Quid pro quo: Niemand muss bei Deals à la Weinstein mitspielen

Geduldete sexuelle Übergriffe von Menschen in Machtpositionen sollten nicht als Missbrauch, sondern als Korruption verstanden werden

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Bei der Affäre Weinstein handelt es sich, wie bekannt, nicht um einen Einzelfall, zumindest nicht im Mediengewerbe. Ich selbst habe zweimal und eine Studienfreundin mindestens einmal erlebt, dass Männer in einer Machtposition sexuelle Gefallen für Unterstützung beim Fortkommen einforderten.

Es handelte sich in allen drei mir persönlich bekannten Fällen um Personen, die innerhalb ihrer Branche bekannt sind bzw. waren, nicht aber einem größeren Publikum. Alle drei Fälle geschahen in den Nuller Jahren, der Mann war jeweils mindestens zwanzig Jahre älter als ich bzw. die Freundin.

Das Quid pro quo wurde nicht explizit ausgesprochen, was Beschwerden oder Anzeigen kaum möglich erscheinen ließ, zumal ohnehin Wort gegen Wort gestanden hätte und man noch eine Verleumdungsklage oder andere Versuche, einem zu schaden, hätte fürchten müssen.

Vielmehr war das Quid pro quo implizit, aber so klar erkennbar, dass ich mir auch in dem einen Fall ganz sicher war, wo in dem Moment, als ich mich aus dem "Geschäft" zurückzog, noch keine direkte sexuelle Avance geschehen war.

In dem anderen mich betreffenden Fall hatte es zu dem Zeitpunkt meines "Rückziehers" schon einen unvermittelten Kuss sowie verbale Tändeleien gegeben, die gar keinen Zweifel mehr erlaubten, wie es weitergehen würde. (Weitere Fälle, bei denen ich mich aufgrund im Nachhinein entwickelten Vermeidungsverhaltens zurückzog, bevor ich mir hundertprozentig sicher war, lasse ich hier weg.)

In einem Hotel während der Messe Näheres besprechen

In allen dreien mir aus persönlicher Anschauung bekannten sicheren Fällen fiel ein Satz des ungefähren Inhalts: Wir müssten uns vorher aber noch mal treffen, z.B. in der Wohnung eines der Herrn oder in einem Hotel während der Messe, damit wir Näheres besprechen können. Das entspricht genau dem Vorgehen Weinsteins.

Inhaltlich war nicht ersichtlich, was bei den Treffen besprochen werden sollte bzw. warum man sich dafür gesondert und in unüblichem Rahmen hätte treffen müssen. In allen drei mir persönlich bekannten Fällen gingen die Herren beim ersten Kennenlernen, das im öffentlichen bzw. geschäftlichen Rahmen stattfand, praktisch unmittelbar zum Du über, was möglicherweise ein Signal darstellt.

In einem Fall ging es um die Vergabe von Dingen wie Preisen und Stipendien (genauer möchte ich mich nicht äußern), in einem um eine in Aussicht gestellte Rezension eines Texts von mir in einem sehr einflussreichen Medium, in dem dritten um die Besetzung einer Rolle. Ich habe mich in beiden mich betreffenden Fällen von vornherein dem zusätzlichen Treffen im privaten Rahmen verweigert, da für mich dessen Zweck klar war und ich nicht bereit war, dabei mitzumachen.1

Mündliche Zusagen und abendliche Einforderungen

Meine Studienfreundin hingegen ging in dem sie betreffenden Fall nichtsahnend zu dem verlangten Treffen. Ich war damals einige Tage zu Besuch bei ihr, weshalb ich die Entwicklungen genau mitbekommen habe. Zunächst hatte sie mir, von einem öffentlichen "Casting" zurückkehrend, überschäumend vor Freude berichtet, dass sie die mündliche Zusage für die Rolle bekommen habe.

Am Abend solle sie dann noch Details erfahren, wie es weitergehe. Ich dachte mir dazu schon meinen Teil, habe aber nichts kommentiert, weil ich mich nicht einmischen wollte. So intim waren wir nicht befreundet; ich hielt es für möglich, dass sie zu allem bereit war.

In ihrem Fall kam es bei dem abendlichen "Geschäftstreffen" zu zweit, das mit Alkoholausschank begann, zu Küssen und manuellen Manipulationen an ihrem Genitale, bis sie überstürzt mitteilte, sie müsse nach Hause und ging, und zwar zunächst eine längere Strecke zu Fuß im dünnen Kleid bei winterlicher Kälte, weil ihr um die Uhrzeit und an dem Ort, an den der Mann sie gebracht hatte, nichts anderes übrig blieb oder ihr im ersten Schreck nichts anderes einfiel.

Ich rechnete naiverweise zunächst noch damit, dass sie die Rolle bekommen würde. Das geschah aber nicht. Die für die Vergabe zuständige Fachkraft für schöne Frauen meldete sich nicht bei meiner Freundin, und sie selbst war so in Angst vor neuerlichen Zudringlichkeiten oder schämte sich derart, auf den Mann hereingefallen zu sein, dass sie nicht wagte, bei der Person selbst oder bei der einstellenden Institution nachzufragen. Sie hat, solange wir noch in Kontakt standen, nie mehr an einem Casting für eine Rolle teilgenommen.

Kein Mitleid mit Frauen oder Männern, die das Spiel mitspielen

Auch ich habe im Gefolge meiner Erlebnisse Vermeidungsverhalten entwickelt. Beispielsweise habe ich Anfragen von Männern, die blumig daherkamen oder ein Treffen in Aussicht stellten, grundsätzlich abgelehnt (und damit unter Umständen unter anderem eine französische und eine ungarische Übersetzung eines meiner Bücher verhindert). Wenn ich später hörte oder las, dass weibliche Personen im Einflussbereich eines der mir einschlägig bekannten Herren berufliche Vorteile erhalten hatten, kam mir stets der möglicherweise unberechtigte Gedanke: Die hat sich wohl mit dem eingelassen.

Mein Mitleid mit Frauen oder Männern, die sich von Leuten wie Harvey Weinstein sexuell benutzen lassen oder - in den Worten von Seth MacFarlane - die so tun, als fänden sie Weinstein und Konsorten attraktiv, liegt nach alledem bei null.

Niemand muss so tun, als gefalle ihm Harvey Weinstein. Wenn man es als Schauspielerin trotzdem tut, verhält man sich wie der Handwerksmeister, der dem korrupten Entscheider auf dessen mehr oder minder subtile Aufforderung einen Umschlag über den Tisch schiebt.

Es geht hier um erwachsene Menschen, die wissen, was sie tun. Mit sechzehn hat man vielleicht noch nicht gelernt, unerwünschte sexuelle Annäherungen (damit meine ich gewöhnliche Anmache und Berührungen, nicht den Überfall auf dem einsamen Spazierweg) abzuwehren bzw. sich nachhaltig zu verbitten. Mit spätestens Anfang Zwanzig hat man darin ausreichend Übung. So jedenfalls meine Lebenserfahrung.