgezogen hat, bevor Belgien sie mit größter Wahrscheinlichkeit abgelehnt hätte. Die Vorwürfe Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung - weil Geld für das verbotene Unabhängigkeitsreferendum eingesetzt wurde - sind offensichtlich außerhalb Spaniens unhaltbar.

Puigdemont forderte am Freitagmittag, seine Regierung zu restituieren, "wenn man die Spielregeln einhält, die von der spanischen Regierung geändert worden sind". Spanien und die Europäische Gemeinschaft müssten nun begreifen, dass ein anderer Weg eingeschlagen werden müsse. Er forderte erneut ein abgestimmtes Referendum über die Unabhängigkeit nach schottischem Vorbild. Da auch Comu Podem für das Selbstbestimmungsrecht eintritt, hätte diese Option im Parlament eine sehr klare Mehrheit von 78 Sitzen, während die Unionisten nur auf 57 kommen, erklärte er.

Der Spitzenkandidat der Linken Comu Podem meinte, dass der "große Verlierer der Wahlen Rajoy und seine Regierung" seien. Xavier Domènech gab zu, dass er ein schlechtes Ergebnis erzielt hat. "Die Ausnahmesituation in Katalonien besteht weiter", sagte er. Doch das Wahlergebnis zeige sehr klar, dass die "repressive Politik" gescheitert ist und die PP von Rajoy "keine Vorschläge" habe. Puigdemont werde man aber nicht unterstützen und in die Opposition gehen, kündigte er an. Eine andere Regierung kann es ohnehin nicht geben.

Klar ist aber, dass Spanien wohl nach dem Scheitern in Katalonien an der Repression festhalten wird, und man darf gespannt sein, wie lange Spanien nach der Bestätigung der Puigdemont-Regierung an den Urnen die Autonomie über den 155 undemokratische weiter aussetzen will. Es ist aber kein Zufall, dass die wenig unabhängige spanische Justiz nach dem Scheitern in Katalonien nun die Ermittlungen ausweitet. Nun rücken auch die stellvertretende ERC-Chefin Marta Rovira, die bisherige Gallionsfigur der CUP, Anna Gabriel, und etliche andere ins Fadenkreuz der Justiz. Es fällt auf, dass die CUP nun ganz besonders im Zielfernrohr auftaucht, die bisher verschont blieb. Sich an der demokratischen Entscheidung der Bevölkerung zu orientieren, scheint weiter nicht im Sinne der spanischen Postfaschisten von Mariano Rajoy zu liegen.