Jean-Luc Mélenchons linksnationalistische Wende und neue Angriffspunkte

Jean-Luc Mélenchon (Mitte) mit Parteifreund Eric Coquerel und einer Unbekannten. Foto: Drutchy2017 / CC BY-SA 4.0

Der Charismatiker der französischen Linken wird mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert

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Der Mann ist ein gestandener Polemiker. Seine rednerischen Attacken sind gefürchtet, seine mehr oder minder regelmäßigen Pöbeleien insbesondere gegen Journalisten sind es erst recht. Seit mehreren Jahren steht er für den "sozialen" Gegenpol gegen neoliberale Politikinhalte in der französischen Parteienlandschaft; zugleich reichert er seinen Diskurs in jüngerer Zeit mit einer steigenden Dosis "nationaler" Symbole an.

Nun wird Jean-Luc Mélenchon jedoch erstmals auch unter früheren engeren Verbündeten - in der Zeitung der französischen KP - ein grober Keil aufgesetzt und gar Antisemitismus vorgeworfen. Ein Dementi folgte auf dem Fuße. Was ist dran an (unterschiedlich motivierter) der Kritik an Mélenchon? Wie ernst ist die jüngste Polemik zu nehmen, und wie viel Chauvinismus steckt in Frankreichs offiziellem "Sprachrohr der Linken"?

In der politischen Auseinandersetzung gab es noch nie ausschließlich "schwarz" und "weiß". Und längst gibt es auch nicht mehr zwei klar voneinander unterscheidbar Blöcke, wahlweise "Sozialismus versus Imperialismus" oder "Freiheit versus Sozialismus" - sofern es das jemals gab, gehört es der Vergangenheit an.

Parallelen zu Oskar Lafontaine

Auf der parteiförmig organisierten Linken in Deutschland lehrt unterdessen das Beispiel Oskar Lafontaine, dass ein und dieselbe Person Inhalte, die man ansonsten weit links, und solche, die man rechts verorten würde, bündeln kann.

So steht der frühere SPD-Politiker und spätere WASG- sowie Linkspartei-Funktionär einerseits für die Forderung nach der Zulässigkeit von "politischem Streik", ja nach "europaweitem Generalstreik". Auf der anderen Seite steht dieselbe politische Figur für Vorstöße - schon sehr früh - gegen das Asylrecht, gegen das Foltertabu und gegen gewerkschaftliche Positionen.

Sicherlich handelt es sich hier eher um taktische Initiativen eines Berufspolitikers und geübten Demagogen denn um echte Überzeugungen. Nichtsdestotrotz belegt das Beispiel Lafontaine, welche ansonsten unüblichen Mischungen aus ansonsten getrennten, weil "links" und "rechts" verorteten, politischen Inhalten allem Anschein nach "gehen".

Jean-Luc Mélenchon, der frühere Sozialdemokrat, welcher im April 2017 bei der Präsidentschaftswahl immerhin knapp zwanzig Prozent der Stimmen holte, gilt vielen als der Oskar Lafontaine Frankreichs. Tatsächlich haben beide zum Mindesten gemeinsam, dass sie früher bei der Sozialdemokratie des jeweiligen Landes Karriere machten und sich dann von ihr mit einer eigenen Parteigründung abspalteten (siehe dazu auch: Zwei unvereinbare Tendenzen in der Linkspartei?).

Als Mélenchon im Winter 2008/09 seinen Parti de gauche (PG, "Linkspartei") gründete - den seit 2016 die locker strukturierte und ideologisch flottierende Sammlungsbewegung La France insoumise ("Das widerspenstige Frankreich") abgelöst hat -, gab er Lafontaine und die 2005 erfolgte Gründung der WASG in Deutschland als Vorbild aus..

Allerdings: Der Vergleich hinkte lange Zeit erheblich. Auch dann, wenn Mélenchon selbst diese Parallele zog, blieb sie doch schief. Denn während Lafontaine in Deutschland gegen "Fremdarbeiter" wetterte - in der ungeschminkten Hoffnung, "Protestwähler" von der extremen Rechten anzuziehen -, fuhr Mélenchon in Frankreich zunächst eine ziemlich klar antirassistische Linie.

"Zu viel Antirassismus?" - Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden 2012

In seinem Präsidentschaftswahlkampf vor fünf Jahren hielt er lupenrein antirassistische Reden, insbesondere jene, die er im April 2012 vor Zehntausenden Menschen an einem Strand in Marseille hielt und in welcher er eine Verbrüderung der Menschen auf beiden Seiten des Mittelmeers beschwor.

Allein, es ist nicht dabei geblieben. Mélenchon schnitt bei der Wahl 2012 - seiner ersten Präsidentschaftskandidatur vor fünf Jahren - schlechter ab als erwartet: Die Umfragen sagten ihm damals bis zu 18 Prozent der Stimmen voraus, er schaffte elf Prozent. Die Hauptursache dafür lag wohl darin, dass neben Mélenchon ein damals noch nicht vollends "verbrauchter", respektive politisch "verbrannter" sozialdemokratischer Kandidat in Gestalt von François Hollande antrat.

Viele Wählerinnen und Wähler sympathisierten seinerzeit zwar eher mit den Inhalten, die mit Mélenchon assoziiert wurden, wollten jedoch damals noch Hollande als "kleinerem Übel" eine Chance lassen. Seinerseits schob Jean-Luc Mélenchon jedoch im Kreise seiner Berater die Schuld an dem in seinen Augen zu schlechten Wahlergebnis darauf, zu viel Antirassismus habe die Wechselwähler abgeschreckt und nicht gar so linke Wähler vergrault.