Puigdemont: Katalanische Gefangene sind "Geiseln" Spaniens

Die vier politischen Gefangenen

Der Oberste Gerichtshof in Spanien hält den bisherigen katalanische Vizeregierungschef Oriol Junqueras weiter in Haft

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Der katalanische Exil-Präsident Carles Puigdemont spricht nun davon, dass der spanische Staat katalanische Politiker als "Geiseln" festhält. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Madrid, den bisherigen Vizeregierungschef Oriol Junqueras und Chef der Republikanischen Linken (ERC) auch zwei Monate nach der Inhaftierung weiter in Haft zu halten, hat der "legitime Präsident" sich aus dem Exil in Brüssel per Twitter zu Wort gemeldet:

"Es gibt einen Konflikt zwischen Katalonien und Spanien, der gelöst werden muss. Wir haben immer auf einen friedlichen Weg und den Dialog gesetzt. An den Urnen wurde in drei Abstimmungen eindeutig entschieden, trotz allem ist Junqueras weiter in Estremera inhaftiert."

Er benennt in dem Tweet auch die sogar seit fast drei Monaten inhaftierten Jordis und den bisherigen Innenminister "Quim", mit dem Joaquin Forn gemeint ist. “Es sind nun keine politischen Gefangenen mehr: Es sind Geiseln.”

Fall Junqueras: "Weder Aufruhr noch Rebellion"anwendbar

Es gibt wahrlich keinen nachvollziehbaren Grund, wie auch zahllose Juristen immer wieder betonen, Junqueras weiter in Haft zu halten. So hatte auch der ehemalige Richter Elpidio Silva die Freiheit von Junqueras und der übrigen "politischen Gefangenen" gefordert. Es sei "weder Aufruhr noch Rebellion" anwendbar, hat der andalusische Richter getwittert, der unverdächtig ist, Sympathien für die Unabhängigkeitsbewegung zu hegen.

Doch klar ist, dass der bei den Zwangswahlen am 21. Dezember erneut gewählte Parlamentarier weiter in Haft bleibt. Es ist eine politische Entscheidung, die nun verlängert wurde. Klar wurde das schon Anfang Dezember, als die Jordis, Forn, Junqueras und weitere sechs inhaftierte Ministern nicht freigekommen waren. Die Anklage und die Verantwortung für die Vorgänge sind praktisch bei allen gleich.

Im Fall der Jordis - Präsidenten der großen zivilgesellschaftlichen Organisationen - ist die weitere Inhaftierung sogar noch absurder, da ihnen anders als Forn und Junqueras und den schon freigelassenen Ex-Ministern ja "nur" Aufruhr vorgeworfen wird. Den Ministern und Puigdemont wird aber sogar "Rebellion" vorgeworfen, worauf bis zu 30 Jahre Haft stehen.

Wie absurd die Vorwürfe sind, zeigt sich schon daran, dass der gleiche Gerichtshof die Europäischen Haftbefehle gegen Puigdemont und die vier ehemaligen Minister zurückziehen musste, die mit ihm in Brüssel weilen. Denn die Vorwürfe gegen sie hätten vor unabhängigen Gerichten in Belgien keinen Bestand gehabt.

Davon ging man auch in Madrid aus, weshalb vor dem Urteil schnell noch der Rückzug angetreten wurde, um sich diese Schmach zu ersparen. Doch in Spanien hält man die Haftbefehle weiter aufrecht, um zu verhindern, dass die vier ehemaligen Minister und der alte und designierte katalanische Regierungschef zurückkehren und ihre Parlamentssitze nach den Wahlen einnehmen.

Versuch, das Wahlergebnis "zurechtzurücken"

Das gilt auch für Junqueras, Forn und Jordi Sànchez. Mit der weiteren Inhaftierung versuchen die Unionisten nach gescheiterten Wahlen nun auf diese Art, das Wahlergebnis zu verfälschen. Denn trotz der massiven Benachteiligung haben bei den Zwangswahlen die Parteien der Unabhängigkeitsbewegung erneut eine klare Mehrheit im Parlament erreicht.

Junqueras, Forn, Sànchez und die Exilminister sind gezwungen, auf ihren Sitz zu verzichten, damit die Unionisten nicht über die Justiz eine falsche Mehrheit im Parlament bekommen. Das widerspricht dem Wählerwillen, schließlich war Junqueras sogar Spitzenkandidat der ERC.

