Verbrechen der Aggression könnten ab 2018 unter Anklage kommen

Gerichtssaal des ICC. Bild: ICC

Angriffskriege sind ab nächstem Jahr ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof - manche jedenfalls

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Weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit hat das Völkerrecht einen bedeutenden Schritt gemacht: Angriffskriege sind künftig ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Ab dem 17. Juli 2018 kann das Gericht in Den Haag bei Angriffskriegen die Gerichtsbarkeit ausüben. Die entsprechende Resolution wurde auf der Konferenz der Vertragsstaaten des Rom-Statuts, das Grundlage für den Strafgerichtshof ist, im UN-Hauptquartier in New York per Konsens angenommen.

Damit greift die sogenannte Aktivierungsklausel: Nach Artikel 5 Absatz 2 des Rom-Statuts übt der Gerichtshof die Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression aus, sobald "das Verbrechen definiert und die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit im Hinblick auf dieses Verbrechen festlegt" ist. Das ist jetzt offiziell geschehen.

Was ist Aggression?

Eine Einigung darüber, welche Kriege als Angriffskriege vor Gericht landen könnten, war bereits auf der ersten Revisionskonferenz des IStGH-Statuts in der ugandischen Hauptstadt Kampala im Jahr 2010 gefunden worden ("Vorbereitung eines Angriffskriegs" wurde in "Verbrechen der Aggression" umgewandelt). Aggression ist demnach:

Im Sinne dieses Statuts bedeutet "Verbrechen der Aggression" die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt, durch eine Person, die tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken.

IStGH

Die Anwendung von Waffengewalt gegen einen anderen Staat, dessen Souveränität sowie politische und territoriale Unabhängigkeit ist demnach als "Angriffshandlung" anzusehen. Dazu gehören insbesondere Invasion, Besetzung und Annexion von anderen Gebieten anderer Staaten. Bombardierung, Blockade von Häfen und Angriffe auf Streitkräfte sowie das Entsenden bewaffneter Banden oder irregulärer Kräfte ist auch ausdrücklich verboten.

Umstritten war, welche Staaten der Gerichtsbarkeit unterworfen sind: nur die, die dem Strafgerichtshof beigetreten sind - oder alle. Gegenwärtig sind 123 Staaten dem Rom-Statut beigetreten (bei 193 UN-Mitgliedsstaaten). 31 Staaten sind keine Mitglieder, weil sie das Statut nicht ratifiziert haben. Davon haben vier ihre Unterschrift zurückgezogen und mitgeteilt, den Vertrag nicht zu ratifizieren: Israel und Sudan sowie die beiden Weltmächte USA und Russland. Unter den UN-Mitgliedern, die das Rom-Statut gar nicht unterschrieben haben, sind China und Indien sowie viele Länder des Nahen Ostens. Wenn der Strafgerichtshof nicht zuständig ist bei allen Nicht-Mitgliedern, blieben Angriffskriege in weiten Teilen der Welt juristisch ungeahndet.

Umstritten war auch, welche Rolle der UN-Sicherheitsrates spielen soll: Vor allem ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates vertraten die Auffassung, dass der Strafgerichtshof erst tätig werden solle, wenn das oberste UN-Gremium zustimmt. Die Gegenposition war natürlich, dass das Gericht frei von politischen Machtverhältnissen arbeiten soll.

Starke Rolle des Sicherheitsrates

In Kampala einigte man sich schließlich auf einen Kompromiss: Demnach wird die Rolle des Sicherheitsrates gestärkt, was die Aufnahme von Verfahren und ihre Suspendierung angeht. Will der Ankläger Ermittlungen aufnehmen, "vergewissert er sich zunächst, ob der Sicherheitsrat festgestellt hat, dass der betreffende Staat eine Angriffshandlung begangen hat". Ermittlungen kann der Ankläger nur beginnen, wenn "der Sicherheitsrat eine entsprechende Feststellung getroffen" hat.

Wenn der Sicherheitsrat diese Feststellung sechs Monate lang nicht trifft, kann der Ankläger aber auch selbst Ermittlungen aufnehmen. Doch auch das ist nur möglich, wenn "der Sicherheitsrat nicht einen anderweitigen Beschluss nach Artikel 16 gefasst hat". Dort ist festgelegt, dass der Sicherheitsrat "in einer nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen angenommenen Resolution" verlangen kann, dass zwölf Monate lang keine Ermittlungen und Strafverfolgungen stattfinden dürfen. Dieses Ersuchen kann per Resolution verlängert werden.

Kapitel VII ist das sozusagen härteste Kapitel der UN-Charta: Demnach kann der Sicherheitsrat eine Bedrohung für den Weltfrieden feststellen und den Einsatz von Streitkräften autorisieren. Salopp gesagt: Im Fragen von Krieg und Frieden kann der Sicherheitsrat gemäß der Einigung von Kampala den Strafgerichtshof ausschalten.

Zuständig nur für Mitglieder

Weiter wurde in Kampala auch vereinbart, dass Nicht-Vertragsstaaten der Gerichtsbarkeit nicht unterworfen sind. Aber auch Mitglieder des Rom-Statuts können sich gegebenenfalls (per "Opt-Out") zurückziehen. Vor einer Angriffshandlung muss der Vertragsstaat lediglich "durch Hinterlegung einer Erklärung beim Kanzler" bekanntgeben, "dass er diese Gerichtsbarkeit nicht anerkennt".

Die Einschränkungen für den Strafgerichtshof sind also gewaltig. Man könne deshalb kaum "im Wochentakt internationale Strafverfahren wegen Angriffskriegen" erwarten, sagte der Völkerrechtler Claus Kreß im Deutschlandfunk. Trotzdem hätten die Verhandlungen gezeigt, dass der Druck auch auf Nichtvertragsstaaten wachse: Alle stünden durch die Neuregelung unter einem ganz anderen Rechtfertigungszwang.

Streitfall humanitäre Intervention

Doch es gibt noch ein weiteres Problem: Der Tatbestand der Aggression selbst ist bewusst mit Einschränkungen versehen worden. Angriffskriege sind nur dann strafbar, wenn sie - siehe oben - "ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen" sind. Claus Kreß, Professor für Völkerrecht an der Universität Köln, sprach in der FAZ von einer eine "sorgsam formulierten Schwellenklausel".

Kreß war selbst an den Verhandlungen in Kampala als Mitglieder der deutschen Delegation beteiligt. Nur besonders schwere Fälle von Aggression aufzunehmen, sei der Versuch gewesen, die USA einzubinden, sagte Kreß danach gegenüber dem "Spiegel": "Die deutsche Delegation hatte auch die Aufgabe, Frieden mit den USA zu machen." Dieses Entgegenkommen mag politisch notwendig sein, ist aber in der Konsequenz ziemlich ernüchternd: Weder der NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 noch der US-Krieg im Irak 2003 wären demnach ein Fall für den Strafgerichtshof: "Nur klar völkerrechtswidrige schwere staatliche Gewaltakte sollen als Verbrechen geahndet werden", erklärte Kreß.