Winkelzüge

Man kann an der Entscheidung der Richter erneut Winkelzüge feststellen, um der Anklage des Ministeriums für Staatsanwaltschaft – also der spanischen Regierung - folgen zu können. Dafür muss "Gewalt" herbeigeredet werden, um die absurde Anklage wegen Rebellion aufrechterhalten zu können. Denn Artikel 472 des Strafgesetzbuchs spricht eindeutig einer "gewaltsamen öffentlichen Erhebung".

Sogar der Verfasser des Artikels hält die Anschuldigungen für überzogen. Diego López Garrido hatte bei der Ausarbeitung einst Vorgänge wie 1981 im Blick, als eben die paramilitärische Guardia Civil das Parlament bewaffnet stürmte. Auf friedliche Demonstrationen wie in Katalonien war Rebellion nicht gemünzt.

Die Richter mutmaßen einerseits, dass Junqueras den einseitigen Weg in die Unabhängigkeit nicht aufgegeben habe und deshalb Wiederholungsgefahr bestehe. Andererseits fabulieren sie Gewalt herbei. Bei den Mobilisierungen von Hunderttausenden bis Millionen Menschen für die Unabhängigkeit habe Junqueras “vorhersehbare und sehr wahrscheinliche Gewaltepisoden” akzeptiert. Nur wo diese Gewalt war, sagen die Richter nicht.

Und so streichen auch spanische Zeitungen heraus, dass das Gericht zugibt, dass weder Gewaltakte von Junqueras bekannt seien noch irgendwelche Anordnungen in dieser Richtung durch den ehemaligen Vizeregierungschef. Doch trotz allem soll er zu Gewalt angestiftet haben. Wie das geht, verstehen wohl auch die Richter nicht, weshalb sie auf Proteste abstellen, bei denen es "vorhersehbar mit großer Wahrscheinlichkeit Zusammenstöße geben könne, bei denen sich Gewalt zeige".

Das "Gewalt-Problem"

Das Problem ist, dass es die Gewalt von der Unabhängigkeitsbewegung nicht gab. Denn als Gewalt kann nicht einmal angeführt werden, dass fünf Jeeps der Guardia Civil zu Bruch gingen, als Menschen bei Festnahmen von Beamten (wegen angeblichem Aufruhr) auf die vor dem Wirtschaftsministerium von Junqueras abgestellten Jeeps kletterten. Die brachen schlicht unter der Last zusammen. Gewalt ist in Spanien juristisch eindeutig als Angriff auf Menschen definiert.

Also könnten die Richter bestenfalls von einer Rebellion sprechen, da die Guardia Civil, die schon 1981 bewaffnet das Parlament stürmte, während des Referendums am 1. Oktober in einer "gut geplanten militärähnlichen Operation" mit brutalster Gewalt gegen friedliche Bürger vorgegangen ist. Sie hat dabei sogar verbotene Gummigeschosse eingesetzt, wie auch internationale Beobachter feststellen konnten.

Doch nicht Beamte der Guardia Civil oder der Nationalpolizei werden wegen Rebellion angeklagt, sondern die, die unter ihrer Gewalt zu leiden hatten. Und die Brutalität der Sicherheitskräfte dient Richtern nun sogar zur Rechtfertigung der Haft von Politikern, die stets für ein eindeutig friedliches Vorgehen eingetreten sind.

Iran? Brüssel und Berlin müssen in Spanien genau hinschauen

Derlei Vorgänge sollte man sich in Brüssel oder Berlin einmal genauer anschauen, vor allem, bevor man andere Länder wie den Iran gerade dazu auffordert, die "Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu achten" und wenn zum "Dialog" mit Protestierenden aufgerufen wird. Spanien weigert sich seit Jahren sogar mit dem gewählten katalanischen Präsidenten zu verhandeln.

Klar ist, dass mit der Entscheidung gegen Junqueras massiv in die demokratischen Rechte der Katalanen in einem Europa durch ein Mitgliedsland eingegriffen wird, das sich demokratisch nennt.
Junqueras hat sich inzwischen ebenfalls per Twitter (übers Telefon diktiert) zu Wort gemeldet:

"Bleibt stark und einig in diesen Tagen, die da kommen. Verwandelt die Empörung in Mut und Ausdauer, die Wut in Liebe. Denkt immer an die anderen. An das, was wir wiederherstellen wollen", erklärte er mit Blick auf die Katalanische Republik. "Haltet durch, denn ich werde durchhalten", fügt er an und bedankt sich für die Unterstützung.